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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855)

Bei einer Insel legten sie an, um sich wärmer für die Nacht zu kleiden, denn in dem Schließkorbe waren Kleidungsstücke für Piet und de Groot und Lebensmittel und Wein. Tiefer unten sah Piet Hemden und allerlei nothwendige Dinge. Er kannte die Hand, die das Alles gesendet.

Sie erquickten sich, und in wärmere Kleidung gehüllt, konnten sie der Kühle der Nacht schon widerstehen. An Schlafen durfte Keiner denken, und im Boote wäre auch kein Plätzchen gewesen.

Erst als sie an dem brabantischen Ufer eines Canals ein Dorf erreichten, sagte de Groot: „Frage doch, Piet, wo wir sind? So lange sind wir schon gefahren, ohne daß wir wußten, wo wir uns befänden, daß es einmal Zeit ist, darnach uns zu erkundigen.“

Sie legten an.

Es war allerdings ein brabantisch Dorf, und als sich Piet erkundigte, wie weit sie noch bis Walwijk hätten, sagte der Bauer: „Ihr erreicht’s in zwei Stunden!“

„So nimm zwei Ruderer,“ sagte de Groot. „Du hältst es nicht mehr aus, Piet!“

Das geschah denn auch, und das Boot glitt leicht über die ruhige Fläche des Wassers, und in weniger als zwei Stunden landeten sie in Walwijk und – waren gerettet.

Erst jetzt fühlte Piet, wie er im Uebermaße seine Kräfte angestrengt hatte, und wie Noth ihm die Ruhe und Pflege sei, wenn er nicht erkranken solle.

Auch de Groot, der Mann, welcher leibliche Anstrengung nicht kannte, hatte das Ruder oder den Riemen nach Piet’s Anweisung wacker geführt, theils um sich zu erwärmen in den drei Nächten, welche sie durchgefahren waren, theils um die Entfernung von dem Orte schnell zu vergrößern, von dannen ihm der Arm eines ungerechten Urtheils Gefahr drohete. Er fühlte sich, trotz weniger Arbeit und Anstrengung, dennoch nicht weniger angegriffen, als Piet auch.

Hugo de Groot fehlte es nicht am Gelde. Sein heldenmüthiges Weib hatte ihm das gebracht, was ihn auf lange Zeit vor allen Nahrungssorgen bewahren konnte. Sie blieben daher in Walwijk, wo Piet sein Boot gut verkaufte.

Aber erst hier fiel es Hugo de Groot recht auf die Seele, was aus seiner Gattin werden würde. Erst hier, wo er in voller Ruhe Alles überdenken konnte, begriff er die Größe des Opfers, das ihm Maria gebracht; erst jetzt konnte er die Thatkraft, die Macht treuer Liebe erwägen, deren größte und schwerste Probe sie abgelegt. Mit dieser Reihe der Vorstellungen kam dann auch die quälende Ungewißheit über ihn, was ihr möchte geschehen sein.

Nicht minder war Piet’s Seele wegen Elsje, wegen seiner Mutter, wegen des Gärtners und seiner Familie besorgt. Er hatte van Houwening gebeten und dieser es ihm auch versprochen, Nachricht über Alles zu geben. Anfangs hatte der Gärtner gehofft, es werde der Sturm an ihm vorübergehen, ohne ihn mehr, als durch seiner Tochter Verhaftung zu berühren; allein darin hatte er sich geirrt. Auch er und sein Sohn Niels wurden verhaftet, verhört, aber nach einem Zeitraume von einigen Wochen wieder frei gegeben. Ueberhaupt schien es, als wolle man der ganzen Sache nicht den strengen Nachdruck geben, wie es zu erwarten gewesen wäre. Vielleicht sahen es manche der Richter de Groot’s nicht einmal ungerne, daß er ihr strenges Urtheil durch seine Flucht gemildert hatte.



VIII.

Als der erste Schreck und Zorn des Commandanten vorüber war, trat bei ruhiger Ueberlegung auch die volle Bewunderung für das edle Weib bei ihm ein. Mit aller der Ehrerbietung, welche jetzt sein Herz gegen sie erfüllte, behandelte er sie, und gleiche Gesinnung athmete der Bericht, den er abstattete, ob er gleich bekennen mußte, daß er auf eine ihn bloßstellende Weise überlistet worden sei. Die einfache Darlegung des Sachverhalts, der durch die einzelnen Verhöre, welche der Fiskal in Gorkum erhoben, sich herausstellte, bewies allerdings, daß man in Löwenstein etwas sorglos und sicher geworden war; allein der Glanz der rettenden That Maria’s de Groot, deren Kunde rasch das Land nach allen Richtungen durchflog, das man bald überall pries und selbst auf den Straßen sang, lähmte den Arm strenger Gerechtigkeit, verstopfte den erbitterten religiösen Feinden de Groot’s den Mund und ließ den Commandanten straflos. Selbst unter der Besatzung der Festung herrschte eine wahre Begeisterung für die beiden Frauen im Gefängniß, deren Schönheit vollends zu ihren Gunsten das ganze, nicht kleine Gewicht geltend machte.

