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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855)

Subjekte; aber diese Art Deutsche sind in der Regel schon vom Hause aus als Juden und Polen und Deutsche zugleich verwahrlost worden, und können das deutsche Wesen weder im Aus- noch im Inlande beschmutzen. Gerade im Gegensatze zu diesem Repräsentanten deutschen Deckblattes in Fleetstreet muß ich die Erfahrung Ihres Gartenlauben-Agenten hier hervorheben, daß unter den Hunderten von Abonnenten gerade die Arbeiter wahrhaft ängstlich sind, um ihre Abonnements immer rechtzeitig zu bringen, wenn nicht danach geschickt wird.

Zwar können wir auch in London nicht mehr in das „Kaffeehaus zur deutschen Einigkeit“ in Greekstreet gehen, denn es ist nichts dahinter und wegen Zerwürfnissen zwischen „Soll“ und „Haben“ geschlossen; aber gleich nicht weit davon in zwei Old Comptonstreet finden wir hinter einem kleinen Cigarrenladen den kleinen blonden Schütz mit Kaffee, Restauration, Billard und Gemüthlichkeit nebst einer guten Zahl deutscher Zeitungen und Journale. Wollen wir Literatur, Kaffee und Cigarren für einen Penny großartig genießen, gehen wir ein paar Schritte weiter in das große Lesecabinet am Leicestersquare, das ein Engländer ganz im deutschen Stile eingerichtet hat, d. h. ohne die englischen, kirchstuhlartigen Breterkasten, hinter denen sich schweigend und menschenfeindlich die Stockengländer gegenseitig abkasten.

In dem neuen Lesecabinet rauchen, lesen und sprechen die verschiedenen Nationen ganz ungenirt durch einander, und den Engländern gefällt das auch, wenn sie’s erst einmal probirt haben.

Weiter oben, nicht weit von Regents-Quadrant finden wir in Queenstreet den großen deutschen Biersaal des ehemaligen famosen Hanauers Göhringer, jetzt im Besitz eines von Australien zurückeingewanderten Deutschen, Perl, der 1848 mit dem berliner Auswanderungszuge ging, zwei Häuser davon (Nr. 12) ein deutsches Speisehaus, wo man mit bescheidenen Mitteln gut ißt. Der andere Hanauer, Schurtner, behauptet sein Bierhaus in Langacre mit zunehmendem Emponpoint und mit Musik und deutschen Liedern jeden Sonnabend. Dazwischen hat ein österreichischer Adeliger von Australien, Herr von Bibra, ein großes Cigarren-, Speise- und Billardgeschäft mit Erfolg eröffnet. Kleine deutsche Kaffeehäuser und mehrere große deutsche Hotels und Logirhäuser verstecken sich hier in Nebenstraßen. Einige größere bilden eine Ecke in Finsburg-Square (City) und eine unzählige Menge Bierlokale und kleine Kaffeehausräuberhöhlen zerstreuen sich in Whitechapel, besonders in der Nähe der Katharinen-Docks, wo die Dampfschiffe anlegen und die von Seekrankheit angegriffenen deutschen Brüder beim Aussteigen eingefangen werden.

Uebrigens bin ich im fernen barbarischen Osten Londons mit Whitechapel und Klein-Deutschland wenig bekannt. Ich höre nur, daß die Zuckersieder sich ihr saures Leben durch häufige Tanzmusik versüßen, durch Bälle, welche die Engländer so begeisterten, daß sie die deutsche populäre Art, sich auf dem „Tanzboden“ zu amüsiren, nach Kräften copiren.

Zwischen Osten und Westen in der Mitte verbirgt sich in Cliffordsinn-Fleetstreet, das große Publik- und Speisehaus eines Kölners, wo kaufmännische Deutsche und Engländer mit einander rauchen, discuriren und sich restauriren. Und was verbirgt sich noch Alles aus Deutschland hier in diesem unermeßlichen Wirrwar von beinahe drei Millionen Menschen? Noch müßte ich wenigstens von den deutschen Buchhandlungen (Nutt, Trübner, Quaritch, Thimm u. s. f.) Musikalienhandlungen (Schott, Regentstreet), deutschen Leihbibliotheken (Timm, Bender u. s. w.), deutschen Künstlern, besonders den Malern (unter denen Karl Haag es bis zur Spitze der Wasserfarbenmalergesellschaft und bis zur Königin gebracht hat), deutschen Aerzten (Dr. Heß, <tt<Dr. Gerber u. s. w.), deutschen Kirchen, Schulen und Missionären, vom deutschen Hospitale, von deutschen Lehrern und Gelehrten, von deutschen Literaten und Correspondenten, Musik-, Gesang- und Sprachlehrern, ohne die es keine einzige respektable Schulanstalt in ganz England mehr giebt, von deutschen Straßenmusikanten, die Tag und Nacht in allen Gegenden Londons aus schmutzigen Blechinstrumenten himmelschreiende Mißtöne pusten, deutschen Bummlern, Bettlern und Betrügern, vom deutschen „Gentlemans“-Verein in der City, von deutschen Engrosgeschäften in der City, von deutschen Crösus’ in Manchester, Liverpool, Hull, Bradford, Dover u. s. w. reden, um eine Vorstellung von dem Umfange und der rasch zunehmenden Bedeutung der Deutschen in London und ganz England zu geben; aber wer kann ein so reiches, noch werdendes, zerfahrenes und zerstreutes Material in einer einzigen Wanderung besuchen und schildern? Diese in London zerstreuten deutschen Fremdenlegionen sind noch etwas Werdendes, wie die in der neuen deutschen Lagerstadt bei Shorncliffe. Sobald etwas daraus geworden ist, schreib’ ich wieder, wenn ich bis dahin noch existire.

