Seite:Die Gartenlaube (1855) 515.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1855)

Preise übersteigen stets seine Mittel, so daß er immer auf Kredit kaufen muß, und sein Schuldenregister immer größer, die Abhängigkeit von dem einzigen Gläubiger immer drückender wird. Der dia de raya, Zahltag, sonst unter den Arbeitern freudig begrüßt, ist ihm deshalb ein Tag zunehmenden Elends.

Da ich mich später sehr lange in der Nähe der Hacienda aufhielt, hatte ich oft Gelegenheit, in das Innere der Hütten und der Zustände dieser Päones zu blicken. Der Laden, in welchem sie allein alle ihre Bedürfnisse kaufen mußten, stand in der Mitte des unter lachendste Vegetation begrabenen Dorfes. Eines Morgens war ich Zeuge des Geschäfts darin. Jeder Päon, der sich einstellte, zog ein etwa sechs Zoll langes hohles Stück Rohr aus der Tasche und entrollte daraus zwei Stückchen Papier, das eine des Gläubigers, das andere seine Rechnung. Von der Bilanz dieser beiden Rechnungen hing der Kredit der Käufer ab. Unter ihnen fiel mir gleich von vornherein ein ganz besonders hohlbackiges, abgemagertes Individuum auf, das immerwährend ängstlich umhertrippelte, bis sich die andern Käufer verlaufen hatten. Es rauchte dabei eine Cigarito nach der andern, augenscheinlich um den bellenden Hunger zu betäuben. Endlich trat es entschlossen an den Ladentisch und forderte ein Cuartillo Mais.

„Ihr Rohr,“ antwortete der Diener.

Er zieht sein simples Verzeichniß von Soll „und Haben“ zitternd heraus, der Diener wirft’s ihm nach dem ersten Blick hin und verweigert jede weitere Erhöhung des Kredits. Noch mehr zitternd steckt das unglückselige Jammerbild sein Rohr wieder ein, sieht stechend und verzweifelt umher und wollte fortschwanken. Von Mitleid ergriffen, bezahlte ich die von ihm verlangte geringe Quantität Mais, worüber der Unglückliche so erstaunt und entzückt war, daß er mir, um mir seine Dankbarkeit zu beweisen, noch einen Real (5 Silbergroschen) abborgte und mich außerdem flehentlich bat, ihn in seine Hütte zu begleiten, wo sein Weib sterbenskrank läge und so sein Einkommen geschmälert habe, daß ihm der Kredit abgeschnitten ward, als er dessen am Dringendsten bedurfte.

In der Hütte bildeten ein paar irdene Gesäße und einige Ochsenhäute das ganze Mobiliar. Auf einer dieser Häute lag ein abgemagertes, elendes Weib, um welches zwei Kinder in großer Unschuld und noch mehr Schmutz spielten. Sie schwang mit matter, knöcherner Hund ein an Aloe-Fibern aufgehangenes Bündel, in welchem ein Säugling schlief. Ich rieth statt der Pimento- und Cactusfrüchte, von denen die Leute seit Wochen ausschließlich gelebt, eine geeignetere Kost und Diät, aber sie horchten mit traurigem Kopfschütteln zu, bis der Mann plötzlich freudig die Hände rieb und entzückt rief, die heilige Jungfrau habe ihm eine herrliche Idee eingegeben, die sein Glück begründen werde und müsse. Alles Fragen half nichts, er behielt das Geheimniß seiner Idee für sich und wiederholte nur immer ganz entzückt: „Eine gloriose, triumphirende Idee.“

Zwei Tage darauf begegnete ich dem Eigenthümer der Hacienda, vor welchem niedergebeugt und die Mütze in der Hand drehend mein Päon, dem die heilige Jungfrau die triumphirende Idee eingegeben, wie ein zum Strange verurtheilter armer Sünder stand.

„Ah, Sennor Don Ramon,“ rief ich, „wie steht’s? (como esta?)[1] Was giebt es Neues?“

„Daß meine Leute sich mit den Panthern gegen mein Vieh verbunden haben, das giebt es Neues,“ erwiederte Sennor Don Ramon ganz rothbraun vor Wuth. „Nun hab’ ich noch ein Füllen verloren und zwar durch die Dummheit dieses Kerls hier. Sie wissen,“ fuhr er mit steigender Leidenschaft fort, „daß diese verfluchten Panther alle Nächte Verwüstungen unter meinem Vieh anrichteten. Gestern nun kommt dieser Hallunke hier zu mir und behauptet, die heilige Jungsfrau habe ihm eine triumphirende Idee zu meinem Gunsten eingegeben.“

„Das war mein Glaube,“ bemerkte der Angeklagte bescheiden.

