Seite:Die Gartenlaube (1855) 324.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1855)

sorgfältigen Erziehung verdanke ich größtentheils, was ich bin. Sie wollte ihr Vergehen gegen Dich ausgleichen, indem sie meine Erziehung zur Aufgabe ihres Lebens machte. Und meiner Kindesliebe verzeihst Du an diesem glücklichen Tage, daß ich ein kleines Geheimniß vor Dir hatte: ich war nicht in Leiden, ich war in der Pension bei meiner Mutter, die meinetwegen Brüssel zum Aufenthaltsorte gewählt hat.“

„Mädchen! Mädchen! Das ist ein Betrug –“

„Bin ich nicht die Tochter der armen Frau? Gott wird es mir nicht zur Sünde anrechnen, daß ich dem Drange meines Herzens gefolgt bin. Vater, Du kannst ihr nicht immer zürnen!“

Man sah, wie der Greis mit der Rührung kämpfte, die sich seiner bei dem Anblicke des reizenden Mädchens bemächtigte, das mit gefalteten Händen vor ihm stand und ihn bittend ansah.

„Vater Termöhlen,“ rief der Graf, „wenn Ihnen der Himmel eine solche Vermittlerin sendet, können Sie Ihren Dank nicht anders bethätigen, als daß Sie den Bitten dieses Engels Gehör geben.“

„Laßt mich, laßt mich, ich weiß was ich zu thun habe!“ rief der Alte, dem die Thränen über die braunen Wangen rannen. „Nehmen Sie Ihre Frau hin, Herr Graf, und sagen Sie der dort in Brüssel, daß sie zu Margarethe’s Hochzeit kommen könne!“

Dann verließ er hastig das Zimmer. Die beiden jungen Leute sanken sich einander in die Arme.

„Nun bist Du im Besitze Deines Blumenmädchens, George!“ flüsterte sie.

„Und zugleich im Besitze des höchsten Glücks, das ich kaum zu fassen wagte. Ich würde stolz auf den Neid der Welt sein, wenn Dermont – –“

„Beklage ihn nicht, er ist mit Mathilde wieder ausgesöhnt. Ein Zufall setzte mich von dem unglückseligen Mißverständnisse in Kenntniß, das den Bruch herbeigeführt – Dermont heirathet seine Mathilde, die mir eine Freundin geworden ist und das Geheimniß meines Herzens kennt.“

Am nächsten Morgen zeigten sich die beiden Verlobten in den Promenaden von Scheveningen. Sie begegneten Henrietten, die der Lord Darnley führte. Die stolze Frau erzitterte als sie die junge elegante Dame an George’s Seite erblickte. Einige Tage später erzählten sich die Badegäste, daß die Marquise von Beaulieu in einem Anfalle von Wuth sich mit dem Lord verlobt habe und nach England abgereist sei.

Vater Termöhlen hielt Wort: er stattete seine Tochter mit einer halben Million aus und begleitete das junge Paar nach Brüssel, wo er sich mit seiner geschiedenen Gattin wieder aussöhnte.




Eine pariser Geschichte.
Nach wahren Thatsachen mitgetheilt von Feodor Wehl.

In der Nacht vom siebenzehnten zum achtzehnten September 1819 hatte man in der Rue des trois frères zu Paris, nahe dem in dieser Straße belegenen Hotel desselben Namens ein so entsetzliches Jammergeschrei vernommen, daß die Einwohner der umliegenden Gebäude davon aufgescheucht, im Nu in den abenteuerlichsten Nachtbekleidungen ihre Betten verließen, und an die Fenster oder auch gleich aus den Thüren hervorgeeilt kamen, um sich von der Ursache desselben zu überzeugen. Die ersten mit der Nachtpolizei ziemlich zugleich an Ort und Stelle gelangenden Neugierigen fanden einen in seinem Blute schwimmenden Mann, um den ein anderer in größester Angst und Verwirrung beschäftigt war. Auf das von allen Seiten auf diesen eindrängende Forschen und Fragen gab er zuerst gar keine und nach und nach nur eine sehr unklare und nicht eben allzu faßliche Auskunft. Er sei mit seinem Freunde Alfred Gautier, erzählte er in abgebrochenen Sätzen, von einem Festgelage nach Hause gehend, hier im Dunkel der Straße von einem vermummten Menschen angefallen, und jener in der Brust, wie es schien, durch einen Dolchstoß verwundet worden. Welchen Grund der Angreifer zu seiner That gehabt, fügte er bei, könne er nicht errathen, denn Alfred Gautier sei ein harmloser, guter Mensch, der Niemandem etwas zu Leide gethan. Es muß hier ein unglückseliger Irrthum, ein unerklärliches Mißverständniß herrschen!“ rief er mit weinender Stimme, indem er dem herbeigeholten und eben anlangenden Arzte seine flehend gehobenen Arme entgegenstreckend, jammernd bat: „O kommen, retten Sie, mein Herr, noch wird es Zeit sein!“