Doch kann ich nicht schließen, ohne mit einiger Heiterkeit auf das neue „Londoner deutsche Journal für Kunst, Musik, Gewerbe und öffentliches Leben“ aufmerksam zu machen. Die erste Nummer fängt mit dem Ausrufe des sterbenden Herder an. „Gebt mir einen großen Gedanken!“ und sie findet ihn in der „russischen Buchdruckerei“ und den Ronge’schen Kindergärten zu London. Als Literatur und Journalistik hat sich Deutschland bisher immer in London blamirt, erst mit der londoner Zeitung des Herzogs von Braunschweig, dann mit der deutschen Ausgabe der „Illustrated London News“ unter Redaktion eines davongelaufenen wiener Ladendieners, Pokorny, ferner mit dem Louis Drucker’schen „How do you do?“ dann mit dem „Telegraphen“ eines Schwindlers aus Leipzig, Dresden, Berlin und Petersburg, Bertholdi (der sich Professor nannte), eine zeitlang mit der Marx’schen Fortsetzung der „Neuen Rheinischen Zeitung“ in Vierteljahrsheften, zuletzt durch das Ronge’sche deutsch-englische Löschpapier: „The Confederate“ und zu guter Letzt durch das „Londoner deutsche Journal.“ Es fehlt für ein deutsches Organ in London nicht an Capacitäten, wohl aber an Kapital, da die meisten deutschen Kapitalisten hier mit Deutschverächterei renommiren und Vatermörder und Bart wie Rothschild krämpeln.




Populäre Chemie für das praktische Leben.

In Briefen von Johann Fausten dem Jüngeren.
Elfter Brief.
Vom Theer.

Der Glaube an Wunder hat in der Jetztzeit, die sich so gern die „Aufgeklärte“ nennt, einen harten Stoß erlitten. Das Allgemeingut einer vergangenen Zeit ist nur noch das specifische Eigenthum der alten Weiber beiderlei Geschlechts. Und doch können wir nicht leugnen, daß selbst noch heute ebenso gut Wunder geschehen, wie zu irgend einer andern Zeit. So wird uns z. B. erzählt, daß auf einer Hochzeit im Alterthum Wasser in Wein verwandelt worden sei. Das geschieht jetzt fabrikmäßig; seit Jahren werden viele Tausend Quart „Pumpenheimer“ Jahr aus Jahr ein in den edelsten Wein umgewandelt, durch den sich selbst die Zunge des Kenners bestechen läßt, mag er auch noch so aufgebracht darüber sein, daß der Mensch in seiner Vermessenheit wagt, der Natur in’s Handwerk zu pfuschen. Dies eine Beispiel aus einer großen Zahl überhaupt herausgegriffen, lehrt uns, daß die Wunder heute noch eben so im Schwunge sind wie irgend je; der Unterschied ist nur der, daß sie alltäglich geworden, und dadurch eben haben sie das Wunderbare abgestreift.

Aus alter Zeit her klebt dem Chemiker der Name „Schwarzkünstler“ an; heute verdient er diese Bezeichnung mit Recht. Ueberall, wo er mit seinem Zauberstabe anklopft, bricht eine lebendige Quelle hervor, hell und rein wie die aus dem Felsen in der Wüste und mehr Segen spendend als diese, denn statt des Wassers liefert sie Arbeit. Schon früher haben wir gezeigt, wie das Hauptstreben der Gegenwart, die Förderung der materiellen Interessen, den treuesten Bundesgenossen in dem Chemiker findet. Die Geschichte vom Theer, der man in früherer Zeit gewiß einen Platz unter den

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 451. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_451.jpg&oldid=- (Version vom 3.7.2023)