Seite:Die Gartenlaube (1855) 338.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1855)

ich mir einen Dolch des Grafen Luckner ungesehen zuzueignen, dessen ich zu meinem höllischen Vorhaben bedürftig war.

„Als es gegen Mitternacht war, zog ich Gautier bei unserm ziemlich laut und rauschend gewordenen Souper bei Seite, indem ich ihm sagte, er möge mit dem Grafen Luckner auf einem Wege, den ich ihm vorschrieb, nach Hause gehen. In der Rue des trois frères, nahe dem Hotel des trois frères, wollte ich dann zu ihnen stoßen und das Weitere mit ihnen Beiden gemeinschaftlich bereden. Doch möge er vorher mit seinem Freunde nicht über die Angelegenheit sprechen. Da ich wußte, daß Gautier gewissenhaft und folgsam war, so durfte ich mich auf sein gegebenes Versprechen verlassen.

„Kaum mochten Graf Luckner und Alfred Gautier zwölf Minuten fort sein, als ich mich, ein körperliches Bedürfniß vorschützend, nach dem Hofe begab, wo ich rasch im Dunkeln über eine Mauer setzte, einen Hof durchschlüpfte und dann durch kleine Nebengassen die Rue des trois frères erreichte, gerade in dem Moment, in welchem mein Opfer in dieselbe eingebogen war. Mich nun rasch mit einer Taffetkappe unkenntlich machend, sprang ich plötzlich aus einem Thorweg hervor, den Dolch dem armen Gautier so tief und fest in die linke Seite bohrend, daß ich beinahe verzweifelt wäre, ihn wieder aus der Wunde hervorzubringen. Indeß war ein tüchtiger Ruck doch hinreichend, ihn frei zu bekommen und damit dem mich verfolgenden Grafen Luckner zu entwischen.

„Erst als ich mich dem mir Nachrennenden um ein gutes Stück voraus wußte, schleuderte ich die Waffe fort und entkam. Nachdem ich nun noch meine Taffetkappe mit einem hineingebundenen Stein rasch in die Seine versenkt, eilte ich auf meinem früheren Wege in den Hof und von da zu meinen Genossen zurück, die meine Abwesenheit kaum bemerkt hatten und daher auch nie auf einen Verdacht gekommen sind.

„Die ganze Schwere desselben fiel, wie ich in Voraus gesehen und berechnet hatte, auf den Grafen Luckner, bei dem man meinen falschen Paß und Gautier’s Banknoten fand, und durch welche Dinge natürlich der Hauptverdacht auf ihn gelenkt werden mußte.

„Wie man sich erinnern wird, ward der Arme zu Anfange des folgenden Jahres zu ewigem Bagnogefängniß verurtheilt, in dem er sich, so viel ich weiß, noch befindet, und aus welchem ihm dies mein Geständniß nun endlich befreien muß.

„Mein Vater, der die an dem Lesen in den Assisenberichten erwähnte Ringhälfte seines Sohn wohl erkannte und vielleicht der einzige Mensch auf dieser Erde war, der in mir den Mörder vermuthete, ward zum Glück für mich beim Lesen der Verhörmittheilungen vom Schlage gerührt. Sein Tod machte mich nun zum unbestrittenen Erben seines großen Vermögens, dessen Besitz mich doch leider niemals glücklich gemacht hat.

„Von meinem Schuldbewußtsein unstät durch die Welt umhergetrieben, habe ich nie wieder eine frohe oder nur ruhige Stunde genossen. Von Reue gequält, von Gewissensbissen gemartert, erliege ich nach ein paar wüster Genußgier geopferten Jahren nun endlich und warhlich nicht ohne eine gewisse Genugthuung für mich selbst dem rächenden Arm der Gerechtigkeit, welchem ich mich gern und so von quälender Hast getrieben, unterwerfe, daß ich dem Urtheilsspruche des Tribunals vorgreifend, die Pistolen bereits geladen habe, die mich nach der Abfertigung dieses meines Bekenntnisses in das Jenseits befördern sollen.

„Wenn sie sich, hochgeehrter Herr, nach Lesung dieser Zeilen, in mein Hotel verfügen wollen, werden Sie nur noch die in ihrem Blute schwimmende Leiche eines unglücklichen Verbrechers finden, der bei dem verwirkten Heile seiner Seele, die Richtigkeit seines Geständnisses beschwörend, seine Seele der strafenden Allmacht Gottes anheim giebt.

 Paris, den 10. October 1827.

