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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855)

Seiner Braut hatte er nur das Glück seiner Versetzung und seiner Ankunft gemeldet. Das weit größere Glück des Besitzes jener Summe, die auch die zwei Jahre des fernern Wartens beseitigen sollte, zwei Jahre, die ihm jetzt auf einmal wie eine Ewigkeit vorkamen, dieses Glück wollte er ihr mündlich mittheilen. Das Glück der Geliebten beim Empfange der Nachricht sollte sein Glück verdoppeln, und so sein Glück wieder das ihrige.

Es war gegen Ende des Monats September, als er eines Abends um sechs Uhr mit der Post in Berlin eintraf. Auf dem Posthofe wartete seiner ein Freund und Kamerad, dem er Tag und Stunde seiner Ankunft geschrieben, und der ihm auch schon ein Quartier, und um nach diesem zu fahren, in der spandauer Straße eine Droschke bestellt hatte.

In der damaligen Zeit pflegten die berliner Droschken noch ziemlich langsam zu fahren. Ein flinker Eckensteher war eben so geschwind wie sie. Freilich gab es der flinken Eckensteher nur wenige. Jetzt sind sie ganz ausgestorben; nur ihr Witz lebt noch fort, verschlechtert durch die berliner Mitarbeiter in den leipziger Grenzboten.

Es war schon dunkel und die Straßenlaternen waren schon angezündet, als die langsame Droschke vor dem neuen Quartier des Lieutenants ankam.

Das Quartier war in dem Hause Markgrafenstraße Nummer 92, nicht weit von der Lindenstraße. Es lag dort Parterre, gleich rechts vom Eingange in das Haus. Das Parterre war indeß hoch; man mußte zur Eingangsthür des Hauses eine Treppe von fünf bis sechs steinernen Stufen ersteigen. Das Quartier bestand aus einer Wohnstube mit dahinter befindlichem Alkoven zum Schlafen. Die Wohnstube hatte zwei Fenster, die auf die Markgrafenstraße gingen. Das Möblement war einfach. Ein Sopha, sechs Stühle, ein runder Tisch vor dem Sopha, ein kleiner Tisch unter dem Spiegel, ein Schreibsekretär, ein Kleiderschrank; im Alkoven ein Bett.

Jeder Offizier hat zu seiner Bedienung einen „Burschen,“ ein Soldat, der ihm von dem Truppentheile, welchem er angehört, gestellt wird. Der Bursche des Lieutenants von Maxenstern, von dem Kameraden des Letzteren schon bestellt, wartete des neuen Herrn in dem Quartier. Er trug die Sachen des Lieutenants hinein, die jedoch ein gewöhnlicher Reisekoffer hätte fassen können; der große Federhut und der Czako hatten allerdings jeder seine besondere lederne Kapsel.

Der Lieutenant von Maxenstern war ein sehr ordentlicher Mann. Wie sehr es ihn trieb, sofort die Geliebte zu begrüßen, so mußte er doch vorher seine Sachen in dem neuen Quartier in Ordnung bringen. Der Koffer wurde geöffnet; die sämmtlichen, darin befindlichen Uniformstücke wurden in den Kleiderschrank gehängt; die Wäsche wurde in die unteren Schubladen des Schreibsecretärs gelegt; andere Kleinigkeiten wurden besorgt. Als Alles fertig war, wurde der Bursche verabschiedet, um am folgende Morgen um sieben Uhr zurückzukommen. Dann schickten auch die beiden Offiziere sich zum Fortgehen an.

Vorher jedoch zog der Lieutenant von Maxenstern aus der Brusttasche seiner Uniform ein kleines, sorgfältig in Papier eingewickeltes und mit Bindfaden umwundenes Päckchen hervor. Er trat damit an den noch geöffneten Schreibsecretär; er schien es in diesen hinein legen zu wollen. Bevor er dies ausführte, prüfte er sorgfältig, ob der Secretär auch sicher zu verschließen sei. Seine Untersuchung befriedigte ihn. Nicht nur hatte die Klappe des Secretärs einen dem Anscheine nach festen Verschluß; auch inwendig, in der Mitte zwischen den beiden Reihen der kleineren oberen Schublade war ein kleiner Behälter mit einem wohlverschließbaren Thürchen versehen. In diesen Behälter legte der Lieutenant das Päckchen; er schob es vorsichtig hinten in eine Ecke. Dann verschloß er mit nicht minderer Vorsicht zuerst das kleine Thürchen und dann darauf die Klappe des Secretärs.

