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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855)

„Wahrlich nicht!“ entgegnete lachend der Gärtner, und selbst die so sehr sich quälende Frau lachte.

Piet wurde roth, wie mit Blut übergossen, als er sah, wie es gemeint war, und lief eilig von dannen.

Der Brief wurde dann geschrieben, und die Mutter rastete nicht, bis alle ihre Bedenken, Wort für Wort darin standen, damit Elsje, wenn es etwa an Manches nicht sollte gedacht haben, darauf aufmerksam würde, besonders auf das Bette und feine Laken und auf das nöthige kostbare Geräthe für das Stüblein und für die Speisen der edeln Frau.

Alle diese Sorgen waren rein überflüssig, denn Kisten und Kasten waren bereits an Bord des Lammetje, welches damals gerade an dem Kanale auslud, der unfern des prachtvollen Hauses des gefangenen Rathspensionärs sich befand. Mit ihrem Bruder Claas besprach Elsje noch das Nöthige, ehe dieser Rotterdam verließ, damit er alle beängstigenden Zweifel ihrer Mutter im Voraus löse und die Sorge, welche aus des Vaters Brief hervorleuchtete, aufhebe oder in ihrer völligen Nichtigkeit zeige.



V.

Het Lammetje war abgesegelt mit Kisten und Kasten für Frau de Groot, und Elsje hatte mit ihrer Umsicht so gesorgt, daß der Mutter auch nicht die kleinste quälende Sorge übrig blieb; aber seit diesem Tage war Vieles anders geworden für Frau de Groot und Manches hatte einen freundlicheren Anstrich gewonnen. Der Commandant von Löwenstein mußte, wie es schien, berichtet haben, wie Herr de Groot durch Langeweile mehr geplagt werde als durch seine Haft. Trotz des Parteihasses erkannte man die hohen Verdienste des gelehrten Mannes an und gestattete ihm, zu lesen und zu schreiben. Zum Lesen aber gehören Bücher. Es wurde ihm dann auch gestattet, seiner Gattin zu schreiben, natürlich in einem unversiegelten Briefe, welche Bücher er aus seiner Büchersammlung oder aus der der Universität Leyden zu haben wünsche.

Das war ein rechter Trost für das leidende Gemüth der unglücklichen Frau. Sie hörte, daß er ohne Fesseln sei; daß er menschenfreundlich behandelt werde, daß ihm jetzt auch Arbeit und täglich freie Bewegung auf den Wällen und Bastionen der Festung gestattet worden sei. Wie dankte sie Gott für diesen Trost! Und wie eilte Elsje, die Bücher in einen breiten und langen Kasten zu packen, die er zu haben wünschte!

Den Kasten sandte sie nach Gorkum an Baas Daatselaar mit einem Schreiben, daß Piet van Halver ihn nach Löwenstein führen möge und in die Hände des Commandanten abliefere.

Frau de Groot hatte den Gedanken, sich heimlich nach Gorkum zu begeben, einem Freunde ihres Gatten vertraut. Mit großem Erstaunen blickte sie dieser an und sagte. „Warum denn aber heimlich, Mevrouw? – Ihr seid ja völlig frei und Herr über Eure Handlungen. Keine Menschenseele wird es Euch wehren, Euch hinzubegeben, wohin es Euch beliebt. Und wer weiß, wenn einmal die erste Zeit vorüber, die erste Leidenschaft verraucht ist, ob man Euch nicht gestatten wird, Euern Eheherrn zu besuchen? Entfernet Euch aber ja nicht heimlich. Das könnte gar schlimmen Einfluß auf ihn und Euch haben. Nein, zeigt’s vielmehr dem jetzigen Rathspensionär schriftlich an, Ihr würdet Euch nach Gorkum zurückziehen in die Stille, welche Euerer Lage mehr zusage als das Geräusche Rotterdams, und – um Eurem Herzen zu genügen, das vielleicht ruhiger sich in das schwere Geschick ergebe, wenn es wisse, es schlage in der Nähe des Mannes, mit dem Euch Gott verbunden und mit dem Ihr gern die Einsamkeit der Haft theilen möchtet, wenn nicht ein härterer Spruch es Euch versagte.“

Das war gewiß ein guter Rath, und Frau de Groot erkannte ihn dankbar als solchen an und befolgte ihn getreulich. Wenn völlig unbeachtet blieb, so dachte doch Niemand daran, ihr die Uebersiedelung nach Gorkum zu wehren.

Demnach brachte sie mit Elsje’s Beihülfe ihre Sachen in die bestmöglichste Ordnung; übertrug dem Freunde, der ihr so gut gerathen, die Oberaufsicht über Alles und ließ ihre treuen Dienstboten im Hause. Dann erst rat sie allein mit Elsje die Reise an, die es denn nicht versäumt hatte, sie mit der Armuth ihrer Aeltern, der Enge der Räumlichkeit, da sie wohnen würde, und Allem bekannt zu machen, was etwa einen unerwartet übeln Eindruck auf sie hätte machen können, wenn sie es vorher nicht gewußt hätte.

