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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855)

ist es ein Bild. Willst Du es nicht verkaufen? Ich würde Dir, ohne es gesehen zu haben, 500 Franks dafür bieten, wenn es von Horace Vernet ist.“

„Es ist von seiner Hand,“ sagte Jean. „Aber ich kann es nicht hergeben, und wenn Sie mir die halbe Welt anböten!“

Er eilte heim.

Dort angekommen, öffnete er den Kasten und nahm das wunderschöne Bild heraus, welches in einen breiten Goldrahmen gefaßt war.

Entzückt und staunend betrachtete es Mutter und Sohn. Die Aehnlichkeit war sprechend.

Erst nachdem es an der Wand des ärmlichen Stübchens der Wittwe aufgehängt war, fiel es Jean ein, nachzusehen, ob nicht vielleicht auch ein Brieflein dabei liege, und richtig, da lag ein großer, dicker Brief.

Rasch entfaltete er ihn und – wer malt seinen freudigen Schrecken? – Darinnen liegt sein Abschied vom Militär und eine Banknote von dreihundert Franken!

Herr Vernet schrieb ihm, da er nun nicht General zu werden Hoffnung habe, so verzichte er auf den Preis des Bildes und mache es ihm zum Geschenke. Ueber den errungenen Abschied würde er wohl nicht böse sein; und die Banknote, welche Herr Köchlin gern versilbern würde, sei dazu bestimmt, daß er sich als fleißiger Weber einrichte, um gegen seine gute Mutter die Kindespflichten getreulich erfüllen zu können.

Jetzt war die Freude vollkommen, aber auch die innigsten Dankgebete stiegen zum Himmel auf.

Herr Köchlin mußte um die Sache gewußt haben, denn er lächelte, als Jean zu ihm kam mit der Banknote.

„Wärest Du nicht froh, noch einmal nach Paris zu kommen, um diesem edlen Manne zu danken?“ fragte der Fabrikherr.

Mit einer Thräne im Auge, sagte Jean, daß[WS 1] dies sein heißester Wunsch sei.

„Gut,“ versetzte der Fabrikherr, „so kannst Du mit einem Waarentransport hin- und zurückreisen, der Morgen abgeht. Da kostet es doch nichts.“

Jean nahm dankbar dies Erbieten an und traf in Paris ein, ehe sein Bataillon nach Algerien abging.

Wie innig dankte er Vernet, und wie glücklich machte es den Künstler, ein so lauteres, dankbares Gemüth beglückt zu haben. Auch seinen Kapitain und seine Kameraden sah er wieder und konnte ihnen Lebewohl sagen.

Froh, dem Gefühle seines Herzens genügt zu haben, kehrte er mit dem Wagen des Fabrikherrn wieder heim; richtete sich als Weber ein und pflegte sein Mütterlein. Der Name Horace Vernet aber hatte und behielt in dem Hause des Webers Jean Dümmler den Werth eines Heiligen und das Bild blieb sein höchster Schatz.

O. W. von Horn. 




Von Schön.

Königlich preußischer Staatsminister und Burggraf von Marienburg.
Ein Charakterbild von Alex. Jung.
(Schluß.)

Man hat es mit Recht an den römischen Staatsmännern und Feldherren gerühmt, daß, ungeachtet der größte Theil ihres Lebens bewegt war von den Stürmen der Oeffentlichkeit, von der Sorge um den Staat und den Krieg, sie doch der Natur stets eingedenk blieben, sich gern in ihren Frieden zurückzogen, und sogar der Philosophie ihre Huldigungen darbrachten. Da pflanzten sie ihren Kohl, da kochten sie sich ihre Rüben selbst, und verlachten stolz alle Zumuthungen, die man ihnen auf Kosten ihres Charakters machte, und wiesen voll Verachtung alles Gold ab, daß man ihnen bieten wollte. Jedoch auch hier, und hier erst recht, in dieser goldenen Muse, dachten sie über den Staat nach, sie entrollten aber auch gern die Pergamente der Weisen, der Dichter, und wurden nun erst recht dessen gewahr, was die Zeit für einen Werth hat, und was es heißen wolle, ein Mensch zu sein.

Wie einer dieser alten Römer, von großer Erinnerungen, weltweiser Erfahrungen, voll großen, unbeugsamen, durch und durch nobeln, selbständigen Charakters, gemahnte uns oft Herr von Schön auf seinem einsamen Landsitze, und nicht in dem Prachtbaue der alten Marienburg hat er sich niedergelassen, sondern in einem einfachen Landhause, auf seinem Gute Preußisch-Arnau. Einmal thut ihm hier wohl die Nähe seines geliebten Königsberg, dann steht sein Land-Horst auch hinaus nach der ihm nicht minder theuern Heimath, dem Lande einfacher Sitte und ungebrochener Naturkraft, nach Litthauen, wo seine Väter ruhen, wo er die ersten Eindrücke der Welt erhalten, die ersten Materialien der Bildung empfangen, die er zu einem so weiten Ausbaue fortgeführt hat.

