Seite:Die Gartenlaube (1855) 346.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1855)

gewöhnlich als solche. Die auf der Angriffs-Front befindlichen Geschütze zu zerstören ist nun einestheils, die Erzeugung einer gangbaren Sturmlucke anderntheils das Bestreben des Angreifers. Um mit möglichst wenigen Verlusten allmälig bis in und auf die Festungswerke selbst zu gelangen, bedient er sich flüchtig aufgeworfener Schanzen von Erde, welche von Tag zu Tag, von Nacht zu Nacht dem Vertheidiger und seinen Werken näher rücken.

Hat der Angreifer seine größeren und kleineren Depots an Materialien, Handwerkzeug etc., die Parks seiner Geschütze, seine Munitionsvorräthe aufgestellt, so beginnt er die Arbeiten. Erscheint es ihm nothwendig, diese ersteren und mittelbar hierdurch den ungestörten Fortgang der letzteren durch besondere Befestigungsarbeiten zu schützen, so legt er sogenannte Circumvallationslinien zum Schutze derselben gegen Angriffe von Außen, z. B. durch ein Entsatzcorps an. – Die Befestigungen im Rücken der Alliirten, vom Dorfe Kadikoj sowohl auf dem Plateaurande nach Inkerman zu, als auch die östlich von demselben liegenden Verschanzungen zur Sicherung Balaklava’s und seiner Verbindung mit der Armee sind nicht anders zu betrachten, als eine aus einzelnen Werken bestehende Circumvallation. – Der Verlust zweier der östlich von Balaklava liegenden Redouten bedrohte daher die Verbindung der Alliirten mit ihrem Depot und mit ihren Schiffen auf das Ernsteste, und hieraus wird wohl erklärlich, warum die Russen so bedeutende Anstrengungen machten, auf dieser Seite noch mehr Fortschritte zu machen. – Fürchtet der Angreifer besonders starke und nachdrückliche Ausfälle der Besatzung, hauptsächlich gegen seine Materialiendepots, Parks, Munitionsvorräthe etc., so verstärkt er diese durch besonders zu ihrer Vertheidigung angelegte Werke, welche man insgemein als Contravallationslinien bezeichnet. Wenn es auch nicht mehr Brauch ist, die ganze Front des Angreifers mit einem Schanzengürtel umschlossen zu sehen, so verabsäumt derselbe jedoch nie, seine Vorräte etc. gegen jedes Mißgeschick auf das Sorgsamste zu verwahren (siehe Abbildung). *[1]

Von der Stellung der Belagerungs-Armee führen Verbindungswege nach den Belagerungsarbeiten.

Ungefähr 150 Ruthen (1300 Ellen) vom Fuße des Glacis wird in einer Nacht, nachdem die nöthigen Vorbereitungen dazu getroffen sind, ein den halben Umfang der Festung in weitem Bogen umschließender Verbindungsweg der einzelnen Angriffsarbeiten angelegt, welchen man die erste Parallele nennt, weil er ungefähr parallel mit dem äußersten Umfassungskreise der Befestigung geht.

Eine jede Parallele besteht aus einem hinreichend breiten, um einige Fuß in die Bodenoberfläche eingesenkten Wege, der dadurch die nöthige Deckung gegen feindliche Geschosse erhält, daß man das gewonnene Erdreich nach der Festung zu aufwirft und so eine mehr oder weniger kunstreiche Brustwehr erhält, die im Nothfalle auch von Infanterie vertheidigt werden kann.

Von der ersten Parallele geht der Angreifer auf den Capitallinien der angegriffenen Werke mittelst der Sape vor. Versteht man hier unter Capitale diejenige Linie, welche die Theilung durch die Spitze desselben bezeichnet, so versteht man andererseits unter Sape alle diejenigen Erdarbeiten, welche Fuß für Fuß vorrücken und unter steter Deckung gegen das feindliche Feuer vom schmalen Graben bis zum geräumigen Verbindungswege sich erweitern. Die Sape, deren verschiedene Gattungen durch entsprechende Beiwörter als flüchtige, halbe, völlige Sape etc. bezeichnet werden, wird von besonders dazu eingeübten Soldaten, den Sapeuren, z. B. dergestalt[WS 1] errichtet, daß der vorderste Sapeur unter dem Schutze eines großen Rollkorbes einen 11/2 Fuß breiten und eben so tiefen Graben aushebt, und die Erde aus selbigem nach der feindlichen Seite zu wirft. Der zweite, dritte und vierte Sapeur erweitern und vertiefen diesen Graben jeder um sechs Zoll, so daß derselbe drei Fuß breit und tief wird und durch die aufgeworfene, an der innern Seite durch aufgestellte Schanzkörbe verstärkte Brustwehr vollständig gedeckt ist. Bei dieser Sape ist es allerdings nothwendig, daß vorher der größere Theil der Festungskanonen zum Schweigen gebracht, da außerdem die anfangs nur schwache Brustwehr zu wenig Schutz gewähren würde.

