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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855)

nur augenblicklich getrübten Glücks bleibt, gewährt eine bald freudige, bald schmerzliche Wollust, und Philipp empfand diese Wirkungen in einem Maße, daß ihn der Schlaf floh.

Mitternacht war vorüber, und immer noch saß Philipp neben dem Tische, auf dem das fürchterliche Papier lag. Die Kerze war tief herabgebrannt. Da öffnete sich leise die Thür und Josephine schlich vorsichtig herein. Als sie den sinnenden Mann erblickte, der ihr Erscheinen nicht bemerkte, sah sie wie flehend zum Himmel empor, indem sie einen Seufzer unterdrückte. Sie wollte bezaubernd sein, und sie war es. Ein elegantes Negligée von weißem Batist schloß ihre üppigen Formen ein. Der Busen war nachlässig verhüllt, und das dunkele Haar quoll in wirren Locken auf die blendend weißen Schultern herab. Pantoffeln von violettem Sammet bekleideten den kleinen Fuß. Mit der Miene der Siegerin schlich sie leise näher und legte ihre niedliche Hand, an welcher der Trauring glänzte, über die Augen ihres Mannes. Dann neigte sie sich zu seinem Ohre, daß ihr Athem ihn anhauchte und die Spitzen ihrer Zähne ihn berührten, indem sie flüsterte!

„Woran denkst Du?“

Und indem sie ihn an sich drückte, umschlang sie ihn mit ihren Armen, als ob sie ihn seinen bösen Gedanken entreißen wollte. Dann küßte sie seine heiße Stirn.

„An Dich!“ antwortete er.

„In welchem traurigen Tone sagst Du mir das! Philipp, Du leidest!“ fügte sie theilnehmend hinzu.

„Ja, Josephine, ich will es Dir nicht verbergen. Soviel ich auch kämpfe, ich kann den Inhalt jenes Briefes nicht vergessen, so lange er mir ein Geheimniß bleibt. Er hat mein Innerstes verletzt, ich muß es eingestehen. Es drängen sich mir Vermuthungen auf, die meine Liebe verwirft, und ich liebe Dich mit derselben Innigkeit. Du bist meine Gattin, und meine Gattin hegt Gedanken, die mir unbekannt bleiben sollen? O, ich weiß, was Du sagen willst!“ rief er aus, als er sie bitter lächeln sah. „Aber dasselbe habe ich mir tausendmal gesagt seit den zwei Stunden, die ich hier sitze.“

Josephine erhob sich und sah mit einem schmerzlichen Lächeln vor sich hin.

„Ich bedauere Dich und mich, Philipp!“ flüsterte sie. „Dich, weil Dein Glück getrübt ist, ohne Deine Schuld, und mich, weil ich Dir weniger bin, als ich Dir sein wollte. Fast muß ich glauben, daß eine Ehe, wie ich sie mir denke, zu den Verhältnissen gehört, die man nicht erschaffen kann, wenn sie der Zufall nicht fügt. Du weißt, daß mich nicht Liebe, sondern nur Dankbarkeit an meinen ersten Mann fesselte, und bei der großen Verschiedenheit unsers Lebensalters konnte dies auch nicht anders sein. Ich hing an Lindsor wie die Tochter an dem Vater, ich war eine Gattin ohne Gatten. Mein Mann war ein Engländer, mit allen Vorzügen und Schwächen seiner Nation begabt. Er war eitel, selbst stolz darauf, wenn man seine junge Frau bewunderte und ihn darum beneidete; aber nie hat er mich durch Eifersucht oder Verdacht gekränkt. Als man ihn darum befragte, gab er zur Antwort: wenn ein junges Mädchen die Pflicht der Dankbarkeit so weit ausübt, daß sie ihr junges Leben an ein altes knüpft, daß sie auf das Glück der Liebe Verzicht leistet, nur um die letzten Tage ihres bejahrten Vaters zu verschönen und die Ehre desselben zu retten – dann, mein Freund, ist der leiseste Verdacht ein Verbrechen, dann giebt es keine Charakterconsequenzen mehr in der Welt, wollte man annehmen, daß Josephine meine Ehre verunglimpfen kann. Hätte nicht schon ein natürliches Prinzip meine Handlungen geregelt, diese Kundgebung eines mich hoch ehrenden Vertrauens würde mich zu dem größten Opfer befähigt haben. Schon vor der Abreise meines ersten Mannes sah ich Dich, und ich verhehle nicht, daß eine Veränderung in mir vorging, die mich zittern machte. Aber ich kannte meine Pflicht, und nur erst als ich dieser entbunden war, folgte ich der ersten Regung der Liebe, die ich bis dahin nicht gekannt hatte. Mein Mann empfing mich zwar als eine Wittwe, aber ich brachte ihm alle Empfindungen einer Jungfrau mit, die zum ersten Male liebt. Philipp, ich konnte an dem Manne nicht zur Verrätherin werden, den ich nur achtete; soll ich Dich verrathen, den ich liebe und den ich nun auch unbedingt achten muß, nachdem er seinen schönen Charakter so glänzend an den Tag gelegt hat? Du giebst jener armen Familie ein so großes Vermögen zurück, und mir verweigerst Du das Geschenk Deines Vertrauens? O, mein Gott, jetzt, wo Du mir zum ersten Male beweisen kannst, daß Du mich am Höchsten achtest in der Welt, jetzt würdigst Du mich in eine Klasse von Frauen herab, welche die tiefste Verachtung verdienen. Dem Schreiber jenes Briefes glaubst Du – mir nicht! Ich habe Dir genügende Aufklärung versprochen und doch hältst Du mich für schuldig. Du siehst mein Bemühen, Deinen Argwohn zu zerstreuen; und dennoch hegst Du ihn, Dir und mir zur Marter. O, ich habe schon zu viel gesprochen ein einziges Wort hätte hinreichen müssen. Philipp, Du liebst mich, aber Du verstehst mich nicht!“

