Seite:Die Gartenlaube (1855) 433.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1855)

darauf mit einer schon bejahrten Frau zurück, in der Anna die Kammerfrau der Madame Lindsor erkannte.

„Meine Herrin,“ sagte sie, „sendet mich, und Sie errathen wohl, in welcher Angelegenheit.“

„Richten Sie Ihren Auftrag aus, gute Frau,“ sagte Herr von Bornstedt, der sich auf Anna’s Arbeitsstuhle niedergelassen hatte. „Wir haben keine Geheimnisse vor einander. Wer sendet Sie?“

„Madame Lindsor.“

„Es ist die Dame, lieber Vater, der ich eine Stickerei angeboten habe,“ ergänzte die verwirrte Anna. „Und was läßt sie mir sagen?“ wandte sie sich an die Kammerfrau.

„Madame hat Ihre Arbeit geprüft und ein besonderes Wohlgefallen daran gefunden. Sie sendet den geforderten Preis von dreihundert Thalern.“

Die Kammerfrau legte ein Packet Banknoten auf den Tisch, dann grüßte sie und verließ das Zimmer. Elias folgte mit seiner Lampe. Der Anblick des Geldes hatte den armen Schriftsteller in eine fieberhafte Bewegung versetzt, daß er kaum das Schloß an der Ausgangsthür öffnen konnte, und dabei plagte ihn eine unbesiegbare Neugierde.

„Liebe Frau,“ flüsterte er, „sendet die Dame wirklich nur den hohen Preis, weil sie die Arbeit desselben werth erachtet, oder hat sie noch andere Gründe?“

„Ich bedauere, daß ich Ihnen keine Auskunft geben kann!“ antwortete lächelnd die Kammerfrau.

„Ist Ihre Herrin jung und schön?“ fragte Elias weiter, der nach neuem Stoffe für seine Novelle forschte.

Die Frau sah verwundert den kleinen zitternden Mann an.

„Sie ist jung und schön.“

„So! das ist mir lieb,“ flüsterte Elias wie zerstreut. „Daß sie einen großen Reichthum besitzt, läßt sich denken. Aber nun muß ich noch Eins wissen, liebe Frau.“

„Was?“

„Ist die schöne und reiche Dame schon verheirathet?“ fragte mit einem so gutmüthigen Lächeln der arme Schriftsteller, daß man hätte glauben mögen, er wolle ihr einen vortrefflichen Mann besorgen, wenn sie noch frei sei.

Die Kammerfrau war die einzige Mitwisserin des Geheimnisses Josephinen’s, eines Geheimnisses, dessen Wichtigkeit sie kannte. Diese Frage mußte natürlich ihren Argwohn erregen, da sie die poetische Absicht des Magisters nicht ahnte.

„Haben Sie ein Interesse dabei, lieber Herr?“

„Ei, das will ich meinen, ich würde mir sonst diese Frage nicht erlaubt haben!“

„Madame Lindsor –“

„Ah, sie ist eine Madame!“ flüsterte Elias gedehnt, „Das paßt mir allerdings nicht,“ fügte er nachdenkend hinzu, indem er die Hand an sein kleines Kinn legte. „Da muß ich meinen Plan ändern. Jung, reich und schön, das wäre mir gerade recht gewesen. Hm, hm, was fange ich denn da an?“

Die Zofe konnte kaum ein Lachen unterdrücken, als sie das betrübte Gesicht des Magisters mit den weißen Haaren sah.

„Mit dem ist es nicht richtig,“ dachte sie. „Nun, lieber Herr, beruhigen Sie sich nur,“ sagte sie laut. „Madame Lindsor ist eine Wittwe, sie war nur zwei Jahre verheiratet. Jetzt ist sie wieder zu haben.“

„Wahrhaftig?“ fuhr Elias auf.

„Gewiß.“

„Das ist himmlisch! Da wäre ich in aus meiner ganzen Verlegenheit! Danke, liebe Frau für gütig ertheilte Auskunft!“ rief er der Davoneilenden nach. „Nehmen Sie sich nur in Acht, daß Sie nicht fallen, es sind fünf Treppen, und jede Treppe hat siebzehn Stufen. Zählen Sie nur, dann können Sie nicht fehlen!“

Seelenvergnügt kehrte Elias zu seinen Miethsbewohnern zurück. Er wollte die beiden glücklichen Menschen beobachten, um treu nach der Natur zu zeichnen, was er bei einer Novelle für unerläßlich hielt. Zu seiner Verwunderung richtete weder der Vater noch die Tochter eine Frage an ihn, es schien, als ob sie wüßten, wer der großmüthige Wohlthäter sei.

„Ich täusche mich nicht,“ dachte der gute Magister, „hier ist bereits eine Liebschaft angeknüpft. Beobachten wir!“



IV.

