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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855)

als ein Bauernhaus, und prächtigere Paläste bewohnte er in der Folge fast nie, wenn ihm nicht einmal die Freundschaft ein würdigeres Asyl bot. Das Haus in Mannheim, das er nach seiner Flucht bezog, sieht zwar ziemlich respektabel aus, aber Schiller wohnte unter’m Dache; das bekannte Studirzimmer in Weimar trägt den Stempel der Gedrücktheit, und fast mit Verstimmnung betritt man die ärmliche Kammer in Gohlis, wo die Worte über der Hausthür: „Hier wohnte Schiller,“ fast wie ein Hohn erscheinen. Und so wie sein Leben unter mannigfachen Entbehrungen dahin floß, verkündete auch die Art und Weise seines Begräbnisses, daß nur ein armer Mann bestattet worden sei, man mag nun die Sache bemänteln wie man wolle. Jene vielbesprochene und vielgedeutete Gestalt, die im Dunkel und von ferne dem Sarge folgte, und die Gutzkow, wofür wir ihm Alle die Hand drücken dürfen, als den deutschen Genius bezeichnete – jene Gestalt war das einzige Wesen, welches dem großen Todten die letzten Ehren erwies; und jene Gestalt, deren Existenz überhaupt ja noch zweifelhaft, erfand man vielleicht nur, um nicht im Namen der Nation erröthen zu müssen, daß einer der größten Geister aller Zeiten wie ein Stadtarmer begraben wurde.

Solche Misere, die geneigt sind, den Menschen seiner Würde zu entkleiden, hafteten am Leben Schiller’s nur zu reichlich. Sie sind aber auch die Ursache, daß wir nicht allein mit Bewunderung auf ihn hinblicken, sondern auch mit innigster Theilnahme – ja mit Liebe; und in diesem Sinne war Schiller nicht allein ein Liebling der Musen, sondern auch der Liebling der Menschen. Den kleinsten Umständen seines Lebens folgt der Deutsche mit fühlendem Herzen und hängt mit innigerer Bewunderung an seinem Liebling, je mehr er ihn unter dem Drucke der Verhältnisse dulden und entbehren sieht.

So dachte sich auch wohl Thorwaldsen seinen Schiller als er dessen Statue für Stuttgart schuf. Nicht allein den Denker, nicht allein den tiefen, stillwaltenden Geist sollte das zur Erde geneigte Haupt bezeichnen – auch die physischen Leiden sind auf jenes Antlitz geschrieben, sie ruhen auf jenem gebeugten Nacken, auf der ganzen nachlässig-krankhaften Gestalt. – Während Goethe, dem das Glück vom Anfang bis zum Ende seines Lebens lächelte, der unter den größesten der glücklichsten Einer war – während er, fest und stark wie eine Eiche dasteht, gleicht Schiller der schlanken Ulme, die mancher Wind zur Erde beugte, mancher Sturm entblätterte. Zudem war, wie sein alter Schreiber bemerkt: „Der selige Herr Hofrath, so lange ich ihm diente, immer kränklich.“ –

Eine halbe Stunde von Rudolstadt liegt die „Schiller’s Höhe,“ auf einem mäßigen, waldumkränzten Berge. Ein Häuschen von Baumrinde steht dort, und in der Mitte der kleinen Plattform die kolossale Bronze-Büste des Dichters, von Dannecker. Jenseits der Saale, die ziemlich am Fuße der Anhöhe vorüber fließt, steht ein einsames Häuschen, frei vor dem Dorfe Volkstädt. Hier wohnte Schiller 1788, ein neunundzwanzigjähriger Jüngling. Wie die beiden Leonoren ein Glück darin fanden, dem lebensunpraktischen Tasso mit zarter Sorgfalt und fein beobachtendem Geiste an die Hand zu gehen, so unternahmen es damals auch die edeln Fräuleins von Lengefeld für unsern Dichter zu sorgen, indem sie ihm in dem kleinen Hause eine Behaglichkeit gründeten, die Schiller nicht dankbar genug anerkennen konnte. „Der Ort, die Lage, die Einrichtung im Hause,“ – schreibt er an seine Freundinnen, „Alles ist vortrefflich. Sie haben aus meiner Seele gewählt. Eine fürstliche Nachbarschaft hätte mir meine Existenz verdorben.“ – Aus seinem Zimmer übersah er die Ufer der Saale, die sich wie ein silbernes Band durch die Wiesen krümmt und im Schatten uralter Bäume dahin fließt. O, könnten diese Bäume erzählen von den abendlichen Gängen dieser drei Menschen, denen ihr Thal eine Welt dünkte, die, fern von dem Geräusche des Lebens, in dieser heiligen Ruhe ihr schönstes Glück fanden, und sich nach jeder Zusammenkunft nie ohne erhöhte gegenseitige Achtung trennten. In diesem Thale, in dem es still ist, wie in erhabenen Menschen, wandelte der nach Einsamkeit Sehnsüchtige und schuf hier die „Götter Griechenlands“ und „die Künstler,“ schrieb die „Briefe über Don Carlos“ und „Uebersetzungen aus dem Euripides.“ War er mit den Freundinnen zusammen, las er Homer, von dem er, wie von den andern großen Griechen, bisher wenig Notiz genommen hatte. Seine Jugendbildung hatte ihn nicht in dieselben eingeführt; sein späterer wechselvoller Lebenslauf hatte ihm keine Muse gestattet und keinen Anreiz gegeben, das Versäumte nachzuholen.

