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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855)

Aber nicht allein den Männern der Revolution galt diese Strenge, sondern auch den Frauen, die durch anfeuernde Worte und Geldsummen die Revolution befördert hatten. Zu diesen Frauen gehörte vorzüglich die junge Gräfin Thekla Andrasy, die als Herrin eines großen Vermögens die hervorragendste Rolle gespielt hatte. Man hatte einen Preis auf ihre Gefangennehmung gesetzt, da sie sich durch die Flucht dem Schicksale ihrer Gesinnungsgenossen entzogen hatte. Ihre beträchtlichen Güter waren confiscirt.

In dem Hause des Apothekers ward nur oberflächlich über alle diese Dinge gesprochen, man konnte sich selbst der Freude über die endliche Unterdrückung der Revolution nicht so recht hingeben, da ein Zufall eine Störung des Hauswesens herbeigeführt, dessen regelmässigen Gang dem Apotheker nicht minder am Herzen lag, als die Regelmäßigkeit der Staatsmaschine.

Die alte Katharina, seine Haushälterin, die schon längere Zeit an einem Augenübel litt, war plötzlich blind geworden und der Arzt, der einer Augenheilanstalt vorstand, hatte erklärt, daß die Sehkraft der treuen Dienerin noch zu retten sei, wenn sie unverweilt sich einer Kur in der Anstalt unterzöge, die freilich einige Monate dauern könne.

Katharina mußte also das Haus verlassen und ein Stübchen in der Anstalt beziehen, die auf einer freundlichen Wiese vor der Stadt lag.

Ein alter Fischer der Save, Namens Lajos, erschien an diesem Tage in der Apotheke. Da er seine Fische an Frau Katharina nicht abliefern konnte, wandte er sich an Herrn Czabo, der ihm das Unglück der Alten mittheilte.

„Ich bin in großer Verlegenheit," schloß er. „Meine Netti kann den Dienst in der Küche nicht allein versehen – woher nehme ich nur eine zuverlässige Magd?“

Der alte Fischer sah den Apotheker mitleidig an.

„Sie haben Recht, Herr Czabo,“ sagte er, „ihre Verlegenheit ist wirklich groß. Eine Magd brauchen Sie, und heute noch, wenn die Wirthschaft nicht leiden soll. Aber woher nehmen? Bei den jetzigen Zeiten muß man in der Wahl der Personen, die man in sein Haus nimmt, vorsichtig sein. Hm, Hm,“ brummte er, indem er sein bärtiges Kinn in die rauhe Hand legte, „könnte ich Ihnen nur helfen!“

„Lajos, Ihr seid ein redlicher Mann, ein wackerer Bürger – Ihr kommt mit Dienstleuten mehr in Berührung als ich – schafft mir eine gute, zuverlässige Magd, und ich gestatte Euch, daß Ihr vier Wochen in dem Theile der Save fischen könnt, der hinter meinem Garten fließt, und mein Eigenthum ist. Ihr habt Euch ja lange darnach gesehnt.“

Das Gesicht des alten Fischers verzog sich zu einem freundlichen Lächeln.

„Ach, Herr Czabo,“ rief er, „der Preis ist köstlich.“

„Nun, so sucht ihn zu verdienen.“

„Aber wie, wie? Halt, da fällt mir etwas ein! Ich muß zwar ein großes Opfer bringen, aber ich bringe es, Ihnen zu Liebe, und – weil ich vier Wochen in dem fischreichsten Theile unseres Flusses meine Netze auswerfen kann. Wahrhaftig, ich glaube, ich verliere nichts bei dem Tausche. Herr Czabo, geben Sie mir sechs Wochen die Erlaubniß, zu fischen, und ich geben Ihnen heute noch meine eigene Nichte, die Tochter meines leiblichen Bruders, in den Dienst.“

„Sechs Wochen?“ murmelte der Apotheker. „Ich wollte die Fischereigerechtigkeit verpachten.“

„Ob vierzehn Tage früher oder später – was thut’s einem so wohlhabenden Manne, wie Ihnen? Wenn Sie das schmucke zweiundzwanzigjährige Mädchen sehen, werden sie sich freuen.“

„Zweiundzwanzig Jahre?“ fragte der Apotheker, indem er über seine goldene Brille hinwegsah, die er im Hause zu tragen pflegte.

„Es fehlen sogar noch drei Wochen daran.“

„Schmuck?“

„Wie ein Stieglitz.“

„Gesund?“

„Wie ein Fisch im Wasser.“

„Reinlich?“

„Wie eine Seejungfer.“

„Versteht sie die Wirthschaft?“

„Sie hat zwei Jahre bei einem Kaufmanne in Pesth gedient. Man ließ sie dort ungern gehen, aber sie kam, weil meine Alte krank war, die jetzt, Gott sei Dank, wieder auf den Strümpfen ist.“

„Ein Beweis, daß das Mädchen ein gutes Herz besitzt,“ meinte der Apotheker.

