Seite:Die Gartenlaube (1855) 646.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1855)

rechter Zeit wieder in das rechte Gleis geräth. Ihr gehört also zu unserer, zu der guten Partei?“

„Lieber Herr,“ sagte Lajos, indem er wie verlegen seine Mütze zwischen den Fingern drückte, „ich bin ein schlichter Fischer, der von Ränken und Kniffen nichts versteht – man hat uns goldene Berge vorgespiegelt – ist es ein Wunder, wenn man sich hinreißen läßt? Noch gestern Abend habe ich mit meinem Nachbar darüber gesprochen – Sie kennen ja den alten Bodeck – er hat zwei Söhne in dem schrecklichen Kriege verloren –“

„Zwei Söhne!“ ries Herr Czabo, und schlug die Hände über dem Kopfe zusammen. „Gott verzeihe mir die Sünde, aber fast möchte ich sagen, dem verdrehten Alten geschieht ganz recht, warum hat er seine Jungen ziehen lassen!“

„Wie gesagt, lieber Herr, wir sind davon zurückgekommen, und es ist mir lieb, daß ich keine Söhne habe. Dafür aber werde ich mich Kathi’s annehmen, sie ist ein junges, unverdorbenes Blut – –“

„Apropos, Lajos, wie ist sie gesinnt?“

„Davon wollte ich eben sprechen. Sie kennt meine Ansichten, die ich schon seit längerer Zeit hege, und sie hat einen solchen Abscheu vor der Revolution, daß sie außer sich geräth, wenn man davon spricht. Sehen Sie, Herr Czabo, deshalb ist es mir doppelt lieb, daß sie in Ihrem Hause ist, denn hier wird sie in guten Grundsätzen erhalten und bestärkt. Nicht wahr, in Ihrer Nähe ist es unmöglich, daß sie das verderbliche Gift der –“

„Unmöglich, Lajos, unmöglich! unter meinem Dache leben Aristokraten vom reinsten Wasser! Nun, ich denke, meine Gesinnungen sind so ziemlich bekannt!“ fügte Herr Czabo hinzu, indem er sich stolz in die Brust warf. „In der Zeit, wo der Pöbel regierte, habe ich deshalb viel ertragen müssen – man hat mich verspottet, fast gemißhandelt, aber ich bin mir selbst treu geblieben. Na, nun geht, guter Lajos, und nehmt die Versicherung, daß Ihr an mir einen wirklichen Freund in der Noth habt.“

Der alte Fischer nahm einen herzlichen Abschied und entfernte sich.

Herr Czabo ging in seine Apotheke.



II.
Der poetische Advokat.

Acht Tage nach der Aufnahme Kathi’s treffen wir den Advokaten Ferenz in seinem Zimmer. Der junge Mann ging sinnend auf und ab. Plötzlich griff er in die Seitentasche seines Rocks und holte ein zierlich gesticktes Taschenbuch, ein Geschenk seiner Netti, hervor. Rasch zog er den Stift, der die Blätter zusammenhielt, aus den feinen goldenen Oesen, öffnete, und las mit halblauter Stimme, aber in großer Begeisterung, folgende Verse:

„Und in den Straßen wogte das Gedränge
Des wuthentbrannten Volkes, das empört
In unabsehbar fürchterlicher Menge,
Den Tigern gleich, die Durst nach Blut verzehrt,
Das Stadthaus droh’nden Blicks umschlossen hielt –
Und Schrecken, überall, wohin man sah –
Der Ausbruch eines Bürgerkriegs war da!
Noch fehlte nur ein Führer, der mit Kraft
Den rechten Geist im rohen Volke schafft –
Da stand urplötzlich eine hohe Frau – –

„Herrlich, vortrefflich!“ unterbrach sich der Leser. „O, wenn ich in dieser Begeisterung vollenden könnte, wenn sie nur heute nicht durch Nebenumstände unterbrochen würde! Es ist wahrlich nicht leicht, die Gräfin Thekla Andrasy zu besingen, den Charakter dieser Jungfrau zu malen, die den Muth eines Heerführers zeigt, ohne die eigenthümliche Grazie ihres Geschlechts zu verletzen. Aber eben diese Schwierigkeit verdoppelt meine Kräfte und ich besinge sie. Soviel steht fest, daß mein Gedicht unter den gegenwärtigen Verhältnissen ein kühnes Unternehmen ist. Wenn man entdeckte, daß ich, ein einfacher Advokat in Semlin, es wagte, den Ruhm einer Verbannten zu besingen, was würde man von mir denken? Und vor Allen mein künftiger Schwiegervater? Er ist zwar ein respektabler Apotheker, ein herzensguter Mann – aber ein Feind des Fortschritts und der geistigen Unabhängigkeit.

