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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855)

Nach einer Stunde ging er und meinte, wenn er eher gewußt hätte, daß dies Thal eine solche Perle umschlösse, würde er früher schon in der Mühle vorgesprochen haben. Ob er denn auch wieder kommen dürfe?

Erröthend sagte sie Ja, und als er in sie drang, ob sie es gerne sähe, sagte sie noch glühender auch Ja, und – sie wußte selbst nicht, wie es zuging, aber sie widerstrebte nicht einmal, als er sie umfaßte und einen Kuß auf ihre Lippen drückte. – Und doch ging er noch nicht. Es hielt im erstaunlich schwer, sich loszureißen. Daß ich es kurz mache – sie hatte ihm, als er endlich ging, zugesagt, ihn, weil er es auch wünschte, nur dann zu sehen, wenn sie allein sein würde. Dazu wurde ein Zeichen verabredet, das er aus dem Walde aus sehen konnte.

Mehrere Tage vergingen, ehe sie das Zeichen geben konnte; aber sie wußte ihn in der Nähe und sie träumte noch viel mehr, als früher, aber ihre Träume waren anderer Art; sie lächelte dabei so selig und voll Hoffnung, und das Herz pochte so laut, daß sie es schier zu hören meinte.

Eben das Geheimnißvolle war das Reizende bei der Sache, und das machte ihr die Liebschaft so theuer.

In der Mühle ahnte noch keine Seele etwas von der Sache, denn Gretchen wußte es immer so einzurichten, daß sie mit dem Jäger allein war, und ihre Bekanntschaft wurde immer vertrauter und inniger. Hundert Mal sagte er ihr, er könne ohne sie nicht leben, und das bewies er ja auch dadurch, daß er Tage lang im Walde lag und auf das Zeichen lauerte. Nun war das doch zu viel von ihm gefordert. Daher ging sie denn bisweilen mit ihrem Strickzeuge in den Wald und da fand sie ihn immer, und die hohe Eiche, die dort stand, war das verschwiegene Plätzchen ihrer Liebe. Da wurde denn auch einmal verabredet, daß er Abends unter ihr Fensterlein kam und dort plauderte.

Solche „heimliche Liebe, von der Niemand weiß,“ war gar zu schön, aber der Winter drohte doch durch sein Kommen der heimlichen Liebe einen Damm entgegenzusetzen, und – es mußte anders werden. –

Obgleich Niemand etwas bis jetzt von der Sache wußte, so ahnete doch der Jacob etwas der Art. Er legte sich auf die Lauer und kam auf die rechte Fährte. Sie war auch gar zu kalt und abstoßend gegen ihn und er bekam nicht einmal mehr einen freundlichen „guten Morgen“, noch ein freundlich Gesicht. Was sollte er da noch hoffen? – Sein Auge wurde trübe, seine rothen Wangen blichen ab; alle Freude wich von ihm. Sollte er sie immer sehen und doch ohne Hoffnung? Nein, die Mühle war ihm zur Qual geworden. Er kündigte auf und ging. Das war dem Müller ein rechtes Leid; aber er wagte nichts zu sagen. Jacobs Hand drückte er und sagte: „Wär’ mir’s nachgegangen, Du wärst hier geblieben auf’s ganze Jahr!“

„Ein Jäger ist besser!“ sagte Jacob mit schneidender Schärfe.

„Ein Jäger? Was willst Du damit?“ fragte der Müller.

„Nichts, nichts!“ entgegnete Jacob und ging.

Der Alte stand betroffen da und sann; aber er fand nichts heraus. Dennoch war ihm das Wort ein Dorn in der Seele.

Item, der neue Mühlbursche war ein alter Geselle, dem nicht so recht von Krabben ging. Da mußte der Alte mehr zu Hause bleiben und sich der Mühle annehmen, während der Mahlbursch in den Acker fuhr. So kam es denn, daß er endlich Jacobs Wort verstehen lernte und einsah, wie es mit Grethchen und dem Jäger stand. Er forschte bei Grethchen nach ihm und seinem Herkommen und seiner Stellung, und hörte, was sie wußte. Das beruhigte ihn, und als er den Jäger näher kennen lernte, gefiel er ihm extra, denn er war voller Geschichten und Schwänke. Und wenn er da war, ging des Grethchens kirschrothes Schnäbelein, daß der Alte selber seine Lust an dem Mädchen und seinem Glücke hatte. Uebrigens waren die Aussichten für den Jäger auch sehr gut, nur das Eine wurmte den Müller, was aus Mühle und Thal werden solle, das seit Menschengedenken bei seiner Familie war, und er konnte sich nicht um die Ecke finden, und das lag ihm zentnerschwer auf der Seele, da er Grethchens Abneigung gegen die Mühle und das einsame Leben kannte. Indessen wurden die Zweie immer vertrauter und es begann dem Grethchen doch unbehaglich zu werden, daß ihr Geliebter nichts von der Hochzeit sprach, auch eigentlich nicht bei ihrem Vater um sie freite. So verlief der Sommer und der Herbst. Eine Vierzehntagefrist war er einmal weggewesen, weil er mit dem Herrn Baron auf der Jagd sein mußte. Das war eine trübe Zeit! Selbst dem Müller war es ungelegen, daß der Jäger so lange fehlte, denn er hatte ihn lieb gewonnen.

