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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855)

weil er sich selbst und alle Welt ihm das Zeugniß geben mußte, daß in ihm auch nicht die geringste Aenderung eingetreten war. Er that ihr Alles zu Gefallen; es kam kein ungegohrenes Wort über seine Lippe; sanft und freundlich war er überall und allezeit gegen sie. Traf er sie manchmal weinend, und fragte sie: Warum weinst Du denn? Es drückt uns kein Mangel ich arbeite fleißig und verthue nichts; ich suche jeden Deiner Wünsche zu befriedigen; ich gebe Dir kein hartes Wort, wiewohl Du so lieblos gegen mich bist, ich trage Dich auf den Händen. Meine Liebe ist noch so innig, wie sie war, als ich Dich freiete, und doch, doch - bist Du unglücklich, und es kommt mir vor, als ernte ich nur Haß für meine Liebe! dann war es, als käme ihr eine bessere Einsicht. Sie reichte ihm ihre Hand, aber wollte er sie an seine Brust drücken, so entwand sie sich ihm und schauderte innerlich. So stand’s, als der Herbst kam und die Holzhauer zu Walde zogen. Auch Caspar ging in den Wald, aber er und Lorenz kamen selten zusammen.

Einmal fügte es sich, daß der Förster sie zum gemeinsamen Fällen einer starken Buche anstellte. Sie stand in einem sehr dichten Unterholze, in dem ich beschäftigt war, ohne daß Beide es wußten. Mir pochte das Herz vor Angst, ich wußte nicht warum, und ich will es gerne gestehen, daß ich meine Arbeit versäumte, um sie zu beobachten. Schon gleich im Anfange ihrer Arbeit entstand ein Wortwechsel zwischen ihnen. Leider war ich nicht nahe genug, alle Worte zu verstehen, aber er bezog sich auf Lieschen. Caspar war heftig. Lorenz antwortete sanft. Die Angst meiner Seele wuchs, weil ich das Schlimmste befürchtete. Ich schlich mich fort, um den Förster zu suchen, um ihn zu bitten, die Zweie von einander zu thun.

Im Fortgehen war mir’s, als hörte ich einen Schrei. Ich stand, wie angefesselt und horchte mit namenloser Angst im Herzen, aber es blieb stille und ich hörte den Schall verdoppelter Axtschläge, und lief, was ich laufen konnte; jenen Schrei aber hielt ich für eine Ausgeburt meiner Einbildungskraft. Den Förster fand ich erst nach einer halben Stunde athemlosen Umherlaufens. Er wieß mich zornig zurück, aber in demselben Augenblicke gab es einen gewaltigen Lärm im Walde. Dem Förster wurde es denn doch unheimlich und wir liefen zurück.

Der Holzhauermeister kam uns entgegen und rief: „Ach, was hat sich für ein Unglück ereignet! Der Baum hat den Lorenz im Fallen zerschmettert! Es ist zum Entsetzen!“

„Ist er todt?“ fragte hastig der Förster. „Mausetodt!“ war die Antwort. Wie eilten zur Stelle. Es war so. Der völlig zerquetschte Leichnam lag da, und Caspar bleich, wie eine Leiche, erzählte den Hergang. Er habe, sagte er, Lorenz gewarnt, weil der hohe, kahle Stamm und die gewaltige, hohe Krone ein rasches Fallen habe vorhersehen lassen.

Als es krachte, sei er weggesprungen, Da aber der Baum nur noch schwach gehängt habe, so sei, trotz seines Widerrathens, Lorenz noch einmal auf den Rand der Vertiefung getreten und habe einen wuchtigen Hieb geführt. Darauf sei rasch der Baum gefallen und habe ihn unter seiner Last begraben. Er habe um Hülfe gerufen, worauf denn die Holzhauer zusammengeströmt seien und mit vieler Mühe den Leichnam hervorgezogen hätten.

„Ihr hättet ihn, da er todt war, müssen liegen lassen,“ sagte der Förster. „Daß er todt war, zeigte der völlig zerschmetterte Kopf. Das Gericht mußte ja kommen!“

„Was, Gericht?“ rief Caspar. „Es ist ein Unglück, das das Gericht nichts angeht!“

Der Förster schickte auch sogleich nach der Stadt.

Am Nachmittage kam das Gericht. Es wurde untersucht, die Zeugen verhört und Caspar verhaftet.

Mit der Rechtspflege, meine Herren, – sagte der Holzhauer – stand es damals traurig genug. Ich wurde nicht verhört. Warum? – Ich weiß es nicht. Anzeige zu machen, hielt mich die Angst zurück, weil der Förster schwieg, der ja Alles so gut wußte, wie ich. Kurz – Caspar kam frei, und als das scheinheilige Trauerjahr um war, wurde er und Lieschen ein Paar. Jetzt blühte sie wieder auf, wie eine Rose, und der ganze Himmel hing voller Geigen. Ging Caspar zu Walde, so gab es einen Abschied, als reise er in ein fremdes Land voll wilder Thiere; kam er zurück, so flog sie ihm entgegen und der Jubel war groß.

