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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855)

von Aller, dem als Stabsoffiziere die Majore von Wenck und Bathurst zur Seite stehen, und das dritte leichte Infanterieregiment, welches, wie das erste, hier errichtet ist und zumeist Süddeutsche und Belgier in seinen Reihen zählt. Die Mannschaft desselben spricht zur einen Hälfte deutsch, zur andern französisch, das Commando aber ist deutsch. Außerdem befinden sich hier noch die Anfänge von zwei Cavallerieregimentern, deren jedes 600 Säbel stark werden soll. Beide zusammen haben jedoch jetzt erst eine Stärke von etwa 500 Mann. Die Mannschaft zu demselben wird theils hier, theils in Helgoland angeworben; doch werden in der Regel nur solche Leute genommen, welche früher schon unter der Cavallerie oder reitenden Artillerie gedient haben. Das zweite Infanterieregiment wird nicht lange mehr hier verweilen. Es ist stark davon die Rede, daß es am 3. künftigen Monats eingeschifft werden wird. Als Aerzte fungiren bei diesem, Regimentsarzt Dr. med. Straube (früher Badearzt auf Helgoland, aus Großdölzig bei Leipzig gebürtig) und Assistenzarzt Dr. med. Dierkings (aus Göttingen). Auch das dritte Infanterieregiment wird sobald als möglich von hier abgehen. Die genannten Truppen bilden bis jetzt die britisch-germany legion; von der schweizer Fremdenlegion stehen noch ein Regiment zu Dover und ein zweites zu Canterbury. Auch bei diesen ist das Commando deutsch.

Das Plateau von Shorncliff liegt hart am Kanale, wenige Minuten westlich von dem Flecken Sandgate, welches aber eine englische Meile westlich von Folkestone liegt. Beide Oerter dürfen, so wie der etwa 11/2 englische Meilen westlich von Shorncliff liegende Flecken Hythe, Abends von fünf bis neun Uhr von den Soldaten besucht werden; des Tags über darf Niemand das Lager verlassen. Uebrigens hat jedes Regiment im Lager seine Kantine, wo Porter, Ale, Tabak, Butter, Käse, Eier u. dergl. zu theuern Preisen zu haben sind. Von dem Tabak, der hier gewöhnlich geraucht wird, bekommt man für einen Penny (8 Pf.), gerade zwei Thonpfeifen voll; letztere erhält man allerdings stets gratis. Ein Ei kostet einen Penny. Auch andere Sachen als Lebensmittel, deren man aber doch sehr bedarf, als z. B. Papier, sind hier enorm theuer.




Kuriositäten aus China.

Die Chinesen sind so außerordentlich conservativ, daß sie selbst in der Revolution, die sie einmal angefangen haben und die etwas Bestehendes geworden, stehen und stecken bleiben. Sie fingen eigentlich mit Europa 1848 an, sind aber bis jetzt weder bis zur Hauptsache, noch bis zur Hauptstadt gekommen. Im Uebrigen wissen wir eben so wenig davon, wie von China selbst, die dürftigen Notizen, die sich dann und wann zwischen dem asow’schen Meere und Sebastopol hindurch drängen, werden übersehen, zumal jetzt, wo viele Europäer denken, der Phönix einer bessern Zeit werde nächster Tage aus der Asche des Malakoffthurmes empor- und ihnen als gebratene gefüllte Taube in den Mund fliegen, so daß man aufpassen müsse.

China ist curios, eigenthümlich und so verschieden von unserer ausgeleierten Civilisation, daß man sicher ist, den Leuten etwas Neues und Interessantes zu sagen, wenn man ihnen von China erzählt, zumal da man jetzt mit wirklicher Kenntniß aufwarten kann. Bis jetzt waren derartige Schilderungen größtentheils Früchte oberflächlicher und ganz falscher Ansichten von Außen. Nachdem aber der französische Missionär Huc Jahre lang darin gelebt und gewirkt und thatsächlich durch die ganze ungeheuere Ausdehnung des Reichs gewandert, kann man aus seinem Buche die genaueste Einsicht in das Leben China’s schöpfen. Was er uns von chinesischen Einrichtungen, religiösen, socialen und politischen Gebräuchen und Gesetzen mittheilt, ist Alles Ergebniß eigener Erlebnisse und Studien. So muß man die wunderlichsten Dinge, die er mittheilt, für volle Thatsachen halten, um so mehr, da der Mann sich durchweg als solider, ernster Charakter zeigt, der allen seinen Schriften und Thaten das Gepräge der strengsten Wahrheit aufgedrückt hat. Zunächst gesteht er, obgleich Missionär, daß die Apostel des Evangeliums in China durchweg ziemlich unglücklich gewesen und die spiritualistischen Lehren vielfach von dem nüchternen, praktischen Verstande der Chinesen abgewiesen wurden, während allerdings das Nichtdogmatische, die höhere Bildung und Intelligenz als solche, wie sie von Gützlaff, Huc, handelnden und producirenden Engländern importirt, an- und fortgepflanzt ward, so gewaltige Wirkungen hervorrief, daß sie das älteste, verfeinertste Land und Volk bis in’s Innerste erschütterten und wesentlich die jetzige Revolution hervorriefen.

