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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855)

No. 29. 1855.
Die Gartenlaube.
Illustrirtes Familienblatt. – Verantwortl. Redacteur Ferdinand Stolle.
Wöchentlich 1½ bis 2 Bogen. Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 12½ Ngr. zu beziehen.

Elsje.
Eine niederländische Geschichte von W. O. v. Horn.
(Fortsetzung.)

Piet und Elsje lebten glückliche Tage, aber dennoch trübte das Leid der unglücklichen, von Allen verehrten Frau solche Stunden und Tage.

„Ist denn gar keine Hoffnung, daß der arme Gefangene je begnadigt, je erlöst würde aus jener trostlosen Lage? Ein so gelehrter, verdienstvoller, frommer Herr!“ sagte er eines Tages, da er mit Elsje allein im Schatten eines Baumes im Garten saß. Es war ein Sonntag, wo er ruhte von den Anstrengungen der Woche.

„Ich wüßte nicht im Entferntesten, wie es zugehen solle. Mevrouw hat mir das selbst gesagt, und darum ist sie so gebeugt,“ erwiederte Elsje.

„Ist er denn mit Recht, ob einer Schuld verdammt?“ fragte Piet wieder.

„Nein, nein,“ sagte Elsje. „Sein Leben ist makellos, aber er ist ein Remonstrant, wie Du weißt, und das ist seine Schuld, daß er in seinen Glaubensgrundsätzen mit den Dortrechtern nicht stimmt.“

„Das allein?“ rief Piet.

„Ja, das allein, und es reicht hin, den verdammungssüchtigen Menschen die Mittel zu geben, weil sie die Gewalt haben, ihn zeitlebens einzukerkern, und er kann von Glück sagen, daß er nicht das Leben verlor, wie Oldenbarneveldt!“

„Das wäre noch sauberer gewesen!“ rief er aus. „Heute noch hat Dein Vater das Wort des Heilandes gelesen: Richtet nicht, damit ihr nicht gerichtet, verdammet nicht, damit ihr nicht verdammet werdet!“

„Hast Du gesehen, Piet, wie Mevrouw warnte?“

„Ich hab’s wohl gesehen; aber darum sollt’ ich meinen, es wäre keine Sünde, ihn zu befreien!“ sagte Piet etwas leiser, aber mit großer Bestimmtheit.

Das Mädchen erfaßte heftig seinen Arm. „Piet,“ sagte sie, „was redest Du da?“

„Was ich schon mehr als einmal erwogen habe,“ war seine richtige Antwort.

„Würdest Du die Hand dazu bieten?“

„Lieber heute als Morgen! Nur aber in der Art und Weise komme ich nicht in’s Klare.“

„Hast Du erwogen, daß Du, es mag glücken oder mißlingen, Dein Glück, Dein Leben auf das Spiel setzest?“

„Ich hab’ das auch bedacht,“ sagte Piet. „Im schlimmsten Falle müßte ich über die Grenze fliehen und in Brabant ein Unterkommen suchen; aber was dann mit meiner Mutter? Wüßte man, daß so ein Sturm vorüberginge, so könnte Dein Vater sie zu sich nehmen; aber freilich – Elsje, wie stände es mit uns?“

Elsje erröthete und hielt ihr Tuch vor das Gesicht.

„Sei stille, Piet,“ sagte sie dann nach einer Weile. „Du dürftest Deine Hand nicht im Spiele haben. Ein Weib bestrafen sie nicht!“ –

„Also Du, Du wolltest es wagen?“ – fragte er erstaunt.

„Ja, Piet, ja!“ sagte sie mit einer Ruhe und Bestimmtheit, die es klar erwies, wie der Gedanke ihre Seele erfüllte.

Piet fuhr ordentlich zusammen als sie so redete. Er würde um nähere Angaben in sie gedrungen sein, wenn nicht eine der Schwestern sie zu Vrouw de Groot gerufen hätte. Er blieb, in seinen Gedanken vertieft, an der Stelle sitzen, weil er hoffte, daß sie wieder käme. Sie kam nicht. So viel aber glaubte er, sie zu kennen, daß ein durchdachter Plan in ihrer Seele ruhte.

Am andern Morgen wurde eine Kiste, dieselbe, die immer den Weg nach Löwenstein machte und zurück, nach dem Schlosse gefahren. Piet’s scharfem Auge entging es nicht, daß eine große Zahl runder Löcher sowohl in dem Deckel, als in den Seitenwänden der Kiste war, die etwa die Größe hatten, wie sie eine Flintenkugel hervorbringen würde. Noch mehr fiel es ihm auf, daß Elsje selbst die Kiste hinüber begleitete und auch ohne Anstand in das Schloß gelassen wurde. Ein Soldat aber führte Piet und das Mädchen bis in das Vorgemach. Die Kiste wurde sodann von Herrn de Groot ausgepackt, aber in seinem Gemache, und die Bücher, die er nach Leyden zurücksendete, hinein gethan, die Kiste geschlossen und von Piet und Elsje wieder in das Boot getragen.

Als sie auf dem Wasser waren, sagte Piet zu Elsje: „Zwei Dinge hätten den Soldaten auffallen können, aber sie haben es nicht beobachtet.“

Elsje erröthete und gerieth in eine sichtliche Verlegenheit. „Was denn?“ fragte sie.

„Daß die vielen Löcher in der Kiste sind, die ich früher nie bemerkte, und daß Du mitgingst. Aufmerksam und wachsam sind sie nicht! Ich hätte Verdacht geschöpft, wenn ich auch noch nicht zur Klarheit gekommen bin,“ sagte Piet und sah sie scharf an.

Sie wurde noch verlegener.

„Piet, um Gotteswillen bitte ich Dich, schweige über die Sache. Du sollst Alles wissen. Wir bedürfen Deiner. Frau de Groot wird für uns sorgen, wenn es gelingt. Heute Abend sollst Du Alles wissen. Gedulde Dich. Frau de Groot will Dich sprechen.

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 377. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_379.jpg&oldid=- (Version vom 19.12.2019)