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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855)

fähig ist, einsame Ziegen zu nähren, wird mit zunehmender Geschwindigkeit unter neue Schlackengebirge begraben. Man denke, daß Dowlais-Oefen allein täglich 17 bis 1800 Tonnen Kohlen verzehren, und 560,000 Tonnen Kohlen und 80,000 Tonnen Eisen jährlich eine kleine sächsische Schweiz von Schlacken zurücklassen, während sie selbst Eisen auf Eisen fortwährend auf der Eisenbahn hinunterrollen nach Cardiff, wo fertige und im Bau begriffenen Schiffe sich stets beeilen, Eisen und Wales-Kohlen nach aller Welt zu vertreiben. In dem Reiche der Dowlais-Werke, wohin uns eine öde Doppelhäuserreihe, beinahe eine halbe deutsche Meile lang, führte, unterrichtete uns einer der (englischen) Werkführer, daß von Pontypool im Osten Merthyr-Tydvils, bis nach Swansea am Meere, einer Strecke von mindestens zehn deutschen Meilen, ein ununterbrochenes Lager von Kohlen und Eisen (in Schichten über einander abwechselnd) bis elf Tausend Fuß tief – beinahe eine deutsche Meile – liege. Sir H. de la Beche habe das Lager geologisch untersucht und diese Tiefe herausgefunden. Freilich, setzte er zugleich auch auseinander, daß die Lager von einer Tiefe, mehr als 350 Fuß, nicht mehr mit Profit ausgebeutet werden könnten, und die tieferen Schätze daher vorläufig ohne Werth seien, bis Maschinenkraft und wissenschaftlichere Behandlung der Minen das Losbrechen und Heraufwinden erleichtert haben würden.

Hernach machte er uns mit dem Schmelzungsprozeß eines der achtzehn Oefen bekannt. Jeder schmilzt täglich im Durchschnitt Tausend Centner Roheisen aus dem Eisenstein, der ununterbrochen abwechselnd mit Kohlen und Kalkstein von oben aus Karren in den glühenden Schlund hinein gestürzt wird. Wie diese Leute sich daran gewöhnt haben, immerwährend dicht an diesen Schlund hinzufahren, und dann aus kalter Luft immer wieder neue Massen zu holen, bleibt mir unbegreiflich. Wir konnten’s in einer Entfernung von funfzehn Schritt kaum aushalten. Die weißglühend aus dem Schlunde emporzischende Feuersäule ist draußen in der Nacht auf zehn englische Meilen weit zu sehen. Und hier karren Menschen von Fleisch und Blut ununterbrochen Tag und Nacht, Woche und Sonntag Eisen und Kohlen in den Schlund hinein. Der Ofen, 40 bis 50 Fuß hoch, gleicht einer viereckigen Pyramide (die in Schottland sind rund) und ist aus Stein- und Thonmassen gemauert und geknetet. Im Ganzen ist der Proceß der Eisenproduktion nicht unbekannt, in seinen verschiedenen Stadien aber doch ein gutes Stück Wissenschaft.

Wir unsrerseits begnügen uns zu bemerken, daß hier eine besondere Dampfmaschine damit beschäftigt ist, die Luft, welche in den Ofen getrieben werden soll, vorher bis zu einem sehr hohen Grade zu heizen. Mit dieser glühenden Luft zwingt man das Eisen natürlich viel gewaltiger, aus den weißglühenden Schlacken herauszuschmelzen. – Wenn die metallische Substanz des Eisens sich von seinen steinigen Bestandtheilen getrennt und unten im Ofen sich als eine goldene Suppe gesammelt hat, kommt Abends der Proceß des Zapfens, dessen wilde Erhabenheit weder Worte noch Pinsel zeichnen können. Ein schwarzer Cyclop attachirt den großen Thurm des Ofens unten mit einer großen Eisenstange, nachdem vor demselben verschiedene Kanäle in feinen Sand gezogen sind. Nach dem letzten Stoße bricht der dicke goldene Strom hervor und füllt schnell alle Kanäle, die nur mit dämonischem Lichte und Höllenglut die ungeheuern dunkeln Räume erleuchten und den umher eilenden Menschen ein geisterhaftes Ansehen geben. Wie nun die in den Sandkanälen sich bildenden „pigs“ („Schweine“ = Roheisenstückchen) in dem Fegefeuer eines andern Ofens verfeinert und in eine Art von Kuchen verwandelt (Kohlensäure und Sauerstoff freies Eisen), dann von riesigen Dampfhammerwerken in Stücke zerschlagen und diese gepuddlet, d. h. in Stabeisen verwandelt werden, das schildert wohl einmal eine andere Feder, die genau mit dieser Praxis Bescheid weiß. Ich erinnere mich nur mit Schauder der „Puddler,“ welche die flüssigen Eisenmassen in großen Kesseln umrührten, bis sie sich in feurige, feste Klumpen verwandelten, die von ungeheuern Zangen gepackt auf dem eisernen Boden hingeschleppt und riesigen Kneipzangen in die Zähne geworfen wurden, welche alle fremdartigen Bestandtheile vollends aus- und die runden Klumpen in viereckige Stücke preßten. Die Stücke wurden zuletzt unter schweren Walzen in Stangeneisen à zwölf Fuß lang und drei Zoll dick zurecht gerollt und geschnitten. Das Schauspiel im Ganzen gehört gewiß zu dem Dämonischsten, was man auf Erden haben kann. Diese schweigsamen, dunkeln Menschenmassen, umbraus’t von ungeheuern Maschinen und umflossen und besprüht von dem flüssigen Golde des Eisens – und das Alles in so furchtbarer Größe, Menge, Masse, Lebensgefahr, Ordnung und Bemeisterung der intensivsten Natur- und Maschinenkräfte – läßt unverwischbare, glühende Eindrücke zurück.

