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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855)

Blätter und Blüthen.

Der Ocean auf dem Tische. [1] (Wie macht man künstliches Seewasser?) Nach dem alten Gebote der Bibel: „Herrschet über die Erde und machet sie euch unterthan!“ und nach der von Hegel aufgestellten Forderung: „Die Natur muß sich dem Menschen ergeben“, hat man neuerdings denn auch ernstlich angefangen, in deren Inneres zu dringen, nicht „glücklich, daß sie uns nur die äußere Schale weist.“ Dieses Glück pries nur der große Philister Haller. Statt der bloßen Schale lieber nichts. Uebrigens „hat Natur weder Kern noch Schale, Alles ist sie mit Einem Male“, wie Goethe sang.

Zu den interessantesten und reichsten Eroberungen der Naturwissenschaft gehört der unterworfene, erdumgürtende Ocean. Das geheimnißvolle, wunderreiche Leben seiner Tiefen glänzt jetzt in englischen und schottischen Putz- und Besuchszimmern statt der Blumentöpfe und Pottichimanie. Zwischen hellen, durchsichtigen Krystallufern vor uns in Polster- und Sammetstühlen blühen die lebendigen, umherwandelnden Thierblumen oder Pflanzenthiere. Wir können den See-Anemonen in den Mund sehen, wenn sie das ihnen dargereichte Stückchen Fleisch verzehren. Fleischfressende Blumen! Wir haben die graziösen Bewegungen und Formen- und Farbenmetamorphosen der Zoophyten, der Crustaceen, Mollusken und Polypen, die Jahrtausende in dunkeln, uns unzugänglichen Tiefen walteten, in all ihrer Eigenthümlichkeit naturwahr und leibhaftig vor uns. Der tyrannische, allgewaltige, unbändige Ocean fluthet auf unserem Tische als die unerschöpfliche Freudenquelle unserer Gesellschaften, unserer Einsamkeit, ohne daß wir uns nur die Füße naß zu machen oder ihm gar den üblichen Tribut aus unserm Magen zu opfern brauchen.

Wir haben gelernt, das Seewasser künstlich zu fabriciren, es in gläsernen Gefäßen erst mit der nöthigen Vegetation zu bevölkern und dann die Bewohner der Tiefe darin anzusiedeln, und sie comfortabel und als unsere Stubenfreunde zu halten und zu pflegen. Wie macht man zunächst künstliches Seewasser? Wie die Natur es macht. Nur daß wir mit Hülfe der Chemie schneller und genauer fabriciren, als die Natur. Diese hat das Seewasser an verschiedenen Stellen etwas verschieden zusammengesetzt, nach Bibra’s genauen Untersuchungen je hundert Theile so:

Großer Ocean.      Atlant. Meer.       Nordsee     
Wasser 96,5292 96,4481 96,5617
Chlornatrium (Kochsalz) 02,5877 02,7558 02,5513
Bromnatrium 00,0401 00,0326 00,0373
Schwefelsaures Kali (Glaubersalz)  00,1359 00,1715 00,1529
Schwefelsaurer Kalk (Gyps) 00,1622 00,2064 00,1622
Schwefelsaure Magnesia 00,1104 00,0614 00,0706
Chlormagnesium 00,4345 00,3260 00,4641
100 Theile. 100 Theile. 100 Theile.

Wie schon in dem frühern Artikel erwähnt ward, legte Mr. Gosse, Professor der Naturgeschichte an der Universität zu Edinburg, der eigentliche Schöpfer der Privat-Marine-Aquarien, die Schweizer’sche nur sehr wenig abweichende Analyse zu Grunde und machte das erste künstliche Seewasser auf folgende Weise (Alles in Troy-Gewicht). Er mischte 31/2 Unzen gewöhnliches Kochsalz mit 1/4 Unze Epsomsalz, 200 Grans Chlormagnesium, 40 Grans schwefelsauren Kali und das Ganze mit 4 englischen Quart Wasser. Bromnatrium, schwefelsauren Kalk und schwefelsaure Magnesia ließ er ganz aus dem Spiele, da ersteres im mittelländischen Meere ganz fehlt und die beiden anderen Bestandtheile theils nur in sehr geringen Quantitäten vorhanden sind, theils wegen ihrer Unlöslichkeit im Wasser nicht nothwendig zur Qualität des Seewassers gehören und für das thierische und vegetabilische Leben entbehrlich erschienen. Die erste Gallone dieses so componirten Seewasseers (21. April vorigen Jahres) kostete ihm 51/4 Pence, noch nicht 5 Sgr. Am folgenden Tage filtrirte er die Hälfte davon durch einen Schwamm in ein Glasgefäß und bedeckte dessen Boden mit reingewaschenen Steinen vom Meeresufer und einige Steinfragmente, an denen sich etwas maritime Vegetation („Ulva latissima“) angesetzt hatte.

