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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855)

Heiter und unbefangen drückte sie einen Kuß auf seinen Mund und verschwand in dem Nebenzimmer.

Philipp besorgte mit beklommener Brust das ihm aufgetragene Geschäft. Jeder Andere würde die Dinge milder beurtheilt haben; er aber, dessen Verdacht einmal erregt war, zerbrach sich den Kopf darüber, ob Josephine nicht Veranlassung zu diesen Briefen gegeben haben könne. „Warum verheimlicht sie ihre zweite Heirath?“ fragte er sich. „Warum will sie immer noch für eine Wittwe gehalten sein?“ – Wie schwankend erschienen ihm die angegebenen Gründe, wenn er seine rasche Verheirathung und alles das bedachte, was sich seit gestern zugetragen hatte. Im Stillen segnete er die Hindernisse, die ihn von der Ueberlieferung seines Vermögens abgehalten hatten. Der Besuch des blonden jungen Mannes, den sie verschwieg, gewann eine furchtbare Bedeutung.

Bald erschien Josephine in einer einfachen, geschmackvollen Toilette. Seufzend betrachtete Philipp das reizende Geschöpf, das entweder der reinste Engel oder der boshafteste Dämon sein mußte. Sein Lebensglück hing von der Entscheidung dieser Frage ab, und er beschloß, mit großer Vorsicht die Lösung derselben zu suchen. Als er sich entfernte, hatte Josephine keine Ahnung von seinem Seelenzustande; sie erinnerte ihn heiter und unbefangen an den bevorstehenden Abend, und entließ ihn mit einem innigen Kusse. Er hatte nicht den Muth, ein Wort des Mißtrauens zu äußern.

Wäre Philipp eine Viertelstunde später gegangen, so hätte er einen Fiaker vor Josephine’s Wohnung halten gesehen, aus dem ein stattlicher Mann vielleicht von fünfzig Jahren stieg. Trotzdem er elegante Civilkleider trug, so ließ sich dennoch die Militairperson erkennen. Der volle gestutzte Bart über der Oberlippe war braun, das Haupthaar hingegen begann schon zu bleichen. Er sah aufmerksam nach der Hausnummer, dann, als er sie richtig befunden, stieg er die Treppe hinan. An der Thür las er die Namen: Josephine Lindsor.

„Ich bin am Ziele!“ murmelte er lächelnd. „Das ist der Name der Engländerin.“

Er zog seinen Oberrock aus, so daß er im schwarzen Fracke erschien. Auf der weißen, gestickten Atlasweste erglänzte ein Uhrgehänge von schwerem Golde. Auf dem Busenstreifen flimmerte ein Diamant. Nachdem er das Zeichen mit der Glocke gegeben, öffnete Meta die Thür.

„Madame Lindsor?“

„Sie befindet sich in ihrem Zimmer. Wen habe ich die Ehre anzumelden?“

Der Fremde überreichte eine Karte, mit der sich die Kammerfrau entfernte. Gleich darauf kam sie zurück und führte den Besuch in das Empfangszimmer. Mit prüfenden Blicken betrachtete er das Meublement. Wie festgebannt blieb er vor einem Oelgemälde stehen, das Josephinen vorstellte.

„Wenn dies ihr Bild wäre!“ flüsterte er überrascht. „Bei meiner Ehre, das sind die Züge eines Engels! Hat der Maler nicht geschmeichelt, so muß ich bekennen, daß ich nie ein reizenderes Frauenantlitz sah. Süperb, süperb, bei meiner Ehre!“

Jetzt trat Josephine ein. Hatte den Fremden das Portrait schon in Entzücken versetzt, so erfüllte der Anblick des Originals ihn mit einer Begeisterung, daß er fast die üblichen Formen der Begrüßung vergaß. Die junge Frau schien den Eindruck, den sie ausübte, mit großem Wohlgefallen zu bemerken. Sie verneigte sich lächelnd, indem sie verschämt flüsterte:

„Der Herr Major von Wildau bereitet mir eine Ueberraschung, auf die ich seit Wochen schon nicht mehr gerechnet habe!“

Der Angeredete vergaß jetzt vor Schrecken die schuldige Verbeugung.

„Wie,“ fragte er, „sollte ich das Unglück haben, zu spät zu kommen?“

„Sie sehen mich in diesem Augenblicke zum ersten Male, mein Herr – und schon sprechen Sie von einem Unglücke, wenn der muthmaßliche Zweck Ihres Besuchs ein verfehlter sein sollte. So schmeichelhaft dies für mich ist, so muß ich es dennoch für ein Kompliment halten –“

„Das ich Ihnen aus voller Seele zolle, Madame!“ sagte der Major, indem er ihre Hand ergriff, und mit dem Anstande eines Cavaliers einen Kuß darauf drückte. „Wir kennen Beide den Zweck unserer Zusammenkunft – wenn das erste Erblicken meiner Person nur einen halb so günstigen Eindruck auf Sie ausgeübt, wie jenes Portrait auf mich, so bedarf es nur noch der Besprechung von Nebenumständen, und wir sind am Ziele.“

Josephine erröthete, und entzog sanft ihre Hand der des Majors, der sie in der seinigen fest zu halten suchte.