Der Arzt, der den von einigen mitleidigen Seelen in die Höhe gehaltenen blutenden Mann, der allerdings noch Spuren von Leben zeigte, aber das Bewußtsein und den Gebrauch seiner Kräfte lange verloren hatte, untersuchte und verband, schüttelte, als dies geschehen, und man den Verwundeten auf die von der nächsten Wache requirirte Tragbahre legte, bedenklich den Kopf, ein bedauerliches: „Zu spät!“ leise vor sich hinmurmelnd.

Als die Bahre, um in das Hospital getragen zu werden, aufgehoben ward, und der Kamerad des Ueberfallenen Miene machte, seinem armen Freunde zu folgen, trat plötzlich ein höherer Polizeibeamter auf ihn zu, mit dem bescheidenen aber ernst ausgesprochenen Ersuchen, ihm zur nächsten Wache behufs weiterer Aussagen und Erklärungen über den räthselhaften Vorgang zu folgen.

Der auf diese Weise Angeredete, der sich schon mehrfach unaufgefordert genannt und mit dem Namen Graf von Luckner bezeichnet hatte, schien über dies Verlangen stutzig und im ersten Moment geneigt, dagegen Einwendungen machen zu wollen. Allein nach kurzer Ueberlegung mochte er doch wohl anderen Sinnes geworden sein, denn mit den Worten: „Ich stehe zu Ihren Diensten, mein Herr,“ schloß er sich dem Polizisten an, der nun rasch und in Eile nur noch einen seiner Untergebenen beordernd, bis zu Tagesanbruch und für den Zweck einer weiteren Untersuchung des Schauplatzes, auf welchem die ruchlose That geschehen, an Ort und Stelle zu verbleiben, mit seinem Arrestanten davonging.

In der nächsten Wache gab derselbe das von uns bereits Gemeldete zu Protokoll, was denn natürlich nicht eben mehr Licht auf die schauderhafte That zu werfen, oder den Schleier zu lüften vermochte, mit dem sie bedeckt war. Nach einer Legitimation seiner Person gefragt, zeigte der räthselhafte Fremde sich außer Stande, sie zu geben. Er hatte weder eine Visiten- noch Aufenthaltskarte, statt deren aber eine sehr bedeutende Summe Geld in englischen Banknoten und einen Paß in’s Ausland bei sich, der auf den Namen Miadschinski gestellt, seltsamer Weise in der Personalbeschreibung ziemlich auf ihn selbst zu passen schien.

Gefragt, was es mit diesen Dingen auf sich habe und wie er dazu gekommen, gab er an, daß Gautier sie ihm zur Verwahrung überantwortet und er im Uebrigen sonst keine Auskunft darüber zu geben vermöge. War nun dies schon im hohen Grade verdächtig, so wurde es noch mehr ein Dolch, den der auf der Bühne des Mordanfalls zurückgelassene Wächter beim Morgengrauen des Tages gefunden und an die Untersuchungsrichter abgeliefert hatte. Dieser Dolch, der genau in die Wunde paßte, an der Alfred Gautier noch in derselben Nacht, in der er sie erhalten, gestorben war, trug nämlich nicht nur die Grafenkrone und das Wappen der Luckner’schen Familie, sondern wurde auch förmlich von dem Grafen als der seinige anerkannt.

Hatte man sich genöthigt gesehen, ihn schon wegen der ersten Indizien gefänglich eingezogen zu behalten, so blieb nun kein Zweifel, ihn allen Ernstes in strenge Untersuchungshaft zu nehmen. So viel und so oft er auch seine Unschuld betheuerte, der Anschein war doch gar zu sehr gegen ihn, als daß man ihn hätte frei lassen können. Er mußte sich darein finden, den Prozeß gegen sich gemacht zu sehen.

(Schluß folgt.)
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 324. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_324.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)