Doch nun hinaus, hinaus, hinaus in Licht und Luft und Grünes! Die Menschen sehen hier alle so verräuchert aus, wie die ganze Stadt. Und kein weibliches Gesicht unter seinem spitzzulaufenden Männerhute bringt uns die Schönheit menschlicher Gestalt in Erinnerung. Alle sehen grob, stumpf und massiv aus. Die Meisten arbeiten ja in den Eisenwerken mit, karren sogar Tag und Nacht Eisenstein mit oben in die unersättlichen Schmelzöfen. Und Kinder von zehn bis zwölf Jahren helfen Eisen- und Kalkstein calciniren, andere Kinder Schlacken wegschaffen und Thon kneten. Aber die englischen Meister dieser Welschen sind zufrieden mit ihrem Gewinn aus ihnen, ohne den Verlust, den die Menschen erleiden, auf Rechnung zu bringen. Gingen doch auf dem einzigen Glamorganshire-Kanal von Merthyr-Tydvil nach Cardiff hinunter, im vorigen Jahre zehn Millionen Centner Kohlen und drei Millionen Centner Eisen, ohne die Massen, die mit der Eisenbahn und auf andern Flüssen und Kanälen von Süd-Wales in den Bristol-Kanal hinuntersteigen.

Der Werth des Bodens um Merthyr-Tydvil ist durch Eisen und Kohlen so bedeutend gestiegen, daß ein Grundstück, welches unter Karl II. für 27 Pfund verkauft wurde, jetzt tausend Pfund jährlich Rente bringt; aber der Werth der Menschen ist gefallen. Man hat ihnen die Natur genommen und dafür Industrie gegeben, wo allerdings Jeder im Durchschnitt wöchentlich ein Pfund verdienen, aber sich kaum anders des Lebens freuen kann, als sich Sonnabends in der Nacht zu betrinken. Die Welschen haben wiederholt Versuche gemacht, ihre Sprache, Nationalität, Sitten und Gebräuche vor der Uebermacht anglo-sächsischer Industrie zu retten, aber vergebens. Ihre Cymreygyddion-Gesellschaften, die sich durch ganz Wales gebildet und ihren Mittelpunkt in Abergavenny haben, um jährliche Preise für den besten Aufsatz in der Sprache von Wales, die beste Ode, das beste Spiel auf der alten gälischen Bardenharfe u. s. w. zu vertheilen, können den Untergang und das Aufgehen in das große, zähe, praktische Mischvolk der Anglo-Sachsen wohl verzögern, aber nicht abwenden. – Es gab schon edlere, gebildetere Völker, die gleichwohl in all ihrer nationalen Besonderheit und Herrlichkeit untergingen, um mit verklärtem Leibe als menschliche Kulturträger wieder aufzuerstehen.

Ich erwähnte vorhin Eisenbahn und Kanal und bemerke nur noch, daß alle die vielen Schluchten und Thäler, welche in den Bristol-Kanal hinunterlaufen, von den Schmelzwerken aus mit Eisenbahnen, Kanälen oder natürlichen Flüssen versehen sind. Zwischen den Thälern lagern und thürmen sich in endloser Verwirrung Hügel, Berge und Gebirge, die nach unten, wenn der Wind vom Meere her weht, in klaren Umrissen sich abmarken, hier und weiter unten mit etwas Grün, Ziegen und Schafen geschmückt, nach oben kahl und baumlos, blos von der Sage und Geschichte blutig gezeichnet. Diese Berge wimmeln von Erinnerungen an Kämpfe und Schlachten zwischen alten gälischen Häuptern und späterer, Jahrhunderte lang andauernder Freiheitskämpfe gegen die alten Sachsen, Normannen und den daraus hervorgewachsenen Engländern.

Als wir uns endlich, nachdem wir noch der alten römischen Hauptstadt von Wales, Kaerleon, einen Besuch abgestattet hatten, durch Gebirg und Thal und manche Schlagbäume von Landstraßen wieder zu menschlichen Wohnungen und in ein erfrischendes Kaffeehaus hindurchgewunden hatten, erzählte uns der englisch sprechende Wirth unendliche Massen von Sagen, die seit Jahrhunderten in diesen Thälern und auf diesen Bergen wohnen. Ich will nur seine Schilderung der Rebekka-Tumulte von Süd-Wales kurz anführen.

Die eingedrungenen Engländer hatten überall Schlagbäume mit Zollhäusern aufgeschlagen, um auf diese bequeme Weise den unterjochten Celten möglichst viel Geld abzunehmen. Im Jahre 1839 wurden neue Schlagbäume gebaut und die Wegezölle erhöht, besonders in den beiden südwestlichsten Grafschaften Caermarthen und Pembroke. Eines Abends versammelt sich Volk um einen neuen Schlagbaum und reißt plötzlich den ganzen Apparat nieder. Der Magistrat der Stadt verweigert den Schaden zu heilen und giebt dadurch der Schlagbaumunzufriedenheit so viel Feuer, daß sie in ganz Süd-Wales zu einer

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 532. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_532.jpg&oldid=- (Version vom 15.7.2023)