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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855)

Das Kaiserthum ist Versöhnung mit dem halbtausendjährigen Erzfeinde England. England vergöttert den Kaiser in London.

Die kaiserlich gewordenen Pariser vergöttern die Königin von England in Paris.

Königin Victoria mit Familie steht in der Nacht neben der Asche Napoleon’s des Ersten, geführt vom Dritten.

Waterloo ist gerächt. Die lebendig gewordene Asche Napoleon’s – wird sie nun sterben und Frieden haben und halten?

Welches Mährchen aus Tausend und einer Nacht klingt so phantastisch, als diese trockne Zusammenstellung von neuern und neuesten geschichtlichen Thatsachen?

All’ der fabelhafte Pomp, der die Königin von England in Paris stets umdrängte und Millionen verwüstete, hat zusammengeschmolzen und legirt nicht den hundertsten Theil der geschichtlichen Bedeutung, welche in dem stillen, nächtlichen, dem Volke unzugänglichen Heranschreiten der Vertreterin der englischen Nation zu der Asche des größten Feindes Englands am Arme Napoleon’s III. lag, des Beherrschers von Frankreich und des Siegeshauptes über den Trümmern von Sebastopol. England bat in diesem Akte um Vergebung der Sünden von Waterloo und Helena, um Vergebung des Blutes von einigen Millionen Menschen, welche die Kriege zwischen England und Frankreich verschlungen hatten, ohne zugleich einen Ablaß bei dieser Gelegenheit mit einzureichen für die siebentausend Millionen Thaler Kriegsschulden, die es seinem Volke größtentheils deshalb aufgebürdet hatte, um Napoleon und dessen Geschlecht der Legitimität und der Bourbonen wegen für immer von Frankreich zu verbannen – bat in diesem Akte um Vergebung aller seiner Legitimitätskriege und huldigte – obgleich die aristokratischste, conservativste Regierung – doppelt der Revolution, dem großen Sohne derselben und dem – Dritten.

Am Tage, als die Königin von England das Grab des großen Napoleon besuchen wollte, war das Volk ausgeschlossen. Die Königin kam erst Abends an. Die glänzenden Uniformen ihres Gefolges erbleichten in dem aufleuchtenden Triumphe der alten verwitterten Gesichter Napoleon’scher Invaliden, in deren Kapelle ihr Abgott ruht. Die Fackeln und Kerzen belebten mit ihrem Geflacker die steinernen Wände und Engel, welche den Sarkophag umschützen. Die Orgel spielte: „God save the queen!“ als sie am Arme der lebendig gewordenen Asche an die todte herantrat. Aus den acht Abtheilungen der Kapelle, in deren Mitte der Sarkophag die Mitte bildet, blickten die Augen alter, gegenwärtiger und zukünftiger Helden stumm und andächtig herein, getroffen von der Nemesis der Geschichte, feierlich angeregt durch die nobeln künstlerischen Architektur- und Sculpturformen, an welchen sich der höchste Kunstgeschmack Frankreichs erschöpfte, vielleicht auch von Fragen durchzuckt: Wird diese mährchenhafte, aller blutigen Kriege und der tiefsten, listigsten Weisheit der Staatskunst spottende Wendung der Geschichte nun aufhören, uns für die Sünden an der Civilisation zu bestrafen?

Wird sie sich bei dem Humbug, den wir mit „westlicher Civilisation“ treiben, jetzt den Spott gefallen lassen? Wohl nicht, denn schon jetzt scheint es uns, als sei selbst der Fall Sebastopols nur ein Pyrrhussieg, der mehr Verlust als Gewinn einschließt und das nächste Jahr den Franzosen noch abermals tausend Millionen Franks und den Engländern hundert Millionen Pfund Sterling abborgen wird, um sie so wenig zurückzugeben, wie die Tausende von Jünglingen und Männern, die fielen und noch fallen werden.

Bis jetzt war und ist der Krieg von allen Seiten nur ein Todtengräber der Civilisation, wie Napoleon der Große es im ganzen letzten Viertel seiner Laufbahn war.




Blätter und Blüthen.

Das St. George-Kloster auf der Krim. Die chersonesische Tauris, jetzt Krim, scheint von jeher ein Asyl für Verfolgte und Flüchtlinge gewesen zu sein. An der Spitze derselben steht die ihrer Abschlachtung zu Ehren der alten griechischen Götter entflohene „Iphigenie auf Tauris.“ Später finden wir verbannte Staatsmänner und Poeten und glaubensverfolgte Sekten zwischen ihren unwirthlichen Felsen und Schluchten. Unter letzteren zeichnen sich besonders die arianischen Christen aus, die vom fünften Jahrhundert an sich hierher zurückzogen und ihren Kultus zu einem bedeutenden Umfange ausgebildet zu haben scheinen. Spuren ihrer Wohnungen und Kirchen findet man fast über die ganze Insel, besonders im Inkerman-Thale. Auf den steilsten Höhen und in den schwärzesten Höhlen ragen noch in melancholischer Oede Bruchstücke verwitterten Mauerwerks als stumme Zeugen des warmen Lebens einer der frühesten und frömmsten christlichen Sekten empor. Die Ruinen auf der südlichen Küste sind größtentheils griechischen Ursprungs und ebenfalls zum Theil aus der christlichen Zeit, woraus man auf eine ungewöhnliche Noblesse und Freisinnigkeit der tartarischen Chans, welche diesen christlichen Kultus nicht störten, schließen muß.