Ich muß indeß seine Schwachheit ehren, denn bald“ fügte er mit einem zärtlichen Blicke auf das Taschenbuch hinzu, „bald werde ich sein Schwiegersohn. Ach, Netti, Du wirst meine poetische Begeisterung würdigen und mein Werk verstehen; Du wirst stolz darauf sein, daß ich für eine so unglückliche Jungfrau meine Stimme erhebe, denn Alle scheinen sie verlassen zu haben, selbst ihr Oheim, der wirksam für sie sprechen könnte, wenn er wollte. Ihre Freunde sind theils geflüchtet, theils gefangen, und das zarte Mädchen irrt im eigenen Vaterlande flüchtig durch die Steppen. Wohlan denn, mögen Alle sie verlassen und verdammen, ich allein will es wagen, sie zu besingen. Thekla soll die Heldin meiner Verse sein! Ich kenne sie nur nach einem unvollkommenen Gemälde, das ich in der Gallerie einer ihrer Schlösser gesehen, aber noch ist mir, als ob ihr sanfter und doch so stolzer Blick auf mir ruhete, noch schwebt mir die anmuthgeschmückte Stirn vor den Blicken. Wenn der Maler das Urbild nicht erreichen konnte, soll es der Dichter. Ich will das Gemälde vollenden, beseelen!“

Der junge Mann nahm den Stift wieder zur Hand, setzte sich vor seinen Arbeitstisch, stützte den Kopf in die linke Hand, sann einige Augenblicke nach und begann zu schreiben:

„Da stand urplötzlich eine hohe Frau,
Wie einst Johanna d'Arc, im Volksgewühl,
Die Menge ward begeistert –“

Ein Klopfen an der Thür unterbrach den Dichter. Rasch verbarg er das Buch in seiner Tasche und forderte mit lauter Stimme zum Eintreten auf.

Herr Czabo erschien.

Der Apotheker trug, wie gewöhnlich, einen schwarzen Frack, eine gelbe Weste und ein weißes Halstuch. Die goldene Brille lag vor der hohen, gläuzenden Stirn.

„Guten Tag, lieber Sohn,“ sagte freundlich der Apotheker; „störe ich?“

„O nein, Herr Czabo“, antwortete Ferenz, indem er aufstand und dem Ankommenden entgegentrat. „Der Vater meiner Netti stört niemals, selbst bei den dringendsten Geschäften –“

„Ah, Geschäfte gehen Allem vor,“ antwortete der Alte im Tone des Vorwurfs, „selbst der Braut und dem Schwiegervater.“

„Sie kennen ja die allgemeine Stockung der Geschäfte,“ meinte lächelnd der Advokat. „Wenn ich mich nicht mit Privatarbeiten beschäftigte, würde ich jetzt Langeweile haben.“

„Die Langeweile ist ein fürchterlicher Wurm, der tödtet!“ rief der Apotheker. „Ich habe eine Arbeit für Sie, Ferenz.“

„Einen Prozeß?“

„O nein; ich hatte nur einen Prozeß in meinem Leben, den Sie mir so glorreich gewinnen halfen – aber trotzdem ich ihn gewonnen, möchte ich um die Welt keinen zweiten wieder erleben! Ich hasse die Prozesse wie die Langeweile.“

„Nun, was ist es denn?“

„Der lange Niklas hat seit acht Tagen eine solche Unordnung in meine Bücher gebracht, daß sie einer gründlichen Durchsicht bedürfen, wenn die Confusion nicht total werden soll. Wollen Sie sich nach Tische diesem Geschäfte unterziehen?“

„Gern, bester Vater! Wie kommt es nur, daß der sonst so pünktliche junge Mann –“

„Sie werden lächeln, Ferenz, aber ich glaube mich nicht zu täuschen.“

„Ich glaube, die Kathi hat dem armen Menschen den Kopf verdreht. Er ist ein guter Junge, weiß seine Medicamente zu präpariren – aber wahrlich, seit acht Tagen, ich habe ihn beobachtet, ist er wie umgewechselt. Sonst konnte ich mich auf ihn verlassen, jetzt nicht mehr.“

„In einer Apotheke - das ist bedenklich!“ sagte Ferenz, indem er stehen blieb.

„Ich kann von Glück sagen, daß ich ihn diesen Morgen zufällig beobachtete.“

„Was ist geschehen?“

„Anstatt vier Gran Brechpulver in ein Packet zu thun, verpackte er acht Gran. Ich zittere, wenn ich an die Wirkung denke. Der Mensch vergreift sich in den Zahlen und in den Büchsen. Gebe nur der Himmel, daß er nicht schon früher ähnliche Dummheiten begangen hat. Der Ruf meiner Apotheke steht auf dem Spiele.“

(Fortsetzung folgt.)
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 646. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_646.jpg&oldid=- (Version vom 23.5.2018)