„Also, er schlug vor,“ fuhr der Don fort „an einem gewissen Platze ein Füllen als Lockspeise für die Panther anzubinden. Er wolle dann die ganze Nacht mit einem geladenen Gewehre in einem Versteck dabei wachen und jeden Panther, der sich dem Köder nähern würde, niederschießen. Ich war thöricht genug, ihm ein Füllen von sechs Monaten dazu zu bewilligen. Was hast Du mit dem kostbaren Thiere gemacht, Schlingel?“

„Sehen Sie, Sennor Mästro,“ sagte der Päon furchtsam „ich hielt mich zwei Stunden lang im Dickicht versteckt. Zehn Schritt davon schlug das angebundene Füllen um sich und lockte die Panther an. Endlich leuchtete es wie zwei brennende Cigarren durch die Finsterniß. Ich zielte dahin, empfahl meine Seele der heiligen Mutter Gottes, wandte den Kopf ab und drückte los.“

„Und statt des Panthers schossest Du das Füllen todt, Hallunke!“

„O, Sennor Mästro, ich lähmte es blos ein Bischen –“

„Ganz gleich, geh’ und laß Dir vom Secretär acht Stunden Cepo geben.“

„Aber es war doch eine triumphirende Idee,“ sagte der so Verurteilte, indem er langsam und schluchzend ging, um sich selbst dem Cepo zu überliefern.

Das Mitleiden mit dem Unglücklichen ließ mir keine Ruhe, so daß ich nicht umhin konnte, den Ort der Cepo’s und anderer Strafinstrumente aufzusuchen. Der Cepo ist ein barbarischer Pranger, ähnlich den früher in England üblichen „stocks“, d. h. zwei Klötzen, auf deren einem der Bestrafte lag, deren anderer aber, gewöhnlich zu diesem Zwecke durchlöchert, die Füße desselben in die Höhe festhielt. Der Cepo aber ist grausamer und knebelt die Füße in einer Höhe, daß der Bestrafte nur auf dem Nacken eine Stütze für den ganzen Körper findet, eine Lage, die nach einigen Stunden unerträglich wird. Ich sah etwa ein halb Dutzend solcher Cepo’s in einem Hofe der Hacienda aufgestellt, einige mit einem Schirm gegen die Sonne bedeckt, welcher als bedeutende Milderung der Strafe gilt. Ich suchte nach meinem Päon, fand aber dafür Martingalo, einen der Schäfer, aber ohne Schirm, so daß er in dem Brande der Sonne lag, als sollte er gebraten werden.

„Wie kommst Du hierher?“ fragte ich verwundert.

„Ach, Sennor Cavalier,“ antwortete er kläglich, „nur wegen meines guten Herzens. Als ich hörte, daß Einer meiner Freunde zu acht Stunden verurtheilt war, gab mir die heilige Jungfrau den mitleidigen Gedanken ein, daß ihm etwas Zerstreuung gut thun werde. So kam ich hierher mit einigem kleinen Gelde und einem Spiel Karten. Unglücklicher Weise aber hatte mein Freund kein anderes Capital als seine acht Stunden Cepo, in welchen er eben eingespannt werden sollte. Doch setzte ich erst zwei wirkliche Realen gegen sein Versprechen, daß er ebenfalls zwei Realen zahlen würde, wenn er verlöre. Ich war sonst immer sicher und spielte glücklich, da ich ein hübsches Kunststück beim Spiel verstehe; aber jetzt verlor ich. Ich verlor und gewann wieder, bis ich aber zuletzt doch Alles, bis auf gar nichts, verloren hatte. Mein Mitspieler, ein guter Kerl, schlug mir dann, um mir Gelegenheit zu geben, daß ich Alles wieder gewinnen könnte, seine acht Stunden Cepo als Einsatz vor. Gewönne ich, wollte er mir alles Geld zurückgeben, sollte ich aber verlieren, müßte ich die acht Stunden Cepo für ihn übernehmen. Diesmal gewann ich, aber natürlich blos die acht Stunden Cepo. Meine Ehre erforderte es jetzt, zum Verwalter zu gehen und seine Einwilligung zu der Stellvertretung zu erbitten, um so mehr –“

„Als Du glaubtest, er werde Nein sagen,“ unterbrach ich ihn.

„Er Nein sagen? O, im Gegentheil, mit der niederträchtigsten Höflichkeit willigte er ein.“ Dabei suchte er sich bald mit den Ellenbogen zu stützen, bald die eine oder die andere Hand als Sonnenschirm zu brauchen und seine furchtbare Lage durch alle möglichen Rückungen und Renkungen zu erleichtern.

Die größte Erleichterung schien ihm der Dollar, den ich meinem Schützlinge zugedacht hatte, und nun ihm gab. Er betheuerte, daß dieses Geschenk für eine besondere Gelegenheit, sein Glück zu machen, aufbewahrt werden sollte. Eine solche bot sich ihm kurz nachher: er spielte mit dem Besitzer eines westindischen Sclaven um diesen Sclaven und gewann ihn.

So einfach dieses Bild aus dem mexikanischen Leben ist, enthält es doch genug Elemente zu dem Beweise, daß dem Mexikaner die Verjagung ihres Tyrannen, Santa Anna, und der Anschluß an die nordamerikanischen, sklavenenthusiastischen Freistaaten nicht viel helfen wird, so lange sie solche sociale Beziehungen, solche Gerechtigkeitspflege, solche Arbeiterverhältnisse, solche Spiele um Menschen und Cepo haben. Unter solchen Verhältnissen folgt oft dem Mann der Ruthe der Zuchtmeister mit „Scorpionen.“



  1. Spanisch: Wie steht’s? Deutsch: Wie geht’s? Französisch: Wie tragen Sie sich? Englisch: Wie thut Ihr Thun? u. s. w., in jeder Nation anders, just nach ihrer kulturhistorischen und physikalischen Eigenthümlichkeit.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 515. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_515.jpg&oldid=- (Version vom 11.7.2023)