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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855)

wohl am Liebsten gehabt hatte. So entstand die Abneigung gegen ihren Mann und die Abwendung von ihrer Mutter und die reiche Ernte des Elends und des Kummers für alle Dreie, die der Mutter das frühe Grab bereitete und zwei Herzen schied, die völlig dazu angethan waren, sich gegenseitig glücklich zu machen.

Lange Zeit hörte man von Caspar nichts, gewiß über sechs bis acht Jahre, da kam die erste Nachricht von ihm zufällig in’s Dorf.

Es war an dem Tage des ersten Aufgebots von Lieschen und Lorenz, wo er in voller Verzweiflung fortgegangen. Wohin, das wußte er selbst nicht. So lange er Geld hatte, rannte er fort, immer nur bedacht, recht weit weg zu kommen von dem Orte seiner Qual. Das Geld aber wächst bekanntlich nicht nach von selber. Es kam nichts dazu, und so nahm es ab. Mit Schrecken wurde er das gewahr, als er sich eben der Gegend von Saarbrücken näherte.

Er war ein stattlicher, prächtiger Bursche, der Geschick und Kräfte hatte. Da er aus dem Lande am Donnersberg war, fiel sein Kommen nicht auf und er fand auf einem Eisenhüttenwerke Arbeit. Wäre er Werbern in die Hände gefallen, vielleicht hätte sein Schicksal eine andere Wendung genommen. Nun blieb er auf dem Hüttenwerke, wo man ihn bald als einen sehr brauchbaren Menschen erkannte. Er erlernte das Formen schnell und wurde bald einer der vorzüglichsten Former. Aber im Innern nagte und gohr es unermüdet fort. Es trieb ihn eine rastlose Unruhe um, und es war einem Trupplein liederlicher Gesellen ein Leichtes, ihn in ihren Kreis zu ziehen, wo der Trunk und Spiel mit gleicher Macht herrschten. So suchte er durch den Taumel der Trunkenheit und die wilde Aufregung des Spiels sein Herz zu betäuben - indessen ist das eine Bahn, die schnell abwärts führt. Der Hüttenherr hätte ihn gerne weggeschickt, wenn er ihn hätte ersetzen und entbehren können. Das war aber nicht wohl thunlich, und so wurde er trotz seiner Laster geduldet. Einst lernte er ein Mädel kennen beim Tanze, das einige Aehnlichkeit mit Lieschen hatte. Sie war aus dem Dorfe, eines Lehmformers Kind, hatte in Trier einige Jahre gedient, war gefallsüchtig und schlau und wußte Caspar so in ihre Netze zu kriegen, daß er sie heirathete. Leider hörte Caspar erst zu spät von ihrer übeln Aufführung in Trier. Das gab denn die Ursache zum Hader ab, und seine Trunksucht und Spielwuth fügte von seiner Seite neue Gründe hinzu, – kurz, sie lebten wie Katzen und Hunde, wie man sagt; verbitterten sich das Leben über die Maßen und machten sich entsetzlich elend und unglücklich. Zwei Kinder waren aus dieser Haderehe entsprossen, die aber beide das erste Lebensjahr nicht erreichten. Der Hader wuchs aber auch in dem Grade, daß es als eine heilbringende Begebenheit angesehen wurde, als Caspar’s Frau starb. Sein Leben war nach und nach aber so völlig regellos geworden, daß er oft mehrere Tage nach einander „blau machte“ und gar nicht aus dem Wirthshause kam. Da könnte denn doch die Rücksicht seines Brotherrn nicht weiter reichen. Er wurde entlassen und somit plötzlich brotlos.

Das war denn doch gegen alle seine Rechnungen. Er hatte übrigens noch mehr Kraft und Selbstbeherrschung, als man ihm zutraute; denn er rührte keine Karte mehr an und betrat das Wirthshaus nicht mehr. Jetzt reuete es seinen Brotherrn, daß er ihn entlassen, und er ließ ihm sagen, wenn er so bliebe, wolle er ihn wieder in Dienst nehmen.

Der Hüttenherr kannte Caspar’s wilde, unbändige Natur nicht. Er ließ ihm höhnend sagen. „und wenn er ihm die Hälfte der Hütte anböte, nehme er keine Dienste mehr!“

Eines Morgens war Caspar fort, und wieder wußte Niemand, wohin er sich gewendet.

Seit seine Frau todt war, hatte er oft eine Art Heimweh empfunden. Er hatte es aber unterdrückt, weil er in seiner Heimath keinen Verdienst finden konnte, wie er ihn hier hatte. Dort blieb ihm nichts übrig, als Holzhauer zu werden. Jetzt, da das Band zerschnitten war, welches ihn an das Hüttenwerk gefesselt, erwachte das Heimweh in heftigerem Grade. Er konnte es kaum länger tragen. Und so brach er einst in stiller Nacht auf und zog die Straße, welche er vor acht Jahren hierher eingeschlagen hatte.