Wie die Chinesen gegen christliche Dogmatik disputiren, davon erzählt er selbst in seiner hübschen Weise ein treffendes Beispiel: „In einer der größten Städte unterhielten wir uns viel mit einem gelehrten Chinesen, der im Ganzen eine günstige Meinung vom Christenthume hatte, und dessen Bekehrung uns daher eben so leicht als wichtig erschien. Wir hatten viele Conferencen mit einander und studirten die wichtigsten Punkte unserer Lehre sorgfältig. Unser Candidat gab Alles gern zu, was wir ihm als Forderung des Christenthums offenbarten. Mit der Zeit drangen wir in ihn, nun in aller Form Christ zu werden, aber er wußte immer Ausflüchte zu machen.

„Mit der Zeit,“ sagte er; „man muß sich niemals übereilen. Sprechen wir einmal vernünftig. Es ist nicht gut, zu begeistert zu sein. Eure Lehren sind wirklich sehr gut für unsern Geist und dessen Zukunft nach dem Tode. Aber ich fürchte, sie machen uns hier in dieser Welt zu viel zu schaffen und vermehren die Sorgen des Lebens. Sehen Sie z. B., wir haben einen Körper. Wie viel Sorgfalt verlangt er! Man muß ihn kleiden, nähren und gegen Wetter und Krankheit schützen. Er hat viele Schwächen, und die Krankheiten, die ihm drohen, sind zahlreich. Es wird allgemein zugegeben, daß Gesundheit unser kostbarster Schatz ist. Für diesen Leib, den wir sehen, den wir fühlen, muß man sorgen und zwar Tag und Nacht, ununterbrochen, wenn wir uns dieses größte Gut bewahren wollen. Nun, ist das nicht genug? Wollen wir unsere Pflicht gegen unsern Leib thun, wo die Zeit hernehmen, für die Seele, die wir nicht sehen, zu sorgen? Das Leben des Menschen ist kurz und voller Sorgen; es besteht aus einer Reihenfolge wichtiger Angelegenheiten, die ohne Unterbrechung auf einander folgen. Unsere Herzen und Geisteskräfte sind aber kaum den Sorgen dieses Lebens gewachsen; ist es daher weise, sich um ein jenseitiges zu quälen?“

Unser guter Missionär konnte dagegen blos geltend machen, daß, weil der Leib hinfällig und sterblich sei, es ganz vernünftig erscheine, für die unsterbliche Seele zu sorgen; weil dieses Erdenleben aus einem Gewebe von Sorgen und Aengsten bestehe, Vorbereitung auf ein künftiges, besseres allein Trost gewähren könne. Aber es gelang ihm nicht, den gelehrten Chinesen von der Möglichkeit und Weisheit zu überzeugen, daß man „für zwei Leben zugleich sorge.“ Er sagte, die christliche Ansicht sei erhaben und sehr ehrwürdig, aber meinte, daß er sich seinerseits vorläufig noch mit Pflichterfüllung gegen das eine, ihm gegenwärtige Leben begnügen wolle.

Danach zu schließen, haben die Chinesen gar keinen Sinn für ideale Dinge, für Poesie und Religion. Was sie Religion nennen, besteht aus einem Wirrwar von Ceremonien und Gebräuchen, die sie gewohnheits- und geschäftsmäßig mitmachen, ohne im Geringsten an deren religiöse Verdienstlichkeit oder Wirkung zu glauben. So beschreibt Huc ihre Methode, sich Regen zu verschaffen: „Wenn Trockenheit des Wetters anhält und Furcht vor einer kärglichen Ernte entsteht, erlassen die Mandarinen des Distrikts eine Proclamation, worin sie die strengste Enthaltsamkeit befehlen (das hat einen ökonomischen Sinn, da durch Enthaltsamkeit die vorhandenen Vorräthe geschont werden, während z. B. der von den englischen Mandarinen neulich vorgeschriebene Tag der „Erniedrigung“ vor Gott, damit er Schlachten gewinnen helfe, mit einem uniformen, vorgeschriebenen Gebete durch das ganze Land eitel Humbug war). Gebrannte und gebraute Getränke, jede Art Fleisch, Eier, Fische, jede Art thierischer Nahrung ist verboten und nichts gestattet als Vegetabilien. Jeder Hausbesitzer muß gelbe Papierstreifen mit Zauberformeln und dem Bilde des Regen-Drachens bedruckt an seine Thür kleben. Hört der Regen-Drache nicht auf diese Art von Beschwörung, wird ihm durch Darstellung religiöser Theaterstücke

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 628. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_628.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2023)