„Ich wollte,“ schreibt er, „nicht sofort Thiere hinzufügen, da ich es für nothwendig hielt, daß sich das Wasser erst etwas mehr mit den zerstreuten Sprossen der Ulva familiair mache und es für einigen Vorrath von Pflanzenkost sorge. Dies ist ja auch die Tagesordnung der Natur: erst Pflanzen, dann Thiere. Bald bedeckten sich denn auch die innern Wände mit den Sprossen der Ulva, und Bläschen von Sauerstoff entwickelten sich bald zahlreich unter dem Einfluß von Sonnenstrahlen. Nach einer Woche übergab ich dem Wasser mehrere Arten von Zoophyten (Pflanzenthieren), bestehend in Species der Actinia, Bowerbankia, Cellularia, Balanus, Serpula u. s. w., dazu einige rothe Seegewächs. Das Ganze gedieh und entwickelte sich von Tage zu Tage in freudigster Gesundheit und Kraft, so daß ich manchen neuen Bewohner der Tiefe hinzufügte. Nach 6 Wochen untersuchte ich meinen künstlichen Ocean auf dem Tische und dessen Bewohner auf das Genaueste, und fand letztere alle in bester Gesundheit. Nur einige Polyzoa, nämlich Crisea aculeata, Cellepora pumicosa und Pedicellina Belgica konnte ich nicht finden, obgleich ich glaubte, daß sie sich nur zwischen den Steinen und Gewächsen zurückgezogen hatten, da alle andern Thiere sich offenbar ganz wohl befanden.“

So war das künstliche Seewasser durch seine erste Prüfung gekommen. Seitdem haben sich die prächtigen Gesellschaftszimmer der gebildeten Schotten und Engländer auf das Mannigfaltigste mit Vivarien, Marine-Aquarien, belebten Oceanen auf dem Tische in glänzenden, zum Theil kostbaren Krystallgefäßen gefüllt, und es gehört nun zum besten Tone, die Prachtzimmer mit solchen Oceanen voller Wunder der geheimnißvollen Tiefe und der feenhaftem Schöpfungen zwischett Thier und Pflanze zu schmücken. In London hat man das prächtigste, großartigste Ideal dazu im Zoophyten-Hause des zoologischem Gartens im Regents-Parke. Die einzelnen kleinen Meere findet man hier in geradwändigen Glasgefäßen, da Rundungen und Krümmungen das Licht so reflectiren, daß sich die natürlichen Gestalten und zierlichsten Bewegungen der Bewohner inwendig zu sehr verschieben. Eine bestimmte Gestalt der Glasgefäße ist überhaupt nicht nöthig, wenn Wasser, Thiere und Pflanzen nur Raum und Nahrung haben. Im Zoophyten-Hause wird das Wasser im Durchschnitt nur alle vier bis sechs Monate durch frisches ersetzt. Das innere Leben erhält es frisch und kräftig.

Was die Fabrikation künstlichen Seewassers betrifft, kann sie unter Zuziehung eines Chemikers keine Schwierigkeit haben. Man kann sich aber, wie mich ein Chemiker versichert, die Sache sehr leicht machen, wenn man eben so zu Werke geht, wie die Natur. Woraus hat die Natur Seewasser gemacht? Durchaus nur aus Steinsalz, und so meint er, daß man z. B. 961/2 Loth Wasser auf 31/2 Loth Steinsalz (oder Salinenflüssigkeit aus Salzwerken) gegossen, jedenfalls ganz gutes Seewasser bekommen werde. Wenigstens kann man diesen wohlfeilen Versuch machen und dann chemisch und praktisch durch Einführung vegetabilischen und animalischen Lebens probiren.