Eins aber fiel ihm auf die Seele, als er nicht mehr ferne von unserem Dorfe war – der Gedanke, Lieschen wieder sehen zu müssen, die für ihn verloren war. Doch – er richtete sich stolz empor und sagte zu sich: „Hast du dem Trunk und dem Spiele entsagt und sollst nicht Herr werden können über eines Weibes Anblick, das dich verschmäht hat?“ – Er schritt rasch zu und erreichte das Dorf am Abend. Ein Stübchen zu finden, wurde ihm nicht schwer, und der Holzhauermeister nahm ihn sogleich wieder an. So war denn vorerst für das Nothwendigste gesorgt. Die Nachricht: der Caspar ist wieder da! lief mit Blitzesschnelle durch’s Dorf.

Lieschen erglühte, als sie sie vernahm. Sie zitterte vor Erregung. Lorenz war abwesend im Walde. Sie konnte die Nacht kein Auge schließen.

Er vermied es mehrere Tage, sie zu sehen, aber als sie sich sahen, waren die Jahre vergessen, die voll Leides und bittrer Erfahrungen zwischen damals und jetzt lagen; da waren die heiligen Pflichten vergessen und die glühendste Leidenschaft zog in beider Herzen ein, oder besser, sie erwachte neu, denn sie hatte leider nur geschlummert.

In unsern Dörfern, wie leicht beweglich auch der Pfälzer ist, führt doch Zucht und Sitte noch ein strenges Regiment, und wehe der Frau oder dem Manne, der des Wortes der heiligen Schrift vergißt. Die Ehe soll ehrlich gehalten werden. Das ist aber doch hier nur ein Aeußerliches gewesen, denn innerlich war sie schon lange gebrochen.

Lieschen war in der That schöner, als sie als Mädchen gewesen war, und Caspar’s verworfener Lebenswandel war nicht im Stande gewesen, seine Mannesschönheit ganz zu vertilgen. Man ahnete wohl, wie es um die Zweie stand, und daß alte Liebe nicht rostet, und dachte an das Sprüchlein:

„Es senget und brennet
Kein Feuer so heiß,
Als heimliche Liebe,
Von der Niemand weiß.“

Hundert Augen aber lauerten auf Lieschen und Caspar. Sie lauerten umsonst, und doch sagte sich Jeder heimlich, es sei, wie das Reimlein sage. Es war augenscheinlich ein neues Leben in Lieschen gekommen. Ihr Auge leuchtete und flammte wieder wie sonst, aber der arme Lorenz war ihr ein Dorn im Auge. Liebloser kann ein Weib ihren Mann nicht behandeln, wie sie ihn. Er trug’s, wie er’s lange schon getragen, und suchte noch immer durch Freundlichkeit ihr die Gelegenheit zum Zorne zu nehmen, aber es half einmal nicht. Sein Kummer lag vor Aller Augen, und die Ursache auch. Wenn sie ihn nicht lieb hatte, warum heirathete sie ihn denn? fragten die Leute. Es ist aber ein leichtfertig Ding gewesen, sagten sie, das nie recht wußte, woran es mit sich selber war, und stets mit dem unzufrieden, was es hatte. Gerade in dem Letztern lag das Unglück. Ich glaube, die Leute hatten Recht. Das Lieschen war ein verzogenes, verwöhntes, eiteles Ding. Als Mädchen war ihr Jeder zuvorkommend, freundlich und that ihr artig und schön; als Frau, versteht sich, hatte das ein Ende. Dazu kam die Art ihrer Trennung von Caspar; das Unrecht, was sie ihm glaubte angethan zu haben und die Macht seiner Liebe, die ihn hinaus in die Welt getrieben. Da saß sie denn zu Hause alleine und hing ihren Gedanken und Hirngespinsten nach, und das, was sie nicht hatte, erschien verklärt und doppelt schön und herrlich, und was sie hatte, das Beste selbst, war nichts werth.

Ich weiß nicht, meine Herren, – sagte der Holzhauer, ob Sie solche Naturen gekannt haben? – Aber sie sind leider so selten nicht. So viel ist aber gewiß, glücklich sind und werden sie niemals.

Ja, ja, bei Caspar war’s eben so, daß verborgenes Feuer inwendig immer tiefer hinabbrennt. Je mehr er seine gottlose Liebe unterdrücken und beherrschen wollte, desto tiefer wurzelte sie und bäumte sich gegen ihn selber auf, wenn er Lieschen sah und nicht zweifeln konnte, wie sie gegen ihn gesinnt sei. Es ist kaum zu bezweifeln, daß sie sich heimlich sahen und daß ein verbrecherischer Umgang Statt hatte; doch ist nie darüber etwas kund geworden. Man vermuthete es wohl.

Daß Lorenz dem wilden Caspar ein Dorn im Auge war, weil er eben zwischen ihm und Lieschen stand, sie ihm entrissen hatte, das ist wohl keinem Zweifel unterworfen; er zeigte seinen Haß aber nicht anders, denn daß er seine Nähe mied, wo er konnte. Wie es aber in Lorenz’s Hause stand, nein, das war ein Jammer! In Lieschens Herzen wuchs die Abneigung gegen ihren Mann täglich. Es fiel ihm kaum auf, denn er wußte es leider nicht besser. Womit er ihre Liebe verscherzt habe, wußte er nicht,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 621. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_621.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)