Das Kloster St. George, allgemein verehrt über die ganze Krim, gehört zu den interessantesten Ueberbleibseln der alten versteinerten christlichen Andacht unter tartarisch-muhamedanischen Schutze. Es ward im zehnten Jahrhundert für griechische Mönche gebaut, welche sich weigerten, sich den „Ketzereien“ des Phocius zu fügen. Auf der höchsten Spitze des chersonesischen Küste gelegen, 360 Fuß über dem Spiegel des schwarzen Meeres, bildet es weit und breit den einzigen anziehenden Kulturpunkt zwischen einer nur spärlich bebauten felsigen Oede. Seit 1829 ist es eine Art Priesterseminar für die russische Flotte im schwarzen Meere. Die alliirten Heere stellen es unter den Schutz eines Zuaven-Corps, und General Canrobert erließ noch folgenden besondern Tagesbefehl:

„Das Kloster St. George steht unter dem Schutze der alliirten Armeen. Militärische und alle mit den Armeen verbundenen Personen sind gebunden, dasselbe und dessen Personen und Eigenthum als unverletzlich zu respektiren. Eindringen mit Gewalt oder Störung der Bewohner desselben ist hiermit streng verboten.

2. Octbr. 1854. Canrobert.“

Der Befehl ist bis jetzt unverletzt geblieben. Die siebzehn darin wohnenden Mönche leben mitten im Kriege friedlich weiter und können mit ihren 23 Brüdern, die jetzt in Sebastopol Kranken und Sterbenden dienen, verkehren. Das Haupt derselben, mit der Würde eines „Archimandriten“ ist Pater Querondi, eine imposante, würdige Gestalt von 48 Jahren, von bedeutender Größe und mit einem langen grauen Barte. Die Mönche tragen große, schwarze Roben und runde schwarze Hüte ohne Krämpen, mit schwarzen Schleiern. Der Pater zeichnet sich in Kleidung durch nichts als ein großes goldenes Kreuz auf seiner Brust von den übrigen Mönchen aus. Das Kloster steht unter dem Gericht des Erzbischofs von Odessa. Die Mönche verrichten ihre Andacht täglich zweimal, um 9 Uhr Vor- und 3 Uhr Nachmittags, und zwar in der vom Kaiser Nikolaus vor 25 Jahren durch Ukas eingeführten slavonischen Sprache. Ihr Gesang ist ziemlich gut, der Ruf ihrer Frömmigkeit und Wohlthätigkeit anerkannt auf der ganzen Insel. Außer dem Archimandriten besitzt Niemand theologische Gelehrsamkeit, selbst nicht in Bezug auf die eigene Religion. Im Dienste auf Schiffen sind sie der strengsten Disciplin unterworfen, müssen jeden Morgen dem Commandeur ihre Aufwartung machen und nicht nur nach den von ihm vorgeschriebenen Texten, sondern auch nach bestimmten commandirten Sätzen und Worten den Matrosen und Soldaten das Heil predigen, das ganz streng sich nach dem Staatszwecke richten muß. Die griechische Kirche des russischen Staates ist neuerdings, d. h. unter dem Kaiser Nicolaus, entschiedener als je als Diaconus des Staates angewandt und durchgeführt worden.

Der prächtigste Kultus der griechischen Kirche entfaltet sich zum Osterfeste, für welches im St. George-Kloster diesmal besondere Vorbereitungen getroffen worden, um den römische-katholischen und protestantischen Kriegern zu imponiren.

Die Auferstehungsfeierlichkeit beginnt mit brillanter Illumination in allen Kirchen des Reiches zugleich Punkt 12 Uhr zur Mitternacht des ersten Feiertages. Banner, Kreuze, Archimandriten, Proto-Popen und Priester jedes Ranges in seidenen, goldenen, juwelengeschmückten Roben, unabsehbare Volksmassen in ihrem prächtigsten Staate gehen in Prozession um die Kirche und dann hinein in deren glänzendes Lichtmeer, „um den Körper des Heilandes zu suchen.“ In der Kirche ruft der erste Pope vom Altare herab: „Christos volseress,“ („Christ ist erstanden!“) In demselben Augenblicke schwillt die Jubelhymne feierlich vom Chore, und alle Kanonen des Reiches senden ihre krachenden Donner durch die Nacht über weite, unermeßliche Ebenen und Steppen. Die Volksmassen küssen sich frohlockend in der Kirche und wie durch Zauber erscheinen Tische und alle mögliche bis dahin (der Fastenzeit) verbotenen Eßwaaren, die unter Jubel und Freude auch eben so rasch wieder in die Abgründe der hungrigen Gaumen verschwinden und unendliche Massen verdorbener Magen und selbst Todesfälle verursachen.

Die Begrüßungsformel am ersten Ostertage ist in ganz Rußland uniform: „Christos volseress!“ Selbst der Kaiser grüßt seine Schildwachen auf diese Weise und bekömmt denselben Gegengruß.

Bei dieser Gelegenheit vernahm der Kaiser vor wenigen Jahren, aus seinem Palaste heraustretend, eine komische Ausnahme.

„Christos volseress!“ ruft er der Schildwache zu.

„So sagt man,“ antwortet der steinsteife Soldat.

Der Kaiser erschrak förmlich und ließ sofort entrüstet eine Untersuchung anstellen. Die Schildwache erwieß sich als ein starkgläubiger Anhänger des Propheten Muhamed. Seit der Zeit ward streng darauf gesehen, daß am Ostertage nur gute, gläubige, griechische Christen vor den kaiserlichen Palästen Schildwache stehen.




Das Ehrlichmachen der Leichname im sechzehnten und siebzehnten Jahrhundert. Die Sage, daß der Scharfrichter und Alles, was

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