Die letzten Worte hatte sie mit bebender Stimme gesprochen. Sie wandte sich ab und bedeckte ihr Gesicht.

„Josephine,“ sagte der junge Mann, indem er ihre Hand ergriff, „ich will ruhig sein, ich verspreche es Dir! So lange ich kann, will ich Dein Geheimniß achten; aber ich wiederhole es, gieb mir Aufklärung nicht wegen Deiner, sondern wegen meiner!“

„Könnte ich, so sollte es gleich geschehen; aber Rücksichten für Dich verbieten es mir. Wäre in jenem Briefe von weniger als von einer Heirath die Rede, ich würde es nicht über mich gewinnen können, Dich länger in dieser Ungewißheit zu lassen. So aber, mein Freund, prüfe mit dem Verstande, und nicht mit dem Herzen. Gute Nacht, Philipp!“

Sie küßte ihn und entschlüpfte rasch in ihr Zimmer.

„Sie hat Recht!“ dachte Philipp, und ging zu Bett. Er schmeichelte sich mit dem Gedanken, daß ihn nur noch die Neugierde plage, und es gelang ihm, einzuschlafen.

Wenn ein Gewölk den klaren Horizont zweier Liebenden getrübt, die das höchste Glück in dem gegenseitigen Austausche ihrer Gefühle gefunden, so bleibt stets eine Spur in den Genüssen zurück, nachdem es sich wieder verzogen hat. Wie das Land nach dem Regen sich erfrischt, so wird die Liebe entweder lebendiger, oder die Erschütterung dauert fort wie der Donner, der noch einige Zeit bei hellem Sonnenscheine nachhallt. Die Liebe vermehrt oder verringert sich.

Der unbekannte Bewerber hatte versprochen, am andern Tage zu erscheinen. Philipp’s Unruhe läßt sich denken. Er beobachtete Josephine – sie war liebenswürdig und unbefangen, wie immer. Sie verrieth durch kein Wort, keine Miene, daß eine wichtige Katastrophe bevorstehe. Als sie gegen Mittag aus ihrem Boudoir trat, hatte sie eine reizende Toilette gemacht.

„Willst Du ausgehen?“ fragte er.

„Nein. Es ist möglich, daß ich Besuch erhalte.“

Und dabei lächelte sie erröthend. Dann hing sie sich an seinen Arm, und ging mit ihm im Zimmer auf und ab. Plötzlich ward draußen die Glocke gezogen. Die beiden Gatten blieben stehen und sahen sich lächelnd an. Philipp glaubte zu bemerken, daß Josephine’s Hand ein wenig zitterte.

„Willst Du den Besuch allein empfangen?

„Du bist mein Gatte, und hast zu bestimmen.“

In diesem Augenblicke trat Meta ein und meldete mit lauter Stimme:

„Ein Fremder, der sich Major von Wildau nennt, wünscht Madame zu sprechen!“

Philipp erbleichte.

„Major von Wildau?“ wiederholte er.

„Hier ist seine Karte!“ sagte die Kammerfrau, sich verneigend.

„Er ist’s!“ flüsterte der junge Mann, nachdem er den Namen auf dem eleganten Blatte betrachtet hatte. „Was mag er wollen?“ fragte er in sichtlicher Bestürzung.

„Wir werden es erfahren, wenn wir ihn empfangen!“ antwortete Josephine ruhig.

„Meta, führen Sie den Fremden in den kleinen Saal!“ sagte Philipp.

Die Kammerfrau entfernte sich.

„Was ist Dir, lieber Mann? Die Ankunft des Majors hat Dich in eine seltsame Aufregung versetzt. Kennst Du ihn?“

„Ich glaube. Josephine, empfange ihn zunächst allein. Du wirst mir gestatten, daß ich in dem kleinen Kabinette der Unterredung beiwohne, das durch eine Vorhang von dem Saale getrennt wird. Weder Eifersucht noch Mißtrauen veranlassen mich, ein unsichtbarer Zeuge zu sein – ich schwöre es Dir, Josephine! Der Major wird ohne Zweifel nach mir fragen; aber nimm seine Aeußerungen mit Vorsicht auf, er ist ein grober, auf seinen Reichthum pochender Hagestolz, der eigentlich abgewiesen zu werden verdiente. Aber fürchte nichts; sollte er Dich beleidigen, selbst nur durch ungeziemende Worte Dich kränken, so steht Dein Mann Dir zur

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