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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855)

Schiller in Volkstädt.

„Die Stelle, die ein guter Mensch betritt,
Die bleibt geweiht für alle Zeiten.“
 Goethe.



Immer, wo wir auch Schiller treffen mögen, finden wir ihn in dürftigen Verhältnissen, oft in beklemmender Lage, und nicht mit Unrecht vergleicht der Franzose Berlioz dessen Wohnung in Weimar mit der eines armen deutschen Studenten.

Nicht jene Armuth im Bettlergewande ist es, die uns rührt oder ergreift, das Genie, wenn es gegen äußere, mißliche Lagen kämpft, und zwar mit einem Stolze, mit einer Erhabenheit, die uns schon mit Ehrfurcht erfüllen müßte, wäre der Dulder auch nur ein gewöhnlicher Mensch. Die Welt hat leicht sagen: es war gut, daß dieser oder jener große Mann arm geboren wurde; doch für den großen Mann gab es gewiß Stunden solcher Entbehrung, in denen er vielleicht wünschte, weniger berühmt, aber sorgenfreier leben zu dürfen.

Die köstlichsten Perlen erzeugt die Schnecke im größten Schmerze, und so auch entsprangen schon die erhabensten Gedanken, die angestauntesten Worte aus tiefstem Seelenschmerze, aus den nagendsten Sorgen. Es giebt Pflanzen, die verwelken, sobald sie eine Blüthe getrieben. Der Mensch bewundert diese als eine außergewöhnliche Naturerscheinung, aber die Pflanze welkte doch. Tausende finden Trost, Freude und Entzücken an den Werken berühmter Männer, denken aber vielleicht nie daran, mit welchen Opfern, unter welchen Kämpfen die seltenen Perlen erzeugt wurden. – Wo du das Genie erblickst, siehst du auch die Dornenkrone; so erging es aber nicht allein dem deutschen Genius – alle Länder haben ihre großen Todten, denen die Nachwelt Denkmale errichtete, an deren Unglück aber die Zeitgenossen herzlos vorübergingen. Die alte wie die neue Geschichte, ist reich an darbenden Genies – der Portugiese Camoëns steht als erschütternstes Beispiel da – Chatterton, der bereite als elfjähriger Knabe den greisen Horace Walpole auf’s Eis führte, starb sogar eines unnatürlichen Todes, um nicht – verhungern zu müssen.

Das Geburtshaus Schiller’s in Marbach ist nicht viel mehr

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 353. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_353.jpg&oldid=- (Version vom 18.6.2023)