Am Tage, der der beabsichtigten Soirée voranging, kam Philipp von seiner Gattin. Der Aufenthalt in Leipzig hatte nicht nur seine Liebe, sondern auch seine Achtung und sein Vertrauen erhöht, Josephine war für ihn das Ideal einer Frau, und hätte man die fabelhaftesten Gerüchte von ihr verbreitet, er würde ihnen eben so wenig Glauben geschenkt haben, als sich die Eifersucht in ihm regte. Ein Charakter wie Josephine, war keiner Unredlichkeit fähig. Philipp hatte also seine Gattin verlassen, um sie in den Vorbereitungen zu dem Feste nicht zu stören. Als er die Thür des Gitters schloß, das das Haus umgab, trat ihm ein Mann entgegen, dessen ganze Aufmerksamkeit nach den Fenstern Josephine’s gerichtet war. Er trug höchst elegante Kleider, war von schöner, hochgewachsener Gestalt und hatte ein fein gebildetes Gesicht mit einem kleinen blonden Barte. Die beiden Männer begegneten sich.

„Verzeihung, mein Herr,“ redete ihn der Fremde höflich an, indem er seinen Hut zog, „sind Sie in dem Hause bekannt, das Sie so eben verlassen haben?“

„Ich glaube, ja!“ antwortete Philipp.

„Man sagte mir, daß eine Madame Lindsor hier wohnen müsse.“

„Ganz recht, sie bewohnt den ersten Stock dieses Hauses.“

Der Fremde dankte, öffnete das Gitter und verschwand. Ein unbestimmtes Gefühl, das sich indeß mehr der Neugierde als der Eifersucht zuneigte, hemmte Philipp’s[WS 1] Schritte. Wenn man die heimliche Ehe, die Schönheit Josephinen’s[WS 2] und die verschiedenen Gerüchte über ihre Person und ihr[WS 3] Vermögen bedenkt, so kann man sich nicht darüber wundern, daß Philipp, trotz seines Vertrauens, einen Spaziergang vor dem Hause unternahm, um die Rückkehr des fremden jungen Mannes zu erwarten. Er hielt es selbst als Gatte für seine Pflicht, da es nicht unmöglich war, daß die reiche, allein stehende Wittwe – für die sie gehalten ward – mit ungebührlichen Anträgen bestürmt würde.

In Josephinen’s Zimmer zeigte sich Licht, und die Vorhänge wurden herabgelassen. Philipp ging eine Viertelstunde auf und ab, ohne die Thür außer Acht zu lassen. Das war eine Zeit, um mehr als einen Auftrag auszurichten. Wie gern hätte er das Haus betreten, und er sann auch schon auf einen schicklichen Vorwand dazu; aber was sollte Josephine von seiner Rückkehr denken, da er ihr gesagt, daß er erst am folgenden Morgen wiederkommen würde? Noch war er zu stolz, um Eifersucht zu zeigen, und Josephine stand ihm zu hoch, zu heilig, um sie durch Verdacht zu kränken.

„Was sie wohl gethan haben würde,“ fragte er sich, „wenn der Fremde während meiner Anwesenheit gekommen wäre? Ob sie mir morgen den Besuch mittheilt? O gewiß, sie hat keine Geheimnisse vor mir! Fast schäme ich mich, daß ich für Josephinen so entehrende Schlüsse ziehe. Sie hat mich aus reiner, uneigennütziger Liebe geheirathet, der klarste Beweis davon ist die Wiedererstattung des Vermögens, die sie so dringend betreibt.“

Das Geräusch der Thür ließ sich vernehmen und der junge Mann kam eilig heraus. Philipp trat hinter einen Baum, um sich seinem Anblicke zu entziehen, Dann folgte er ihm in kurzer Entfernung. Der Fremde hielt einen vorüberfahrenden Fiaker an, stieg ein, und verschwand. Philipp lächelte über seine Schwachheit und ging ruhig nach Hause.

Am nächsten Morgen verließ er schon früh seine Wohnung. Es schlug zehn Uhr als er die Treppe zu der Dachwohnung des Magisters hinaufstieg. Der Besuch, den er dem alten Herrn von Bornstedt abstatten wollte, war das Resultat seiner gestern mit Josephinen gepflogenen Unterredung; er sollte dazu dienen, die ersten direkten Einleitungen zu treffen. Aus dem kleinen Vorsaale trat ihm derselbe junge Mann entgegen, dem er Abends zuvor die Wohnung Josephinen’s bezeichnet hatte, Das blühende Gesicht mit dem blonden Barte erkannte er auf den ersten Blick wieder. Ohne zu grüßen, eilte er hastig die Stufen hinab.

„Gut,“ dachte Philipp, „vielleicht kann ich hier etwas von ihm erfahren.“

Elias, der den letzten Besuch entlassen hatte, stand des zweiten harrend an der schmutzigen Gitterthür.

„Zu wem wollen Sie?“ fragte des kleinen Mannes dünne Stimme durch die Stäbe.

„Finde ich den Herrn von Bornstedt zu Hause?“

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Philpp’s
  2. Vorlage: Joiephinen
  3. Vorlage: sihr
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 433. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_433.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)