„Verzeihung, mein Herr,“ sagte sie, „es ist mir unmöglich, sofort eine so wichtige Erklärung abzugeben. Ich bitte, nehmen Sie Platz!“

Beide saßen aus dem Sopha.

„Madame,“ begann der Major, „Freimüthigkeit ist von jeher eine der Tugenden gewesen, die ich am Höchsten achte, und deshalb habe ich mich bestrebt, sie stets zu üben. Erlauben Sie mir, daß ich auch Ihnen gegenüber, wo es sich um eine wichtige Angelegenheit handelt, frei und offen sage, was ich fühle und denke.“

„Ich bitte darum, mein Herr, denn Sie haben dasselbe von mir zu erwarten.“

„Gut; bevor ich jedoch beginne, muß ich wissen, ob mein freimüthiges Bekenntniß am rechten Orte ist.“

„Was heißt das?“

Der Major ergriff abermals ihre Hand und flüsterte mit einem zärtlichen Lächeln:

„Sollte ich das Unglück gehabt haben, bei meinem ersten Erscheinen keinen günstigen Eindruck auf Sie ausgeübt zu haben, so wären alle weiteren Erörterungen unnütz.“

Josephine erröthete.

„Ich würde Sie wahrlich nicht veranlaßt haben,“ flüsterte sie gesenkten Blicks, „mir Eröffnungen zu machen, wenn sie für mich nicht von großem Interesse wären.“

„Wahrhaftig?“

„Ich versichere es bei meiner Frauenehre!“

„Nun, so versichere ich als Soldat und Edelmann, daß mir in der Welt nichts wünschenswerther erscheint, als Ihnen mein ganzes künftiges Leben zu widmen.“

Die junge Frau nahm diese Versicherung mit einer stummen Verneigung an.

„Nun, so kann ich beginnen!“ rief der entzückte Major. „Ich bin neunundvierzig Jahre alt, erfreue mich einer kernfesten Gesundheit, und besitze in Pommern ein Rittergut, das mir einen Reinertrag von jährlich zwölftausend Thalern liefert. Sie sehen, es ist alles vorhanden, was ein anständiger Haushalt erfordert. Vor fünf Jahren verließ ich den Dienst in der königlichen Armee, weil mir meine zu große Offenheit unter den höhern Vorgesetzten Feinde zugezogen hatte. Von jener Zeit an verwalte ich mein Gut selbst, und ich bereue, daß ich nicht schon früher auf diesen klugen Gedanken gekommen bin. In mir sehen Sie den einzigen Wildau, und außer einem erzliederlichen Vetter von mütterlicher Seite besitze ich keine Verwandte. Wenn ich nun so mein herrliches Gut betrachtete, wenn ich den Segen sah, der sich täglich mehrte, so stieg in mir der Gedanke auf: für wen schaffst du denn eigentlich? Wer genießt denn wohl die Früchte deines Schweißes, die je größer werden, je länger du arbeitest? Ah, dachte ich, wie schön muß das sein, wenn du die Gewißheit hast, du sammelst für deine eigenen Kinder, du kannst ruhig sterben ohne zu fürchten, dein Werk geräth in unwürdige Hände. Da dachte ich zum ersten Mal an’s Heirathen. Bei meinem abgeschiedenen Leben hatte ich wenig Bekannte, und bei ihnen klopfte ich als Freier an. Den Aeltern war der reiche Rittergutsbesitzer schon recht; aber den zarten Fräulein – wie rümpften sie die Nase bei meiner Offenheit, die sie Grobheit nannten! Sie fühlten sich selbst beleidigt, als sie erfuhren, daß ich mich nur deshalb verheirathen wolle, um mir Erben zu erzeugen. Eine wollte aus reiner Liebe heirathen und geheirathet sein; die andere erklärte geradezu, daß sie zu gut sei, um ihr Leben an das eines Bauern zu ketten. Da wählte ich einen Weg, auf dem einer meiner Bekannten zu dem glücklichsten Ziele gelangt ist. Ich ließ ein Heirathsgesuch in die Zeitungen rücken und empfing poste restante die Antworten der betreffenden Damen. Es erfolgten drei, aber ich bekenne offen, daß ich in Madame Lindsor die Lebensgefährtin gefunden habe, wie ich sie mir nur immer wünschen mag.“

„Sie sind ein Edelmann, Herr Major, und ich bin von bürgerlicher Geburt.“

„In dem letzten Briefe, Madame, haben Sie mir bereits Ihre Verhältnisse mitgetheilt; ich habe sie erwogen, und würde jetzt, nachdem ich das Glück gehabt, Sie zu sehen, jede Standesrücksicht unbeachtet lassen, wenn ich sie anders noch hegte.“

„Konnte ich auch einen solchen Erfolg nicht voraussehen,“ antwortete Josephine lächelnd, „so beantworte ich Ihr Gesuch dennoch aus dem Grunde, weil die in Ihrer Offerte angegebenen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 444. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_444.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)