Seite:Die Gartenlaube (1855) 362.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1855)

Verbrechen gegen das Eigenthum, die Ehre und das Leben meiner Unterthanen begehen u. s. w. sind sie nur als Räuber und Mörder anzusehen, und als solche zu bestrafen.“

Nicht gar selten desertiren ganze Haufen und ziehen auf eigne Faust, d. h. als Räuber umher. Im Kampfe gegen den Feind benutzt man sie meist nur als Kanonenfutter, und wirkliche wesentliche Dienste haben sie in dem Kriege bisher nur dadurch geleistet, daß sie fortwährend in kleinen Abtheilungen tollkühn über die Donau setzten, die Russen neckten, ihnen keine Ruhe gönnten und unaufhörlich kleine Verluste beibrachten. Neuerdings haben sie bei Eupatoria nicht unwichtige Dienste geleistet.




Pariser Bilder und Geschichten.

Die unbekannten Gewerbe.
Der Vogelprofessor. – Katzenkoch. – Die Schälerin. – Noch ein Wort über den Hirten zwischen vier Zimmerwänden. – Der Knochenfabrikant. – Der Enterer. – Der Unternehmer von Gesetzbüchern.

Kennt Ihr Herrn Beaufils? Ein interessanter Mann. Herr Beaufils ist ein fast schon gebrechlicher Alter, der nur selten spricht, aber dafür ohne Unterlaß pfeift. Seine Fabrik besteht in einem ungeheuren Vogelkäfige; überall sieht man bei ihm nichts als Nachtigallen, Canarien und Hänflinge. Alle Mauern sind mit Käfigen behängt; auf allen Möbeln stehen sie, an der Decke hängen welche, die Fenster sind damit ausgestopft. Die Ohren summen Einem von diesem Gezwitscher.

Mitten im Zimmer steht ein Thronhimmel, unter den sich der Herr Professor stellt, um seinen musikalischen Curs zu halten. Sein kleines Orgelkästchen auf den Knien, mit der ernstesten Miene von der Welt trägt er dann seine Romanzen und Opernarien auf: „Die Wolke sinkt, mein Schäferkind!“ oder „Ein Ritter der muß tapfer sein,“ oder „Es war um halber halber Neune“ u. s. w.

Ein gewöhnlicher Canarie kostet 30 Sous, ein holländischer oft 3 Franks. Wenn er aber aus den Händen des alten Beaufils kommt, der seine Erziehung vollendet hat, steigt bei Liebhabern der Preis oft auf’s Vierfache.

Herr Beaufils nimmt Zöglinge in Kost und leitet die Erziehung auch außer Haus. Zu diesem Zwecke leiht er vollkommen dressirte Canarien aus, die man dann mit einem Neulinge zusammen einsperrt, den man erziehen will. So kann ein Canarie sechs bis acht Wochen seinen Conservationscurs durchmachen. Er singt dann ganz erträglich zwei bis drei Arien und ist erster Tenor oder Soprano in seiner Art. Um auf diese Weise seine Roger und Frezzolini zu bilden, läßt sich Herr Beaufils 5 Franks für eine vollständige Erziehung zahlen, oder 10 Sous die Woche für’s Ausleihen seines kleinen Professors.

Die Singschule Herrn Beaufils liegt in einer Gasse nahe beim Temple; dieses Quartier hat er gewählt, weil die Weiber des Temple-Marktes und alle ihre Arbeiterinnen ganz närrisch auf dieses Geflügel sind, seit Eugen Sue mit seiner Rigolette die Canarien in die Mode gebracht hat.

Uebrigens sollte man kaum glauben, wie sehr die Pariser alle Arten von Thieren hätscheln, die Pferde ausgenommen. Viele Leute legen sich alle Arten von Entbehrungen auf, um einen Hund, eine Katze, eine Elster oder einen Papagei aufzuziehen etc. … darauf beruhen nun gewisse Gewerbe. Ich kenne eine ganze Familie, wo alle Glieder sich damit beschäftigen, Thiere aufzufangen und ihrem Herrn heimzuführen. Denn täglich versprechen die Anschlagzettel 25, 50, 100 Franks selbst für einen verlaufenen Mops u. s. w., während so viele Männer und Weiber sich in unserm socialen Leben verlieren, ohne daß Jemand einen Franks dafür anbietet. Die Nahrung der Katzen allein ist in den volkreichen Quartieren ein ganzer kleiner Industriezweig.

Davon lebt unter Anderem Bernier und seine ganze Familie; er macht im eigentlichen Sinne des Wortes Katzenrindfleisch. Der Mann ist ein Kind der Auvergne; früher Kohlenhändler, hat ihn ein Zufall aus dieser Stellung in diejenige geschleudert, in der er sich jetzt befindet.