Die erste Einführung der nöthigen vegetabilischen und animalischen Bewohner dürfte in Deutschland die meiste Schwierigkeit haben. Aber es kömmt auch nur auf Ueberwindung dieser ersten Schwierigkeit an, die mit etwas Geld, Interesse und naturwissenschaftlicher Bildung leicht zu bewältigen sein wird. Dieser erste Schritt würde sich auch kaufmännisch als sehr lohnend erweisen, wenn etwas Kapital, Capacität und Geschmack sich vereinigten, einige Marine-Aquarien von England zu importiren und deren Bewohner sich fortpflanzen und mehren zu lassen, bis man sie fix und fertig in verschiedenen Größen und je nach der Schönheit und Seltenheit ihrer Bewohner dem Publikum zum Kauf anbieten könnte.

Der in London lebende Einsender dieser Zeilen ist gern erbötig, das Seinige dazu beizutragen, und namentlich Männern der Wissenschaft und Familien, welche Lust haben, diese schönste Art von Zimmerdecorationen einzuführen, mit Rath und That beizustehen. Mein lieber Freund, Herr Ernst Keil, wird gewiß ebenfalls gern bereit sein, das Publikum und mein Anerbieten darin zu unterstützen und etwaige Anfragen und Briefe annehmen und an mich befördern. Wo mein Wissen und guter Wille nicht ausreicht, kommt mir Professor Gosse in Edinburg gern zur Hülfe.




Blumen-Luftschlösser. Ein Kunstgärtner in einer Vorstadt von Versailles wollte gern etwas Besonderes von Kunst zeigen und bemühte sich namenlich, Mittel zu finden, um die natürliche Größe von Blumen weit über deren natürliche Grenzen auszudehnen. Aber überall stieß er bald auf ein: „Bis hierher und nicht weiter!“ Er fragte aber: „Warum denn nicht weiter?“ und ging weiter, zunächst mit vollen Veilchen. Er nahm an, daß sich die delikaten Organe derselben wegen des großen Luftdruckes nicht weiter vergrößern ließen und kam daher auf die Idee, sie in höhern Regionen zu ziehen. Da nun aber um Versailles ihm keine hohen Berge zu Gebote standen, machte er sich von Luft einen Berg und baute ein Gewächshaus auf diesen Berg. Dieses Kunststück fing er so an: Er füllte einen Luftballon und ließ ihn an einem starken seidenen Faden 1200 Metres hoch steigen und in dieser Höhe halten. An den Ballon hatte er einige Töpfe mit vollen Parma-Veilchen mit gehörigem Schutze vor dem Winde gebunden. Nach einem Monate schraubte er den Ballon wieder herunter und fand statt der kleinen Parma-Veilchen wahrhaft prächtige blauen Veilchen-Rosen, so groß wie Centifolien. Man sieht also, daß man nicht nur Luftschlösser bauen, sondern sie auch mit Vortheil für praktische Zwecke verwerthen kann. Wenn sich das bestätigt, werden gewiß bald eine Menge Gewächshäuser auf Berge von Luft gebaut. Ist der betreffende Ballon groß genug, kann man auch oben im Blumensaale des Aethers Kaffee trinken, wenn man vielleicht eine Strickleiter oder einen Flaschenzug anbringt, um die Gäste hinauf- und herunter zu befördern. Dazu kommt jedenfalls noch die Kunst, Luftballons oder Luftschiffe beliebig zu lenken, da doch der gemeinste Vogel es schon so weit gebracht hat, selbst dem Winde entgegenzufliegen. Und dann ist’s auch ein Spaß von einem Luftschlosse in’s andere zu fliegen, dort ein Schälchen Kaffee mitzutrinken und dann gemüthlich durch die Luft nach Hause zu fliegen. Wir nehmen dabei schon als ausgemachte Sache an, daß manche Herrschaften sich überhaupt oben unterm Luftballon werden häuslich eingerichtet haben, da sie mit solchen Häusern und Wohnungen vor allen Dingen die Auslagen für eine Baustelle sparen. Ein guter, solider, gehörig großer, von drei Seiten an die Erde gebundener Luftballon kann sehr gut eine hübsche Sommerwohnung tragen, die man sich mit riesengroßen Blättern und Blumen umblüht und beschattet denken kann. Es muß sich da oben ganz herrlich wohnen, zumal da kein Magistrat und kein Staat Grundsteuern von solchen Häuser verlangen kann.



  1. Vergleiche Nr. 4 der Gartenlaube. Wir erweitern und corrigiren hiermit die dort gegebene erste Anregung um so lieber, als sich Interesse dafür gezeigt hat, und einige Druckfehler darin stehen geblieben waren.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 376. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_376.jpg&oldid=- (Version vom 22.6.2023)