Im Dorfe war darüber nur eine Stimme, und ob ich gleich kein Wort zu sagen wagte, so munkelte man doch hin und her viel Schlimmes, und ich hörte mehr als einmal: Wenn das so fort geht, dann weiß man nicht, was man sagen soll! Alle braven Leute mieden das Paar, so viel sie konnten.

Aber es kam so, wie die Leute vermutheten, nur im umgekehrten Verhältniß, wie es zwischen Lorenz und Lieschen gewesen war.

Sie hing an Caspar mit einer geckigen Liebe, aber Caspar wurde immer ernster, einsilbiger und kälter gegen sie. Sie wollte durch das Verdoppeln ihrer Liebkosungen ihn wiedergewinnen, und das gerade stieß ihn mehr zurück. Das nahm reißend zu, und die Nachbarn wollten gesehen haben, wie er sie, als sie ihm mit offenen Armen entgegen kam, zurückgestoßen habe, daß sie taumelte und schier hingestürzt sei.

Caspar blieb wenig zu Hause. Im Walde trank er viel Branntwein, und war er im Dorfe, so saß er in der Schenke, kartete und trank, bis er völlig betrunken heimkam. Dann machte sie ihm Vorwürfe und es kam zu empörenden, rohen, gewaltthätigen Auftritten. Es war so, als müsse Caspar das erwachende Gewissen im Trunke betäuben.

Von der Zeit an konnte man an Lieschen auch eine recht große Veränderung wahrnehmen. Sie verhehlte ihre Thränen nicht mehr; ihre Wangen blichen. Kummer und Unmuth wurden übermächtig, und die Reue nagte an ihrem Herzen.

Caspar kam zuletzt kaum mehr aus der Schenke. Der Verdienst ging hin und Lieschen litt oft bittere Noth zu dem Elende, dessen Last sie trug.

Caspar war trotz dem Allen ein fleißiger Arbeiter im Walde. Einmal mußte ich mit ihm und einem Dritten eine Buche fällen. Der Baum war dem ähnlich, den er einst mit Lorenz zu fällen gehabt hatte. Ehe wir begannen, stand er lange, in sich versunken da, und betrachtete den Baum, dann schüttelte er sich, wie wenn ein Fieberfrost über ihn käme. Mit wahrem Widerstreben ging er an die Arbeit.

„Nehmt Euch in Acht,“ rief ich, als der Baum schon stark angehauen war, „es könnte ein Unglück geben, wie damals, als der Lorenz umkam! Der Baum ist justement gerade so!“

Da schrie plötzlich Caspar. „Bube, was willst Du damit sagen?“ Und sprang gleich einem Wüthenden mit geschwungener Axt auf mich ein.

Ich trat einen Schritt zurück und fragte, ihn scharf ansehend: „Was wollet Ihr mit mir?“

„Warum nanntest Du den Lorenz?“ schäumte er vor Wuth.

„Weil ich durch den Baum daran erinnert wurde,“ sagte ich, „denn ich war damals nicht weit weg!“

Da holte er mit der Axt nach mir aus, daß er, wäre ich nicht zurückgesprungen, mir den Schädel würde gespalten haben. Der Holzhauer sprang herzu und riß ihn zurück.

„Bist Du verrückt, Caspar?“ rief er aus. „Was that Dir der Junge?“

„Hast Du nicht gehört,“ schrie er, „was er gesagt hat?“

„Ich habe nichts darin gefunden, was übel gemeint wäre“, sagte der Holzhauer.

„Ich aber,“ rief Caspar, glühend vor Zorn. „Er meint, ich hätte den Lorenz todt geschlagen.“

„Das sagt Ihr,“ rief ich, „aber ich habe es noch nicht gesagt.“

„Noch nicht?“ schäumte er; „also Du willst es noch sagen?“ und wieder drang er wüthend auf mich ein.

Darüber kam der Förster, der ihn sogleich aus dem Dienste jagte.

Er ging mit furchtbaren Drohungen gegen mich, und sein Weg war in’s Wirthshaus. Dort stieß er die schrecklichsten Drohungen gegen mich aus, und als er völlig trunken war, taumelte er heim. Zu Hause gab es sogleich die heftigsten Auftritte. Die Leute versammelten sich daselbst, wie das so geht, und viele hörten es, daß er ausrief: Du bist Schuld, daß ich den Lorenz todt geschlagen habe. Du hast mich verlockt! Immer wilder wurde der Streit im Hause. So viele Leute auch dastanden, Niemand wagte es, in das Haus zu gehen – bis ein gellender Schrei drinnen endlich die Leute zwang. Sie rissen die Thüre auf und ein entsetzlicher Anblick bot sich ihren Augen dar. Am Boden lag das junge Weib mit zerschmettertem Schädel und Caspar lehnte an der Wand.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 622. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_622.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)