 Alphonso, Fürst von Benevent.“

Als nach Lesung dieser Zeilen der Präsident sich in Eile nach dem Hotel in der Rue du Bas verfügte, fand er daselbst die Dienerschaft sowohl wie die Polizeibesatzung in großer Aufregung. Einen Schuß in dem von Innen verschlossenen Schlafgemache des Fürsten vernehmend, war man eben gewaltsam in dasselbe eingebrochen, als der hinzueilende Gerichtshof mit den Andern eintretend, die Leiche des in seinem Schuldbewußtsein verzweifelnden Verbrechers mit zersprengtem Gehirn am Boden fand.

Wenige Stunden nach diesem schaurigen Ereigniß brachte der Telegraph die Ordre des französischen Gouvernements nach Brest, den Grafen Emil von Luckner auf der Stelle aus dem Bagno zu entlassen, da sich dessen vollständige Unschuld ergeben und der König Willens sei, ihn vor aller Welt in seiner Ehre wieder herzustellen.

In einem wahren Triumphe nach Paris gebracht, ward er sowohl wie die heroische Dame, die ihm seine fürchterliche Leidenszeit nach Kräften erleichtert, von dem Monarchen am Hofe empfangen und durch jede nur erdenkliche Gnade ausgezeichnet. Man ging sogar so weit, ihm eines der hervorragendsten Hofämter anzutragen.

Graf Luckner aber, schwer geprüft und durch das, was er erlitten, tief ernst und der Welt abwendig gemacht, lehnte alle Auszeichnungen und Gnaden von sich ab, heirathete in der Stille die Baronin Lagrange und siedelte nach der Schweiz über, wo er in genußvoller Zurückgezogenheit noch viele Jahre gelebt hat.




Französische Hafenstädte.

III. Brest.
(Mit Abbildung.)

Wir haben Toulon, das Brest des mittelländischen Meeres, besucht, wo jetzt russische Kriegsgefangene in dem ungeheuern Arsenale, dem schönsten in Europa, wie man sagt, mit 4000 französischen Arbeitern um die Wette karren, graben und hacken, um die Dockes für Kriegsschiffe zu vollenden; wir sind dann in Marseille gewesen, aus dessen Hafen fortwährend Krieger und Kriegswerkzeuge nach der Krim absegeln und dampfen, und wollen jetzt dem dritten Haupthafen Frankreichs, Brest, eine Visite machen, obgleich den Meisten schon bei dem Namen die Haut schaudern wird, da Brest mehr durch sein „Bagno,“ die Hauptablagerung des socialen und politischen Krankheitsstoffes im französischen Staatskörper berüchtigt als durch seinen Hafen berühmt geworden. Wenn nach Bettina „der Verbrecher des Staates eigenstes Verbrechen ist,“ kann Frankreich schon allein durch sein Brest und sein Cayenne beweisen, daß es unter diesem Maßstabe an die Spitze der Civilisation gestellt werden muß.

Die Lage von Brest an dem Landesende Frankreichs, dem Landesende Englands gegenüber, im Departement Finisterre der Bretagne, ist ungemein günstig für einen Hafen und ein Arsenal des Krieges. Auf dem weiten westlichen Vorsprunge zwischen dem Kanale und dem Golf von Gascogne ist es zur See besonders zugänglich und zugleich durch den engen, wohlbefestigten Hals des Hafeneinganges für unwillkommene Gäste leicht zu schließen. Dieser Hals (Le Goulet), läuft in zwei Röhren weit landeinwärts bis Landerneau und Chateaulin. Die Engländer griffen es 1694 unter Lord Berkley mit einer Flotte von 29 großen und mehreren kleinern Schiffen ohne Erfolg an, weil ihr eigener großer Herzog von Marlborough, dessen Nachkommen noch jetzt jährlich Tausende von Pfunden bekommen, die Franzosen durch Verrath stärker machte als sie waren.

Da das Hafenwasser von Brest Platz und Sicherheit für 500 große Schiffe gewährt, war es immer das Haupt-Rendezvous französischer Kriegsunternehmungen zur See. Von hier kam die große Flotte im Jahre 1792, welche von Lord Howe geschlagen ward. Während des ganzen folgenden Krieges mit England ward es im Blockadezustand gehalten. Die Stadt liegt am Abhange eines Hügels am nördlichen Ende der Meeres-Bucht, von deren Eingange sie imposanter und schöner aussieht als sie wirklich ist. Die Gärten und Sommer-Villa’s zwischen den ernsten Fortificationen freundlich hervorschimmernd, geben einen malerischen Anblick, den Horace Vernet in einem seiner besten Bilder verherrlichte. Die Straßen sind ziemlich weit und wohlgebaut, freilich bei Lichte besehen, ziemlich

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 338. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_338.jpg&oldid=- (Version vom 13.6.2023)