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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855)

war! – seit Jahren nicht mehr erfreut hatte, that ihr wohl. Sie nahm sein Erbieten an und fragte ihn gleich über Manches, das ihr heute vergeblich zur Entscheidung vorgelegt worden war, um seine Meinung, die er ihr so praktisch und verständlich sagte, daß sie ihn nicht allein begriff, sondern auch davon Gebrauch machen konnte. Er versprach ihr, von Zeit zu Zeit, bis ihr Sohn wieder hergestellt sein würde, selbst nachzusehen, Beide waren im angelegentlichsten Gespräch, und Frau Siebeling, die auf dem Sopha fast unbeachtet auf und nieder hüpfte, fing an, eifersüchtig zu werden. Da trat Guido ein. Er widmete sich, nachdem er den Oberamtmann begrüßt und von dessen ökonomischer Faust einen zermalmenden Händedruck verschmerzt hatte, ausschließlich den Damen, und wußte sowohl Frau Siebeling’s Herz schnell genug durch seine Artigkeit zu gewinnen, als auch bei der schweigsamen Agnes – schweigsam, weil sie sich ihrer Umgebung entfremdet fühlte! – Saiten anzuschlagen, welche in ihrem Innern lang verstummte Goldklänge weckten und sie in die lebhafteste Unterhaltung über ihre höchsten Interessen: Literatur, Musik, Kunst verwickelten. Ihr Auge strahlte, sie war wie verklärt.

In Siebeling’s Wagen, als sie wieder fortfuhren, brach ein Streit aus. Auf die wohlwollenden Aeußerungen, welche der Oberamtmann über Frau von Dießbach that, hatte es seine Gattin doch nicht lassen können, ihren Gefühlen, die nur augenblicklich durch die angenehme Unterhaltung mit Guido beschwichtigt waren, Worte zu geben.

„Du wirst Dich auch von dem entsetzlichen Weibe bestricken lassen, wie es dem armen Stargau ergangen ist!“ rief sie. „Der hatte nicht einmal Frau und Kind, wie Du, und war also Niemand Rechenschaft schuldig, Du aber –“

„Bist Du unklug geworden?“ entgegnete er laut lachend.

„Ja, lache nur, das ist schon die rechte Höhe, wenn man über seine Frau lachen kann. Ihr Männer seid wie blind, Ihr seht nichts, Ihr merkt nichts. Ich hatte sie gleich weg, so wie ich ihre Augen sah und dann die Wohlgerüche, die sie verbreitete, das war schon reines Gift, und ich werde Gott danken, wenn es mir nichts schadet.“

Er verwies ihr ernsthaft diese Reden, konnte sie aber eines Bessern nicht überzeugen. Sie bat ihn dringend, sein übereiltes Versprechen zurückzunehmen und die Rinkenburg nicht wieder zu besuchen, und ließ nicht ab, bis er zuletzt böse wurde.

„Wenn ich ein Versprechen gebe, so steht das baumfest, und keine Albernheit kann mich dazu bringen, mein Wort zu brechen. Dir habe ich es auch noch nicht gebrochen und werde es nicht brechen. Ob Du Dich nicht schämst vor der Agnes da!“

Agnes hatte mit peinlichen Gefühlen dem Wortwechsel zugehört, der sie aus schönern Gedanken gerissen hatte,

Es war noch früh am andern Morgen, als Guido, den heute Niemand zu wecken gebraucht, schon zum Gange gerüstet vor seiner Mutter erschien. Sie war in einer unruhigen Stimmung, wie sie von innern Kämpfen erregt wird, das konnte selbst ihrem Sohne unterwegs nicht entgehen und er fragte sie darum.

„Ich habe Dir Viel vertraut, mein Kind,“ sagte sie, ohne ihn anzusehen – „Deine Liebe wird sich von mir wenden –“

Mit einer an Leidenschaft grenzenden Heftigkeit unterbrach er sie: „Meine liebe Mama! Und ständest Du vor mir, eine Verbrecherin, ich würde Dich lieben und mit Dir sterben, das schwöre ich Dir!“

„Schwöre nicht, Guido!“ sagte sie bebend, und hatte den Muth nicht mehr, den Strom seiner Betheuerungen zu unterbrechen, die Kraft nicht, ihren Entschluß, den sie kürzlich gefaßt, auszuführen. Gewiß, er sollte Alles wissen, der Schleier, der noch das letzte düstere Geheimniß, das sie ihm vorenthalten, verhüllte, sie wollte ihn mit eigner Hand vor dem Lieblinge ihres Herzens hinwegziehen, aber in diesem Augenblicke vermochte sie es nicht.

So gelangten sie an das Ziel ihrer Wanderung. Man hatte sie aus den Fenstern der Eremitage kommen sehen, und Guido bemerkte zuerst, wer ihnen freudig entgegeneilte: „Da ist Pauline!“ rief er der Mutter zu.

Das junge Mädchen, heute nicht mehr in der landesüblichen Tracht der ärmern Bergbewohnerinnen. sondern im einfachen Kleide der höhern Stände, nahte Frau von Dießbach mit herzlichem Blick und küßte ihr die Hand, diese umarmte sie und Guido schlang seinen Arm um ihre schlanke Taille, während er ihr freundlich guten Morgen bot.