„Gewiß,“ rief Lajos mit Feuer, „ich stehe für Kathi, wie für mich selbst. Sie ist treu und fleißig, man kann sich auf sie verlassen.“

„Also Kathi heißt Eure Nichte, Lajos?“

„Ja, Herr Czabo. Meiner Treu, keinem Andern als Ihnen vertraue ich das Mädchen an. Sie ist mir lieb, wie eine Tochter!“

„Wann kann ich das Mädchen sehen, Lajos?“

„Heute noch, wenn Sie wollen!“

„Gut, bringt sie mir diesen Nachmittag. Gefällt sie mir, mag sie gleich in meinem Hause bleiben.“

„Sie wird Ihnen gefallen, Herr Czabo.“

„Und den Lohn?“

„Darüber verhandeln Sie mit ihr selbst. Ich, meinerseits, habe nur eine Bedingung zu stellen.“

„Nennt sie, alter Lajos.“

„Daß ich meine Nichte von Zeit zu Zeit besuchen und sie mit überwachen kann. Es ist dies kein Mißtrauen, Herr Czabo; aber ich habe Kathi’s Mutter versprochen – ihr Vater, mein Bruder ist ja todt – ich habe also meiner Schwägerin versprochen, das Mädchen nicht außer Acht zu lassen. Sie werden mich ganz verstehen, Herr Czabo, wenn Sie das schmucke Ding gesehen haben. Ich wiederhole es: nur Ihnen, Herr Czabo, vertraue ich Kathi an.“

Der Apotheker bezahlte dem greisen Lajos den Preis für die Fische.

„Mit diesem Gerichte,“ meinte der Fischer, „kann Kathi heute noch ihre Kochkunst beweisen.“

„Apropos, sie versteht doch zu kochen?“

„Wenigstens so viel, als für meinen Tisch nöthig war. Nun sollte sie nicht so ganz nach Ihrem Geschmacke kochen, so ist ja Mamsell Netti da – meine Nichte ist ein gelehriges Mädchen. In einigen Wochen – –“

„Geht, Lajos, und bringt mir Eure Kathi!“

Der Fischer ging. Herr Czabo theilte seiner Tochter die Ankunft einer neuen Magd mit, und bemerkte dabei, daß Lajos ihm eine große Gefälligkeit erzeigt habe.

Herr Czabo saß mit seiner Tochter beim Nachmittagskaffee, als Niklas, der Zögling des Apothekers, eintrat.

Man denke sich eine ungewöhnlich lange Gestalt mit bleichem Gesichte, dessen Backenknochen weit hervorstehen, mit einer fast durchsichtigen großen Adlernase, mit großen lichtblauen Augen, hellblonden Haaren, mit breiten und ungewöhnlich langen Händen und eben solchen Füßen – man denke sich diese Gestalt in einen grauen Frack gekleidet, der zu eng und zu kurz ist, in Hosen von derselben Farbe und demselben Stoffe, dazu eine grüne wollene Schürze, so hat man ein Bild von dem Gehülfen des Apothekers.

„Niklas,“ rief der Apotheker, „Du siehst ja so bestürzt aus – was ist geschehen?“

Der lange zwanzigjährige Mann versuchte zu lächeln.

„Ich bin nicht bestürzt, Herr Czabo!“ sagte er mit einer tiefen Baßstimme, die zu seinem hageren Körper einen komischen Kontrast bildete.

„Bist Du krank?“

„Nein.“

„Was willst Du?“

„Der Fischer Lajos ist soeben angekommen.“

„Allein?“

„Nein. Ein junges Mädchen begleitet ihn. Er sagt, ich solle Ihnen melden, daß unsere neue Köchin da wäre.“

„Ah, der gute Alte hält Wort. Laß ihn mit seiner Nichte sogleich eintreten.“

Niklas öffnete die Thür. An der Schwelle stand der Fischer, neben ihm ein junges Mädchen.

„Darf ich eintreten?“ fragte Lajos, indem er seine Mütze zog.

Der Apotheker legte seine Cigarre auf den Tisch und nickte mit dem Kopfe.

„Komm, Kathi,“ sagte der Alte, „ich will Dich Deinem neuen Herrn vorstellen. Sei nur nicht so schüchtern, Du kommst zu guten Leuten.“

Lajos trat ein, indem er Kathi an der Hand mit sich fortzog.

„Hier ist meine Nichte,“ sagte er dann mit einer Selbstgefälligkeit,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 644. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_644.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)