Eines Tages war es eben jener Soldat, den Piet Lips genannt, und der ihm bei seinem Verkehre mit Löwenstein befreundet worden war, welcher die Bedienung der Gefangenen zu besorgen hatte, da sonst im Schlosse sich kein weiblich Wesen befand. Als Elsje in das Vorgemach trat, erkannte sie ihn.

Beide sahen sich einen Augenblick bestürzt an.

„Armes Kind,“ sagte der ehrliche Friesländer, „Dir ging es schlimmer als mir; freilich warst Du betheiligt; aber was ist aus Piet geworden? Ich hab’s wohl bemerkt, daß Ihr Zweie einander näher angehet!“

Elsje erröthete, aber sie erwog schnell, daß ihr eine Offenheit, wie sie der Ehrlichkeit des Menschen gegenüber eigentlich geboten war, mehr nützen könne, als eine mädchenhafte Scheu.

„Ich weiß nichts von ihm,“ sagte sie mit einem tiefen Seufzer, „seit er mit Herrn de Groot entflohen ist.“

„Aber, nicht wahr, Du möchtest etwas von ihm wissen?“ fragte mit listigem Lächeln der Soldat, „oder ihm doch irgend eine Kunde senden. Weißt Du, wo er ist?“

„Ja, Lips, guter Lips!“ rief das Mädchen. „Ich weiß, wo er ist. Er lebt in Warwijk in Brabant, aber wie sollt’ ich ein Briefchen dahin bringen?“

Lips ging zur Thüre und sah sich überall um. Als er wiederkehrte, flüsterte er ihr zu. Ich glaube nicht, daß ich eine Sünde thue – wenn ich Dir meine Hülfe anbiete, ein Briefchen an ihn zu bringen. Ich behalte heute den Dienst bei Euch. Willst Du bis diesen Abend, wenn ich Euch den Thee bringe, ein Brieflein schreiben, so bring’ ich es Deinem Vater morgen. Der mag’s weiter besorgen!“

„Lips,“ sagte Elsje feierlich, „kann ich auf Euch zählen? Ist es ehrlich und treu gemeint? Wollt Ihr mir vor Gott geloben, mich nicht zu betrügen?“

„Geh’,“ sagte Lips, gekränkt von dem Mißtrauen, „geh’, Kind, es ist mir leid, daß ich Dir Etwas gesagt habe! Ein Friese bricht sein Wort nicht. – Doch – ich vergebe Dir, weil ich Deine Lage kenne. Wohlan, ich gelobe Dir’s vor Gott dem Allwissenden, ich will’s treu besorgen!“

„Dank, Dank!“ rief Elsje und drückte die derbe Hand, daß dem ehrlichen Friesen ein seltsam Gefühl prickelnd bis in die Fingerspitzen drang.

„Es bleibt also dabei? Diesen Abend geb’ ich Euch ein Briefchen!“ Er nickte freundlich und ging.

Schnell eilte sie in das Gemach zu Mevrouw Maria, und ohne die Speisen zu berühren, eilten Beide zu schreiben. Der Brief wurde geschlossen, gesiegelt und am andern Tage war er in den Händen van Houwening’s, der bereits wieder aus seiner kurzen Haft entlassen war.

Auch manchen mündlichen Auftrag richtete Lips aus, der Sorge und Kummer scheuchte.

Nach manchen Kreuz- und Querzügen gelangte der Brief nach Walwijk und in Piet’s Hände. Darin lag einer an Herrn de Groot. Die Freude Beider war unbeschreiblich.

Nun erst verließ de Groot Walwijk und zog an andere Orte Brabants. Piet begleitete ihn als sein Diener, denn er durfte nicht nach Gorkum zurückkehren.

Der Ruf Hugo de Groot’s war längst über die Grenzen Niederlands hinaus gedrungen, und seine Verurtheilung und auf’s Neue seine wunderbare Befreiung hatten die Augen seiner Verehrer auf ihn gelenkt. Von Paris aus erhielt er Einladungen an den Hof Ludwig’s XIII., und der Wunsch nach irgend welcher geordneten Thätigkeit, die Schätze, welche die erste Büchersammlung Frankreichs ihm bot, gaben ihm Veranlassung, dorthin zu gehen, was freilich Piet’s Seele mit Kummer erfüllte, weil er, der nie von Gorkum weggekommen war, mit Entsetzen an eine solche Entfernung dachte. Indessen blieb ihm nichts übrig, als seinem Herrn zu folgen, der mit großen Ehren aufgenommen wurde, und von Ludwig XIII. einen Jahrgehalt von 3000 Livres erhielt.

Von hier aus schrieb de Groot und er an van Houwening, der wohl Mittel finden konnte, die Einlagen an Mevrouw Maria, und Elsje gelangen zu lassen.

Als diese Briefe dort anlangten, hatte sich bereits das Schicksal Beider entschieden, daß nämlich Elsje’s und ihrer edlen Gebieterin.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 392. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_392.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)