Während dessen hatte er sich mit einer Sorgsamkeit, die man beinahe Aengstlichkeit nennen könnte, überall in der Stube umhergesehen. Die Stube hatte nur eine Thür, die auf den Flur des Hauses führende Eingangsthür; auch in dem Alkoven, der von ihm nur durch einen Vorhang getrennt war, befand sich weiter keine Thür. In so weit schien der Lieutenant unbesorgt zu sein. Besorgt schienen ihn aber die Fenster zu machen. Sie standen offen; schon der Bursche hatte sie vorher geöffnet, um, zumal da es am Tage heiß gewesen, die frische Abendkühle hineinzulassen. Der Offizier blickte durch die Oeffnung unten auf die Straße. Die Brüstung der Fenster war mindestens neun bis zehn Fuß hoch über dieser. Das beruhigte den Lieutenant. Noch mehr verschwand seine Besorgniß, als er sich überzeugte, daß die Fenster von innen mit sehr starken Laden zu verschließen seien. Er verschloß sie damit.

Dem Kameraden war die ungewöhnliche Vorsicht nicht entgangen.

„Man sollte glauben, Du schließest da einen Schatz ein,“ scherzte er.

„So ist es in der That,“ antwortete der Herr von Maxenstern völlig ernst.

Der Andere wurde neugierig. „Nun?“ fragte er.

„Mein Heirathsgut, baare zwölftausend Thaler.“

Der Kamerad fuhr beinahe zurück.

„Kerl, bist Du verrückt geworden?“

„Ich versichere Dich.“

„Auf Ehre?“

„Auf Ehre!“

„Aber wie? Erkläre mir, Graf Oerindur, diesen Zwiespalt der Natur.“

„Unterwegs.“

„Aber, alle Teufel, auf Ehre, Kamerad „Was ist’s?“

„Du lässest das Geld hier so liegen - die berliner Diebe.“

„Es mit mir herumzutragen, wäre noch unsicherer.“

„Warum übergiebst Du es nicht Deiner Braut?“

„Ich muß mich morgen beim Obersten melden. Ich bitte dann gleich um den Heirathsconsens und zeige pflichtmäßig mein Geld vor.“

„Am Ende ist es auch hier sicher. Die berliner Diebe sind zwar verdammt frech. Aber seitdem der Polizeirath Duncker da ist, haben sie doch große Scheu bekommen; er hat auch ihre Reihen sehr gelichtet. Auf Ehre, der Duncker, das ist ein Kerl!“

„Ich habe von ihm in der Provinz gehört. Das Gerücht übertreibt also nicht?“

„Ein Teufelskerl, auf Ehre. Alles kriegt er heraus. Es ist nicht zu begreifen, wie er es anfängt. Die Diebe fürchten ihn wie den Teufel. Die Residenz athmet ordentlich auf, seitdem die Criminalpolizei in seinen Händen ist.“

Die beiden Kameraden gingen. Das Licht wurde ausgelöscht, nach den Fensterläden noch einmal gesehen, die Stubenthür wohl verschlossen. Den Schlüssel steckte der Lieutenaut von Maxenstern zu sich.

Der Lieutenant ging zu der Braut, die unter den Linden wohnte, ihr sein und ihr Glück zu verkünden. War die Arme bei den noch immer freierlosen Töchtern des Obersten früher im Fegfeuer gewesen, so war sie dort, seit der Versetzung ihres Bräutigams in die Adjutantur, in der Hölle. Aus dieser sollte sie jetzt befreit werden.

Sollte sie?

(Fortsetzung folgt.)




Kurden- und Kosaken-Bilder.

I. Kurden.

Wo jenseits der Taurus- und Ararat-Gebirge in Kleinasien sich die zweifelhaften Grenzen zwischen der Türkei, Persien und dem neuen transkaukasischen Rußland und die alten kulturberühmten Flüsse Euphrat und Tigris winden, zwischen wilden Bergen, Seen, Flüssen, Wäldern, Hügeln, Thälern, Ebenen und Steppen und über Ruinen alter, mächtiger Staaten und Hauptstädte, die so merkwürdig klangen, als wir in der Dorfschule im alten Testamente lesen lernen sollten, in diesen weiten, fernen, ausgedehnten, unbekannten

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 470. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_470.jpg&oldid=- (Version vom 3.7.2023)