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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855)

und Lebensheil. Ein Brief an den flüchtigen Dichter bezeichnet mehr als alle andern Worte das strenge, aber rechtschaffene Wesen des Vaters; hören wir ihn deshalb: „So lange Er, mein Sohn, seine Rechnungen auf Einnahmen setzt, die erst kommen sollen, mithin dem Zufalle oder Nothfalle unterworfen bleiben, so lange wird Er im Gedränge verwickelt bleiben. Wiederum: so lange Er denkt: dieser oder jener Gulden oder Batzen wird es nicht ausmachen, daß ich so ’rauskomme, so lange werden Seine Schulden nicht geringer werden, und – das wäre mir leid, wenn Er sich nach einer schweren Kopfarbeit in Gesellschaft anderer guten Menschen nicht sollte erholen, erfreuen können. Aber dergleichen Erholungstage mehrere als Beschäftigungstage zu nehmen, das wird wohl nicht angehen. Bester Sohn, Sein Aufenthalt in Baerbach ist von dieser Art gewesen. Dafür muß er anjetzo büßen und das nicht von ungefähr. Die Verlegenheit, in welcher Er sich dermalen befindet, ist wahrlich ein Werk der höheren Vorsehung, um Ihn von dem allzu großen Vertrauen auf eigene Kräfte abzubringen, um Ihn mürbe zu machen, damit Er allen Eigensinn ablege, dem guten Rathe Seines Vaters und andrer wahren Freunde mehr folge, Jedermann mit mehr Achtung, Höflichkeit und Dienstbeflissenheit begegnen, und je mehr und mehr überzeugt werde, daß unser gnädigster Herzog bei Seiner Einschränkung es gut mit ihm gemeint habe und daß es mit Seiner Verfassung besser stände, wenn er sich gefügt hätte und im Lande verblieben wäre. Er hat überhaupt manchmal so närrische Launen, die Ihn bei Seinen besten Freunden unerträglich machen, Steifigkeiten, die den besten Mann zurückschrecken.

„Nicht genug, daß Er mir den höchst unverdienten Vorwurf macht, als ob ich für Ihn 300 Gulden hätte aufbringen können und sollen, fährt Er fort, mich wegen Nachfrage um Ihn, auf eine sehr empfindliche Weise zu tadeln. Lieber Sohn, das Verhältniß zwischen einem guten Vater und dessen, obschon mit vielen Verstandeskräften begabten, aber doch dabei in dem, was zu einer wahren Größe und Zufriedenheit erforderlich wäre, immer noch sehr irregehendem Sohne, kann den Letzteren niemals berechtigen, das, was der Erstere aus Liebe, aus Ueberlegung und aus selbst gemachter Erfahrung jenem zu Gute vernimmt, als Beleidigung aufzunehmen. Was die verlangten 300 Gulden betrifft, so weiß es leider Jedermann, dem meine Lage nur einigermaßen bekannt, daß es nicht möglich sein kann, nur 50 Gulden, geschweige denn so viel in Vorrath zu haben, und daß ich eine solche Summe borgen sollte, zu immer größerem Nachtheil meiner übrigen Kinder, für einen Sohn borgen sollte, der mir von dem Vielen, was er versprochen, noch das wenigste hat halten können: da wäre ich doch ein ungerechter Vater.“

So der strenge, rechtschaffene Mann. – Wie aber nun der Sohn tausendmal mehr hielt, als er versprochen: der glückliche Vater sollte es noch erleben; sollte zwei Jahre vor seinem Tode den berühmten Sohn noch an sein Herz drücken, thränenden Auges, doch auch immer noch ernstlich bedacht, wegen des Sohnes Heil und Demuth. Der berühmte Sohn verschaffte ihm auch noch einen Verleger für sein Werk mehrerer Jahre über Gartenbau und Baumzucht, und der würdige Vater hat wohl kein Geld mit solcher Freude empfangen, als die 24 Karolin, die ihm für das Werk wurden. – Er blieb rüstig bis in sein 73stes Jahr; dann stellte sich ein Brustleiden ein, das ihn über ein halbes Jahr lang quälte und zuletzt seinen Tod wünschenswerth machen mußte.

Als Schiller denselben erfuhr, schrieb er. „Ein erschütternder Schlag! Daran zu denken, daß etwas, das uns so theuer war und woran wir mit den Empfindungen der frühen Kindheit gehangen, und auch im spätern Alter mit Liebe geheftet waren, daß so etwas aus der Welt ist, daß wir mit allen unsern Bestreben es nicht mehr zurückbringen können, daran zu denken, ist immer etwas Schreckliches. Auch wenn ich nicht daran denke, was der gute, verewigte Vater uns Allen gewesen ist, so kann ich mir nicht ohne Rührung den Beschluß eines so bedeutenden und thatenvollen Lebens denken, daß ihm Gott so lange und mit solcher Gesundheit fristete, und daß er so redlich und ehrenvoll verwaltete. Ja wahrlich, es ist nichts Geringes, auf einem so langen und mühevollen Laufe so treu auszuhalten, und so wie er noch im 73sten Jahre mit einem so kindlichen, reinen Sinn von der Welt zu scheiden. Möchte ich so unschuldig von meinem Leben scheiden, als er von dem seinigen.“

Wir haben diese Worte nicht des Dichters, sondern des Vaters wegen angeführt, weil sie denselben auch im Munde des Sohnes noch näher charakterisiren; die Liebe andeuten, die er hinterließ, den Einfluß, den er jedenfalls auf die Kinder haben mußte.