„Unter dem erwärmenden Lichte der Freundschaft, in der Abgeschiedenheit von dem Geräusche der Welt, war Schiller jetzt des ruhigen Gleichgewichtes der geistigen Kräfte theilhaftig, in deren Spiegel allein uns die alte Welt in ihrer wahren Gestalt vor das entzückte Bewußtsein tritt und er wurde jetzt nicht im Sittlichen, sondern nur im Aesthetischen durch seinen Homer beschämt, in dessen edler Simplicität er die von der Schönheit abgeirrte Künstelei seines Geschmackes erst recht klar erkannte. „„Ich lese jetzt nichts als Homer,““ schrieb er an seinen Freund Körner, „„die Alten geben mir wahre Genüsse; zugleich bedarf ich ihrer im höchsten Grade, um meinen eigenen Geschmack zu reinigen.““

Noch im Jahre 1844 lebte in Rudolstadt eine Häuslerswittwe, eine Frau hoch in die Siebenzig, welche nicht wenig stolz darauf war, „den gelehrten jungen Mann,“ wie sie Schiller nannte, gekannt zu haben, und die beiden „gnädigen Fräuleins,“ die ihn immer von der Stadt aus besuchten. Frau von Beulwitz beschrieb sie als eine schmächtige Dame; Charlottens von Lengefeld erinnerte sie sich jedoch weniger. Die sei simpler gewesen und meist neben oder hinterher gegangen, wenn die ältere Schwester mit dem Dichter im Gespräche war. Auch sah sie Schillern oft, wenn sie Waldbeeren suchen ging, den Ort besteigen, der jetzt „Schillershöhe“ heißt, und erzählte mit sichtlichem Entzücken, wie er ihr sogar einmal den Kopf gestreichelt habe, als sie an ihm vorüber gegangen. – Aus diesen Aeußerungen, so kurz und naiv sie gehalten sind, geht hervor, wie mächtig Schiller’s ganzes Erscheinen selbst auf Leute dieser Kreise wirkte, was uns noch erklärlicher wird, wenn wir eine Stelle aus dem Briefe seines ältesten Sohnes lesen: „Der Vater kam wenig zu uns in die Kinderstube, aber wenn er einmal kam, so war es uns immer, als träte ein höheres Wesen zu uns herein.“

„Es war der heilige Pfingsttag,“ so fuhr die Alte in begeisterter Gesprächigkeit fort, „und von dem jungen, gelehrten Manne war schon viel Redens im Dorfe, obwohl er nur erst kurze Zeit in seinem einsamen Häuschen wohnte. Damals war es noch Brauch, daß wir Kinder den Leuten, versteht sich nur den guten Leuten, Maienbäumchen vor die Thüren oder in die Stuben setzten, und dazu ein geistliches Lied sangen. Und so kam es auch, daß ich und meine Schwester Hannel (sie ruht schon seit zwanzig Jahren unter der Erde), dem neuen Miethsherrn einen Maibaum in die Stube brachten, der so groß war, daß sich die Zweige oben an der Decke umbogen. Ich weiß das noch wie heute. Aber der Herr Schiller war noch auf seiner Höhe, und wie wir wieder aus dem Hause traten und uns freuten, den großen Baum so gut in die kleine Stube gebracht zu haben, sahen wir ihn vom Berge heruntersteigen. Nachher hat er lange noch am Fenster gestanden und hinausgesehen in den Thalgrund. Er hatte ein blasses, geisterhaftes Gesicht und seine Haare waren gelb und lang, nicht gepudert und zusammengedreht, wie es die vornehmen Herren in der Stadt thaten.“

So weit die gewiß ehrliche Berichterstatterin. –

Nicht immer, wie wir vorausschickten, war Schiller von grünenden Maien umgeben – wandelte er nicht die größte Hälfte seines Lebens auf Dornen? – Gesteigert in seinen Empfindungen durch das Freundschafts-Verhältniß zu den beiden Schwestern, war sein Lächeln wohl ein glücklich-zufriedenes, als er beim Eintreten in seine Stube das frische Laub erblickte, das ihm fromme Christensitte brachte. O hätte der Dichter doch viele solcher Maientage erlebt, wir würden oft mit weniger Schmerz auf sein Leben blicken, das der Leiden viele in sich schloß und der Freuden so wenige.

H. K–g.



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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 354. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_354.jpg&oldid=- (Version vom 18.6.2023)