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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855)

No. 17. 1855.
Die Gartenlaube.
Illustrirtes Familienblatt. – Verantwortl. Redakteur Ferdinand Stolle. Wöchentlich 11/2 bis 2 Bogen. Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 121/2 Ngr. zu beziehen.


Wenn eine Mutter betet für ihr Kind.[1]

Der reinste Ton, der durch das Weltall klingt,
Der hellste Strahl, der zu dem Himmel dringt,
Die heiligste der Blumen, die da blüht,
Die reinste aller Flammen, die da glüht,
Ihr findet sie allein, wo fromm gesinnt,
Still eine Mutter betet für ihr Kind.

Der Thränen werden viele, ach, geweint,
So lange uns des Lebens Sonne scheint;
Und mancher Engel, er ist auserwählt,
Auf daß er unsre stillen Thränen zählt –
Doch aller Thränen heiligste sie rinnt,
Wenn eine Mutter betet für ihr Kind.

O schaut das Hüttchen dorten, still und klein,
Nur matt erhellt von einer Lampe Schein,
Es sieht so trüb’, so arm, so öde aus –
Und gleichwohl ist’s ein kleines Gotteshaus,
Denn drinnen betet, from gesinnt,
Ja eine Mutter für ihr Kind.

O nennt getrost es einen schönen Wahn,
Weil nimmer es des Leibes Augen sah’n,
Ich lasse mir die Botschaft rauben nicht,
Die Himmelsbotschaft, welche uns verspricht:
Daß Engel Gottes stehs versammelt sind,
Wenn eine Mutter betet für ihr Kind.

 F. Stolle.




Braut und Gattin.
(Fortsetzung.)


Albrecht hatte indeß das Hotel erreicht. Athemlos betrat er sein Zimmer. Kaum hatte er sich ein wenig erholt, als er den Diener rief. Fritz war ein Mann von vielleicht vierzig Jahren, er stammte von den Gütern des Barons und diente seinem Herrn mit Treue und Anhänglichkeit. Der Baron hatte ihm stets sein volles Vertrauen geschenkt, und bis zu diesem Augenblicke lag kein Grund vor, ihm dasselbe zu entziehen.

„Sind sie krank, lieber Herr?“ fragte er besorgt.

„Warum?“

„Ihr Gesicht ist bleich, Ihre Augen sind trübe – es muß etwas Ungewöhnliches vorgegangen sein.“

„Vielleicht!“ sagte Albrecht. „Setze Dich dort auf den Stuhl und antworte mir genau auf alle Fragen, die ich jetzt an Dich richten werde. Sage mir die lautere Wahrheit, ohne zu fürchten, daß sie mich verletzt. Verschweigst Du mir aus irgend einer Rücksicht den kleinsten Umstand, so würde ich Dir zürnen müssen.“

Der Diener verbarg sein Erstaunen über die Aufregung des Barons. Erwartungsvoll ließ er sich auf den bezeichneten Stuhle nieder.

„Fritz,“ begann Albrecht, „versetze Dich in jene Zeit zurück, wo Du mein Bote nach dem Forsthause bei Heyerswyl warst –“

„Wo Sie mich mit Briefen und Bestellungen an die arme Katharina absandten?“ fragte Fritz mit einem Anfluge von Heftigkeit. Dann fügte er ruhig hinzu: „dieser Zeit erinnere ich mich noch so deutlich, als ob zwischen damals und jetzt einige Wochen lägen. Die arme Katharina!“ seuftzte er. „Ich kann sie nicht genug beklagen!“ murmelte er zwischen den Zähnen.

„Und wer trägt die Schuld an ihrem Unglücke?“ fragte Albrecht. „Wer veranlaßte sie, meine Schritte falsch zu deuten? Wer pflanzte den Samen des Argwohns in ihr Herz? Wer erfüllte meinen Vater mit Vorurtheilen, daß ich ihm meine heimliche Heirath verschweigen mußte, wenn ich seinen Zorn und seinen Fluch nicht auf mich laden wollte?“

„Kein Anderer als Prosper!“ murmelte Fritz. „Der schwarze Mönch allein trägt die Schuld an dem Unglücke. Als Sie im Auftrage Ihres Herrn Vaters die Reise nach Wien unternahmen, die Sie fast ein halbes Jahr vom Hause fern hielt, da habe ich dem Mönch oft in dem stillen Forsthause gesehen. Unter dem Vorwande,


  1. Aus der im Laufe des Sommers erscheinenden neuen Gedichtsammlung: „Palmen des Friedens“ von F. Stolle.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 217. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_217.jpg&oldid=- (Version vom 18.12.2019)