Viel einfacher als das Leben und Bild des Vaters, ist das der Mutter anzudeuten, obgleich, wie schon oben bemerkt, ihr Einfluß auf den Sohn noch bedeutender war. Auch äußerlich ähnlicher war ihr der Sohn: er hatte ihre hohe, schlanke, zartgebaute, etwas vorgebeugte Gestalt, ihren langen, schönen Hals, ihr langes, röthlich blondes Haar, ihr blaßkränkliches, mit Sommersprossen gezeichnetes Gesicht, ihren feinen Mund mit der etwas hervortretenden Unterlippe, namentlich ihre herrlichen, tiefblauen Augen, die nur leider etwas kränklich und oft röthlich umfaßt waren. Sie war sanft, milde und sinnig, hatte unendlich zartes und inniges Gefühl, hingebende Pflichttreue, das zärtlichste Mutterherz, ahnungsvolles Verständniß für Großes und Schönes, besondere Vorliebe für Uz und Gellert, eine seltene Gabe anregsamer Mittheilung und Erklärung aus den Gebieten der Natur und der biblischen Geschichten, Geschicklichkeit im Spiel der Harfe und Geschick, dann und wann ein einfaches, anspruchsloses, aber formschön gebautes Lied zu dichten, wie das folgende beweisen mag:

„O hätt’ ich doch im Thal Vergißmeinnicht gefunden
Und Rosen nebenbei! Dann hätt’ ich Dir gewunden
Im Blüthenduft den Kranz zu diesem neuen Jahr,
Der schöner noch als der am Hochzeitstage war.
Ich höre traun, daß itzt der kalte Nord regieret,
Und jedes Blümchens Keim in kalter Erde frieret!
Doch eines frieret nicht, es ist mein liebend Herz,
Dein ist es, theilt mit Dir die Freude und den Schmerz.“

Dieses innige Liedchen möge zugleich die Liebe andeuten, womit sie ihrem Mann ergeben war, womit sie ihm treu und wacker anhing durch alle Drangsale und Stürme ihres wechselvollen Lebens. – Acht Jahre ohne Kinder, manches Jahr von ihrem Manne getrennt, war sie viel auf sich, und bei ihrer ohnehin beschaulichen Natur, auf innere Betrachtung angewiesen; da konnten denn alle jene genannten stillen Eigenschaften sich um so innerlicher entwickeln; da konnte sie dieselben um so ungestörter auf die ersten vier bis sechs Jahre ihrer ersten Kinder übertragen. Aber auch später, als der Vater dauernd zurückgekehrt war, und sich mit wissenschaftlichen Studien beschäftigte, waren die Kinder mehr der Mutter als dem Vater zugewiesen; flüchteten vor dessen Strenge auch immer hin zur versöhnenden sanften Mutter, beichteten ihr, wenn sie etwas Unrechtes gethan hatten, und konnten vor ihrem tiefen, milden Auge nie lügen, was bei dem Vater oft recht flott ging. – Als der kleine Sohn einst bei einem furchtbaren Gewitter auf einen Baum gestiegen war, „um zu sehen, woher das viele Feuer komme,“ und der geängstigte Vater derb strafen wollte, da verklärte sich der ahnungsvollen Mutter bleiches Gesicht zu hohem Glanze und sie schützte den Knaben. Sie schützte ihn auch, als er jetzt alle seine Taschen umgekehrt hatte, um, was darin sei, armen Reisenden zu schenken; als er dann ohne Schuhschnallen nach Hause kam, weil er dieselben einem armen Knaben geschenkt hatte. Sie nahm ihn mit aus allen Gängen in’s Freie, erzählte ihm Sagen, Mährchen, sprach ihm Gedichte vor, machte ihn aufmerksam auf Schönheiten der Natur und erzählte ihm einst die Geschichte von den Jüngern, die nach Emaus gingen und den Herrn suchten, mit solcher Wirksamkeit, daß dem Knaben die hellen Thränen aus den Augen stürzten.

Ihr auch vertraute der Sohn die Absicht seiner Flucht an, und sie verstand ihn, segnete ihn unter krampfhaftestem Schluchzen und kämpfte einen tiefen, schmerzlichen Kampf mit dem Gefühle, ihrem geliebten Manne solch wichtiges Geheimniß verschweigen zu müssen. Die Mutterliebe aber siegte; sie schwieg, stark und heiter.

Im Jahre 1784 sah sie allein den Sohn zum ersten Male wieder, in Bretten, gleich über der Landesgränze; hierher eilte heimlich der Sohn, um die geweihte Stirn den ersten Lorbeerkranz, den für „Kabale und Liebe“ das Vaterland ihm schon gewunden hatte. Im Jahre 1792 besuchte sie mit ihrer Tochter Louise den ebenso gefeierten als zärtlich sehnsüchtigen Sohn in Jena. Ein Jahr darauf kam derselbe mit der in Hoffnung gehenden Frau zu den Aeltern, und hier legte er am 14. September sein erstes Kind in die Arme der überglücklichen Großmutter.

Bis zum Tode ihres Mannes war sie dessen treueste, ausdauerndste Pflegerin. Nach dessen Auflösung schrieb Schiller der Schwester: „Alles, was zu einem gemächlichen Leben gehört, muß der Mutter werden, und es ist hinfort meine Sache, daß keine

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 513. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_513.jpg&oldid=- (Version vom 11.7.2023)