Er wohnt in einem guten Arbeiterviertel; in jedem Hause gab es Hunde und Katzen; es fiel im ein Rindfleisch für die Einen, Pasteten für die Andern zu fabriziren, und fügte zu dieser Profession noch die eines kleinen Handels mit Kalbsköpfen hinzu. Bald stand sein Ruf in diesem Quartier auf soliden Füßen; die Kunden kamen in Masse in seine Boutique. Heutzutage würde man glauben, seinen Hund oder eine Katze schlecht zu traktiren, wenn man nicht sein Essen von Bernier kommen ließe; wenigstens im Quartier des Temple gilt das als Grundsatz. Bernier ist dort das Faktotum. Von Bernier versorgen sich manches Haus entfernter Quartiere, und manche Angorakatze einer Gräfin tafelt die Pasteten Bernier’s, die ein livrirter Bedienter eigends geholt hat. Die Boutique Bernier’s trägt die bescheidene Aufschrift: „Zur alten und wahren Viehkost.“

Jetzt werde ich Sie in die erheiternden Künste einführen, in den Artikel Phantasie, in das utile dulci, wie die Lateiner sagten. Kommen Sie zu Madame Vanard, sie war im Stande, diese schwierigen Dinge in einer einzigen Profession zu vereinigen.

Da sollte ich Ihnen eigentlich eine ganze rührende Geschichte von einer jungen Wittwe von achtzehn Jahren erzählen. Ihr Mann, der seiner liebenswürdigen Frau den nöthigen Wohlstand und einigen Luxus verschaffen wollte, hat sich zu Tode gearbeitet. Er hatte eine eine kleine Destillation errichtet, wo er für die Parfümeurs und Confiseurs arbeitete. Während der wenigen Tage des glücklichen Zusammenlebens der beiden jungen Gatten hatte die junge Frau vor lauter Zusehen endlich einige sogenannte chemische Geheimnisse gelernt; sie hatte es dahin gebracht, daß sie ihren Mann bei seinen Flaschen und Tiegeln ersetzen konnte, wenn er abwesend war. Trotz ihrer Untröstlichkeit wollte sie daher auch seinen Handel fortsetzen. Sie erinnerte sich, daß ihr Mann ihr oft bei Gelegenheit eines kleinen Diners im Restaurant, das er sich manchmal gönnte, beim Anblick der Citrone gesagt hatte: „Ein gescheidter Mann könnte in Paris sein Glück machen, rein nur mit solchen Schalen, die man wegwirft.“

Madame Vanard war gescheidt; sie nahm einen Korb unter den Arm und durchzog die Montorgueil-Gasse, dieses Land der Austern. Wenn die Lumpensammler die Kehrichthaufen nach allen Seiten umgekehrt hatten, um ihre Beute herauszuziehen, begann sie ihre Arbeit. Nachdem die Kellner der Restaurants mehrere Male bemerkt hatten, daß eine junge Frau mit so großer Aufmerksamkeit dort suchte, wo so viele andere Leute vorüber gegangen waren, versprachen sie ihr, in Zukunft die Schalen der Citronen und Pomeranzen bei Seite zu legen. Dasselbe thaten die Auskehrer der Theater.

Kurz, Madame Vanard brachte ihre kleine Werkstatt zusammen und nahm Aufklauber und Aufklauberinnen in Sold. Diese Werkstatt habe ich gesehen. Stellen Sie sich ein großes Zimmer vor, das von unten bis oben mit geflochtenen Hängematten bekleidet ist, und auf diesen Flechtwerken Millionen von Stückchen von Pomeranzen- und Citronen-Schalen. Mitten in diesem Zimmer sitzen um den Tisch zwanzig Mädchen, die unter Geplauder, Gelächter und Gesängen die Schalen ausläufeln. Dann giebt man sie in Säcke, in Kistchen und in große Kisten. So heißt die Schale nun Rinde. Von hier wird diese Rinde dann nach dem Auslande, in gewisse Fabriken von Paris geschickt und in die Provinz, wo nur holländischer Curaçao, Citronensyrup, Orangeade, Citronade, Limonade, Citronenessenz u. dergl. fabrizirt wird. Das ist nun die Industrie, womit eine liebenswürdige Creatur Glück gemacht hat, so daß sie nun ihrem Hange nachgehen und Kunst und Literatur pflegen kann, wöchentlich einmal eine Loge in der Comédie française und in der großen und italienischen Oper halten kann.

Es giebt noch eine andere Wittwe, die freilich nicht so jung und nicht so hübsch, nicht so gescheidt und am Allerwenigsten so elegant ist als Madame Vanard, aber doch Gelegenheit gefunden hat, sich ein anständiges Vermögen zu schaffen und zwar mit nichts Geringerem als mit dickem Kehricht. Die Wittwe Thibaudeau ist „Pächterin der Stiegenkehrung“ und zahlt mithin Arbeiter um die

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 362. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_362.jpg&oldid=- (Version vom 21.6.2023)