Als er wieder kam, es war an einem hellen, freundlichen Sonntage im October, war ein Jubel in der Mühle, wie nie zuvor. Grechen war außer sich vor Wonne und der Jäger ließ sie gar nicht von sich. Eben saßen sie beim Kaffee, voller Lust und Herrlichkeit, als drüben aus dem Walde ein Kerl herausstürzte, der ein entsetzliches Ansehen hatte. Er war klein, aber außerordentlich breitschultrig, hatte schwarzes, struppiges Haar und Bart und ein paar Augen im Kopfe, aus denen Wildheit und Spitzbüberei herausblickte. Er trug ein langschößiges Wamms, eine Kappe, eine Doppelflinte und Jagdtasche.

Er sprang in sichtlicher Hast gegen die Mühle, und sah sich oft mit erkennbarer Angst nach dem Walde um, als ob er von dorther verfolgt zu werden fürchtete. Bei der Mühle angekommen, drückte er sein breites, entsetzliches Gesicht gegen die Scheiben und klopfte hastig und derb dreimal dawider.

Der Jäger fuhr empor, sah das Gesicht vor dem Fenster, sprang zu seiner Flinte und Mütze, drückte flüchtig einen Kuß auf Gretchens Lippe und verschwand.

Gretchen war vor Schrecken einer Ohnmacht nahe, und der alte Müller saß auch da, wie eine Bildsäule. Als sie sich erholt, eilten beide vor die Mühle. Sie sahen eben noch den Jäger mit dem Schwarzen am Saume des Waldes auf dem jenseitigen Berge, und bald waren sie ihren Blicken entschwunden. Mit seltsam beklommenen Herzen kehrten beide in die Mühle zurück und kein Wort kam über ihre Lippen; aber centnerschwer lag’s auf der Seele und der Kaffee blieb unberührt stehen.

„Was war das?“ sprach endlich der Müller.

„Ich weiß es nicht,“ war Gretchens Antwort, der ein tiefer Seufzer folgte.

„Wenn nur nichts Schlimmes dahinter steckt,“ sagte der Müller, dem es unheimlich zu Muthe war.

„Was denkt Ihr, Vater?“ rief das Mädchen – und Niemand hätte sagen können, ob mehr Angst und eigene Unruhe oder mehr Unwille über des Vaters Aeußerung in Wort und Ton gelegen habe.

Ehe es aber zu weiteren Erörterungen kam, wurden sie gestört. Es klopfte an der Thüre und Jacob trat herein. Es war das erste Mal, daß er auf die Mühle kam, seit er aus dem Mahldienste getreten war, und was ihn trieb, heute zu kommen, das lag schwer auf seiner Seele. Seit Jacob wußte, wie es um Gretchen stand, hatte er alle Lust zum Leben verloren, und der Kummer nagte rastlos an seinem Herzen. Eine unerklärliche Angst um das geliebte Mädchen ließ ihn nicht rasten. Es war im zu Sinne, als läge ein schauerliches Geheimniß über dem Jäger, den Niemand kannte. Es herauszukriegen, wer er sei, um nöthigenfalls das Mädchen noch zu warnen und zu retten, war sein unermüdliches Streben. Er verschmähte es nicht, tief in den Hundsrücken hinein Wanderungen zu machen; besuchte die großen Märkte des Landes; besah sich alle Förster weit und breit, und fand den, den er suchte, unter ihnen nicht. Endlich gelang es ihm, eine Spur zu entdecken, die aber seine Haare sträuben machte. – Er forschte weiter und weiter, und endlich stand ihm das mit voller Gewißheit fest, was ihn heute zur Mühle trieb.

Fast hätte der Müller und Gretchen laut aufgeschrieen, als Jacob eintrat; denn in der kurzen Zeit kaum eines halben Jahres war eine schauerliche Veränderung in ihm vorgegangen. Die Gestalt war abgemagert und gebückt, wie sonst das hohe Alter den Nacken beugt; die Brust schien eingebogen, die Augen lagen tief in ihren Höhlen und waren so matt und müde; der Gang schleichend, und bei jedem Schritte hörte man ein Hüsteln, das so hell und gellend klang, daß es erschreckend war. Seine Hände waren bläulich weiß und gar mager, und wenn er sprach, klang’s so tief aus der Brust heraus, daß es Einem bange wurde.

(Fortsetzung folgt.)
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 594. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_594.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)