Die Reise von Rotterdam bis Gorkum hatte in jenen Tagen eines ungemeinen langsamen Verkehrs eine Langweiligkeit, die nur ein niederländisch Gemüth in Ruhe und Ergebung tragen konnte. Sie wurde nur mit Trekschuiten, was einfach Ziehschiff heißt, vollbracht. Bald hielten sich begegnende Fahrzeuge auf; bald riß ein Tau; bald mußte eine Ophalbrug oder Zugbrücke entfernt werden. Ging es dann ruhig und sanft, aber langsam und besonnen weiter, so hatte man vom Schiffe keine andere Aussicht als wider den nahen Damm. Eine Unterbrechung war es, wenn eine Windmühle, das Wahrzeichen Hollands, sichtbar wurde, deren Flügel entweder schlaff und träumerisch herabhingen und hinauf starrten oder sich träge, manchmal aber in raschem Wirbel bewegten, wenn ein lebhafter Land- oder Seewind scharf in die Flügel fuhr.

Da saßen denn Frau de Groot und Elsje, die Füße auf dem wärmenden Stoofje oder verschlossenem Kohlenbehälter, neben sich das, hochdeutsch kaum anständig zu nennende Kwispedoosje, und unterhielten sich entweder leise oder starrten die Dämme und Windmühlen an oder schliefen sanft in einer Siesta, welche zwei Dritttheile des Tages einschloß. Eine Stadt oder ein Dorf weckte sie dann und bot wenigstens auf einige Zeit eine angenehme Unterhaltung, die jedoch bald wieder bei dem Charakter der Landschaft versiechte.

Endlich erschien Löwenstein und die Thürme von Gorkum. Das war ein Anblick, der das Herz ergriff und in seiner Tiefe erschütterte. Wie manche Thräne rann über die schönen, wenn auch bleichen Wangen der gebeugten Frau! Sie hatte sich vorgenommen, ihrem Schmerze den Ausbruch zu versagen; aber wie war das eine Selbsttäuschung! Wie pochte das Herz so stürmisch und wie fühlte es gerade jetzt, so nach dem geliebten Manne, die Trennung so hart und schwer!

Auch Elsje’s Herz pochte fast gewaltig.

Die Zeit, in der sie die Ihrigen nicht gesehen, war ihr wie eine Ewigkeit erschienen. Jetzt, so nahe, wollte die Sehnsucht sich nicht bewältigen lassen. Als sie hinausblickte, stand Piet da. Piet, ihr Piet, an dem ihre treue Seele hing. Es schien, als wolle er mit seinem glänzenden, blauen, großen Auge das Bord der Trekschuit durchdringen, um zu sehen, ob sein „Meisje“ darinnen sei (sein Mädchen). Wie war er frisch und blühend, wie stattlich und gut gekleidet; zwar braun, aber doch so schön! Und jetzt erst erkannte sie ihre beiden jüngeren Brüder; prächtige, kräftige Buben, mit den guten treuen Zügen, wie Jan und Claas, und hinter ihnen stand der Vater und die Mutter, beide frisch und gesund und wohl aussehend, im Gesichte den Ausdruck gespannter Erwartung. Sie zitterte vor Freude. Die Thränen traten in ihre Augen und sie dankte dem Herrn für das Glück. Aber fragte sie sich selbst, was sind das für zwei bildhübsche, blühende Mädchen neben der Mutter?

Nach wenigen Minuten des langsamen Näherrückens hätte sie fast laut aufgeschrien, denn sie erkannte ihre jüngern Schwestern in den lieblichen Mädchen.

So war hier die Freude, die ein Herz im tiefsten Grunde aufregte, dort das Leid, was Gleiches hervorbrachte, wenn auch in anderem inneren Wesen, und wie die Augen Maria’s de Groot unverrückt an den Mauern und Thürmen Löwensteis hingen und forschten, wo des geliebten Gatten Leidenszelle sein möge, so hingen Elsje’s Blicke nur an der lebensvollen Gruppe auf dem Damme, und hier rieselte eine Thräne tief empfundenen Wehes und einer Sehnsucht, deren Ziel unerreichbar erschien, über die Wange; dort im Auge des Mädchens glänzte ein eben so heiliger Juwel, eine Thräne dankbarer Freude und einer Sehnsucht, deren Ziel wenige Minuten später in den Umarmungen herzlicher Liebe erreicht war.

Die Freude des Wiedersehens war groß, und doch war ein so richtiger Takt in dem einfachen Ehepaare, daß sie nach kurzer Begrüßung ihres Kindes, dem Unglück eine Huldigung darbrachten, die ihrem Herzen Ehre machte und die Frau de Groot mit feinem Gefühle anerkannte und zu würdigen wußte.

Piet’s Seele saß im Auge. Elsje war tausend Mal schöner geworden und doch so einfach geblieben, wie in Gorkum, und so liebevoll, wie am Scheidetage. Wie hatte sie ihn in’s Auge geblickt, wie seine Hand gedrückt! Piet war reicher als ein Großhändler zu Rotterdam und hätte mit keinem dieser Mynheers getauscht.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 368. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_368.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)