Noch ist zu erwähnen, daß man die Sape in gebrochener Linie, im Zickzack führt, um keinen Theil derselben einer Seitenbestreichung durch das feindliche Feuer auszusetzen.

Die Parallelen, auch Laufgräben oder Tranchéen genannt, von denen nach hinreichendem Vorschreiten der Sapen eine zweite, am Fuße des Glacis eine dritte und häufig noch zwischen diesen eine halbe errichtet werden, nehmen die Artillerie auf, welche die vorliegenden Festungswerke beschießen, die Infanterie, welche den Gang der ganzen Arbeit gegen die Ausfälle der Belagerten decken soll.

Die in der ersten Parallele errichteten Batterieen sind die Rikochettbatterien. Sie liegen in der Verlängerung der einzelnen angegriffenen Linien und sind bestimmt, ihre Geschosse in höheren, kurzen Bögen zu schleudern, so daß dieselben die auf den Wallgängen befindlichen Traversen überspringen und die dazwischen stehenden Geschütze zerstören oder unbrauchbar machen.

In die zweite Parallele legt man die Demontirbatterieen. Fassen die Rikochettbatterien die angegriffenen Geschütze von der Seite, so greifen sie diese in der Front an; bestehen die ersteren meist nur aus drei Geschützen, so zählen diese meist acht; schleudern die ersteren meist Hohlgeschosse, so schießen diese Vollkugeln von 24 und mehr Pfunden Gewicht. Die Demontirbatterieen schießen gegen die feindlichen Scharten und zerstören diese wie die hinter ihnen aufgestellten Geschütze.

In der dritten, wie auf den Kapitalen in der ersten und zweiten und in den halben Parallelen werden Mörserbatterieen angebracht, um den inneren Raum der angegriffenen Werke mit Hohlgeschossen zu überschütten.

Ist der Angreifer bis an das Glacis vorgedrungen, so bemächtigt er sich desselben, um auf seinem Kamme die Breschbatterieen anzulegen. Sie liegen den angegriffenen Werken, nur durch den Graben getrennt, gegenüber, und bringen die Geschütze derselben vollends zum Schweigen, während sie zu gleicher Zeit den Wall derart durch ihre Geschosse zerstören, daß der Sturm desselben möglich wird.

Oft zwingen die Anstalten des Vertheidigers, die Abschnitte in den Werken, zu Wiederholung des Grabenüberganges und zu erneuter Errichtung von Breschbatterien auf den eroberten Werken. Doch wie sich der Angegriffene auch sträube, wie er durch immer neue und kräftige Ausfälle die Arbeiten des Belagerers zu zerstören, seine Fortschritte aufzuhalten suche: ihm fehlt der Ersatz an Mannschaften, Geschützen, Munition und Lebensmitteln, und wenn er nicht so viel Zeit durch seine hartnäckige Vertheidigung gewinnen kann, daß Entsatz von Außen ihm komme – – die Hülfsmittel des Angreifers sind bei der regelmäßigen Belagerung denen des Vertheidigers dergestalt überlegen, daß sich nach dem Verluste des Glaciskammes der Zeitpunkt wohl berechnen läßt, bis zu welchem eine Festung noch Widerstand zu leisten vermöge.

Angriff und Vertheidigung von Festungen haben durch Anwendung der Minen ein Element in sich aufgenommen, welches die Hartnäckigkeit, das Furchtbare in der äußern Erscheinung beider nicht wenig steigert. Zu dem Kriege über der Erde gesellt sich ein Kampf, der oft in den Minengängen schon blutig genug wird, dessen Hauptäußerung aber sich in Explosionen kund giebt, welche ganze Werke zerstören, riesige Gebäude in Schutthaufen verwandeln, und Hunderten von Menschen das Leben kosten.

Noch haben vor Sebastopol wenig Minen gespielt. – Aber diesem Kampfe, welcher in seiner ganzen Entwickelung alle Hülfsmittel der Kriegskunst aufbietet, um einestheils die Zerstörung und Einnahme dieses Waffenplatzes zu erringen, anderntheils sie auf’s Nachdrücklichste zu verhindern, wird es auch nicht an dieser Erscheinung fehlen, so wie die Arbeiten der Belagerer dem Kamme des Glacis näher rücken. – In dieser letzten Periode pflegt der Vertheidiger alle seine Hülfsmittel aufzubieten, um die Besitznahme, das Logement auf dem Glacis, zu verhindern und zu verzögern. – Der Kampf um Sebastopol hat schon Hunderttausende verlangt; es werden keine geringen Opfer sein, die noch von beiden Seiten werden gebracht werden, ehe die Stunde der Entscheidung schlägt.




  1. * Um den Lesern ein deutliches Bild einer regelrechten Belagerung zu geben, fügen wir eine Abbildung bei, die in übersichtlicher Weise veranschaulicht, was wir in Worten nur kurz andeuten können.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: dergestellt
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 346. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_346.jpg&oldid=- (Version vom 17.6.2023)