„Was macht der Kranke?“ fragte die Mutter.

„Heute ist er schlimmer – “ antwortete Pauline – „er hat ein heftiges Fieber und phantasirt.“

„Wer bewacht ihn?“ – fragte Frau von Dießbach schnell.

„Der Vater und Nina abwechselnd,“ erwiederte Pauline. „Mir erlaubt es der Vater nicht. Jetzt ist Nina bei ihm. Der Arzt war gestern hier.“

An der Hausthür stand Stargau und trat ihnen nur ein paar Schritte entgegen. Er sah beim Tageslichte noch viel verfallener aus, und seine kleine Figur ungemein dürftig. Mit einer Befangenheit, die er in den Tagen seines Uebermuths nie gekannt hatte, erwiederte er den Gruß der Frau von Dießbach, und neigte sich vor ihrem Sohne, der schon eine merkwürdige Gewalt über sich erlangt hatte, diesem Manne auch nur so zu begegnen. Aber er that es um seiner Mutter willen!

Im Zimmer setzte sich diese, welche von dem Gange mehr angegriffen schien, aks man sonst an ihr gewohnt war, und winkte den Andern, ein Gleiches zu thun. „Was habt Ihr beschlossen?“

„Vorerst abzuwarten –“ sagte Stargau. „Es hat keine Gefahr vor der Hand. Wenn er auch zum Bewußtsein kommt, so muß er doch erkennen, wem er seine Lebensrettung verdankt – und ich sollte meinen, daß ihn das bewegen wird, seine rachsüchtigen Pläne aufzugeben.“ .

„Nicht eher,“ entgegnete Frau von Dießbach, ihren Kopf in die Hand stützend, „als bis er Alles im Zusammenhange weiß, – besser, wenn es ihm niemals verschwiegen geblieben wäre! – Ich will ihn sehen!“ setzte sie rasch hinzu, indem sie aufstand.

„Jetzt?“ rief Stargau. „Jetzt ihm Mittheilungen machen? Das ist ganz unmöglich – er liegt besinnungslos in wilden Phantasien.“

„Dennoch muß ich ihn sehen! Niemand begleite mich: ich will allein sein!“ Sie verließ mit diesen Worten, denen nicht zu widersprechen war, das Zimmer und auch Stargau, dem Guido’s Gegenwart peinlich, schlich bald hinaus. So blieben die beiden jungen Leute, die einander so ähnlich sahen, obgleich Guido mehrere Jahre älter war als Pauline, allein zusammen: sie hatten sich kennen gelernt vor kaum zwei Tagen und waren doch schon so vertraut, so innig gegen einander! Guido’s Abneigung, welche er gegen ihren Vater fühlte – denn Stargau’s Kind war sie und hatte ihn oft genug in Guido’s Beisein Vater genannt – übertrug sich nicht auf sie. Diese Abneigung, natürlich an sich, hatte sich gesteigert, seit er Stargau persönlich kennen gelernt – freilich urtheilte er hier nur nach dem äußeren Eindruck, aber er fragte sich fort und fort: wie ist es möglich, daß dieser Mann die Neigung meiner Mutter gewinnen konnte? – Denn er wußte so weit Alles. Sie hatte sich neben der alten und furchtbaren Buße, die sie trug, diese neue auferlegt: sich vor ihrem Sohne zu demüthigen, ihm ihre Schwäche zu bekennen, ohne alle Entschuldigung, auf die Gefahr hin, sein Herz – ihr letztes, einziges Gut! – zu verlieren. Ohne Entschuldigung hatte sie ihm auf dem Gange gebeichtet, die Mutter dem Sohne! sonst würde er vielleicht anders über jene Möglichkeit, wie Stargau ihr Herz gewinnen konnte, geurtheilt haben. Jetzt war es ihm unerklärbar. Wie oft tritt uns aber ein solches psychologisches Räthsel im Leben entgegen: der geheimnißvolle, nie zu ergründende Ursprung der Liebe spottet aller Erklärungen. Und Frau von Dießbach hatte Stargau geliebt, sie liebte ihn noch, wie kalt auch ihr Aeußeres selbst gegen ihn war und ihr Wille ein unnatürliches Verhältniß gestaltet hatte. Ehe sie mit Guido heute den Rückweg antrat, hatte sie noch ein langes Gespräch unter vier Augen mit ihm, und er küßte ihr beim Abschiede feuchten Blickes die bebende Hand.

„Wenn Kuno nach dem Ausspruche des Arztes ohne Gefahr Alles hören kann, dann an seinem Lager – nicht eher und nirgends anders!“ sagte sie mit einer Festigkeit der Stimme, welcher das Zucken ihrer Lippen widersprach.

„Und – muß ich auf ewig der Hoffnung einer ungetrennten Vereinigung entsagen, da ich doch feierliche Rechte habe?“

„Auf ewig!“ antwortete sie.

„Warum, Anna warum?“ rief er mit schmerzlicher Frage.

„Du wirst es hören!“ wiederholte sie. „An Kuno’s Lager, nicht eher und nirgend anders!“

Mehrere Tage vergingen darüber. Der Wundarzt aus der Stadt, welcher gerufen worden war, hatte gegen den Verband,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 568. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_568.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)