Das Dorf Arnau zieht sich in beträchtlicher Länge dahin; Schiffe gehen auf dem Pregelstrom hin und her, unter denen die riesig-langen, in der Mitte zu ansehnlicher Höhe aufsteigenden Dzimken-Witinnen ganz besonders bemerkbar machen, deren unförmliche, mit Bastmatten belegte Baracken wie Kameele des Wassers, wie kleine Himalaja-Gebirge aussehen, auf denen Menschen-Zwerglein krabbeln[1]. Wir blicken jenseit des Flusses in eine reiche Niederung, aus der die üppigsten Getreidefelder uns entgegenwogen und Ortschaft grenzt an Ortschaft, und da liegt das Landhaus vor uns, wahrlich einfach genug, von einem Stocke, aber von ansehnlicher Länge der Fronte. Die Wirthschaftsgebäude umher im besten Stande, jedoch ebenfalls ganz einfach hergerichtet. Schon sind wir in der Hausflur. Kein Bedientenschwarm macht uns Schwierigkeiten. Ein Diener, einfach gekleidet, meldet uns. Wir stehen vor dem Verfasser von „Woher und Wohin,“ der uns bereits im ersten Zimmer empfängt.

Wenn man berühmte Persönlichkeiten in der Wirklichkeit vor sich hat, so kann man bekanntlich in seiner früheren Vorstellung oft über die Maßen enttäuscht werden. Bei Herrn von Schön, so oft wir ihn sahen, mußten wir uns jedoch immer sagen, so mußte der Mann aussehen, von dem die Geschichte also berichtet. Diese eher hagre als starke Figur, aber von beträchtlicher Größe, die ernst, rasch, wie im wichtigsten Staatsgeschäft eben begriffen, auf uns zu tritt, die Fragen auf Fragen auf uns abschnellt, welche wir in solcher Schnelligkeit kaum zu beantworten vermögen, frappirt uns im höchsten Grade, obwohl sie uns unendlich wohlthut. Diese geistvolle Stirn, auf der so viele Gedanken ein stehendes Lager bezogen haben, dieser noch immer scharfe Augenstrahl, der auf uns eindringt, dieser Mund, um den Grazien der Weisheit weben, sie verrathen den Mann, der nicht blos über den Staat, sondern auch über das Räthsel der Welt viel nachgedacht, und der einen moralischen Halt in sich gefunden hat, um allen Ereignissen und Begegnissen gewachsen zu sein. Gewiß, dieser Kopf, dem das darauf sitzende schwarze Käppchen auch nicht im Entferntesten ein geistliches Aussehen giebt, würde in jeder Parlamentssitzung Aufsehen erregen. Aristokratisch ist der Eindruck der ganzen Gestalt allerdings, die Wahl der schnell auf’s Tapet gebrachten Gegenstände, die feine Art, wie die Fragen gestellt werden, die Leichtigkeit der Uebergänge, der Takt, mit dem jede Ueberlegenheit fern gehalten wird, alles verräth eine Persönlichkeit, die den vornehmsten Kreisen gehört, mit den Größten der Welt zu Tische gesessen und verkehrt hat. Aber schon sind auch wir zum Sitzen genöthigt, und befinden uns im Strom einer Unterhaltung, die nie abreißt, die auch den Besuchenden zum vollen Ausdruck seiner Meinungen, Ansichten, Ueberzeugungen, sogar seiner persönlichsten Interessen kommen läßt, so daß jede Beengung aufhört, ja daß durch die Weise, wie wir uns beachtet, verstanden, selbst durch die huldvollste Einräumung gehoben sehen, die Gewißheit in uns entsteht, die uns auch nicht mehr verläßt, daß wir hier einen Herrn vor uns haben, der die Ebenbürtigkeit der Geister vor allem anerkannt


  1. Dzimken sind eine Art Polen, welche im Sommer zu Wasser auf langen Fahrzeugen, Witinnen genannt, nach Königsberg kommen. Sie sind ein so naturwüchsiger, lustig-eigenthümlicher Menschenschlag, daß wir ihnen in diesen Blättern vielleicht einmal ein besonderes Genrebild widmen.
    Anmerk. des Verf. 

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: das
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 408. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_408.jpg&oldid=- (Version vom 24.6.2023)