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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855)

Als ob diese Riesen mit ihrer kugelfesten Haut und in den dichtesten Wolfspelz gehüllt nicht das heutige Klima Sibiriens hätten ertragen können, dessen Nadelholzwaldungen ihnen doch eben so reichliche Nahrung, wie dem heutigen die tropische Vegetation lieferten. Außer dem dichten und langen Pelze, der dem plumpen Coloß gewiß ein ganz wundersames Ansehen verlieh, unterschied sich das diluviale Nashorn von dem am Cap lebenden durch einen viel längeren Kopf mit ungeheuer großem Horn auf der Nase. Dieses Horn, einst für die Klaue des fabelhaften Vogel Greif gehalten, war so groß und schwer, daß die Nasenbeine einer knöchernen Stütze statt der weichen knorpeligen bei der lebenden Art bedurften, um nicht unter dessen Last zusammen zu brechen. Gehen wir über die diluviale Epoche hinaus, die tertiäre Periode: so begegnen wir zweien andern Nashornarten in Deutschland, welche den heutigen durch große Schneidezähne ausgezeichneten asiatischen näher verwandt sind. Die eine derselben hatte zwei Hörner und die andere war hornlos, ein wahres Nashorn ohne Horn, übrigens leicht und zierlich gebauet, soweit davon bei einem Mitgliede einer plumpen und unbeholfenen Familie überhaupt die Rede sein kann.

Der Zeitgenosse des diluvialen Nashornes war das Mammut, gleich häufig, gleich weit verbreitet, gleich innig mit dem heutigen Elephant verwandt, doch nicht mit dem afrikanischen, sondern mit dem asiatischen, unterschieden nur durch robusteren Knochenbau, kleineren Kopf, schwächeren Brustkasten, kürzere und dickere Beine und langen zottigen Pelz. Die riesigen Stoßzähne, die wir hier und da im Diluvialboden finden, und die aus Sibirien frisch und wohl erhalten noch als Elfenbein in den Handel gebracht werden, sind in keiner Weise von denen unseres Elephanten unterschieden. Auch bei diesem erreichen dieselben gigantische Dimensionen. Aber wie Deutschland einst afrikanische und asiatische Rhinoceroten nährte, so vereinte es in seinen engen Grenzen auch die Elephanten beider Welttheile. Auch der heutige afrikanische Elephant hatte seinen Repräsentanten bei uns in der Diluvialzeit. Die rautenförmigen Schmelzfiguren auf der Kaufläche seiner Backenzähne unterscheiden diesen kleinern, wildern Elephanten sehr leicht von dem großen gutmüthigen und gelehrten Asiaten. Vielleicht war das Naturell der Arten in der Urzeit ein umgekehrtes, wenigstens war der afrikanische Repräsentant nur in sehr geringer Anzahl vorhanden, und scheint gegen das eigentliche Mammut nirgends in Europa aufgekommen zu sein. Die Ueberreste werden nur ganz sparsam und vereinzelt gefunden.

Bevor die Elephanten Deutschland und die Erdoberfläche überhaupt bevölkerten, lebte bei uns das Mastodon, eben so riesenhaft, mit demselben Rüssel und denselben Stoßzähnen, unterschieden aber durch kleine gerade Stoßzähne im Unterkiefer, durch gewurzelte Backzähne mit zitzenförmigen Schmelzhöckern und gestreckterem Rumpf. Dieser Riese verschwand aus Europa, um mit Eintritt der Diluvialepoche in Amerika in neuer Gestalt zu erscheinen und dort dem Mammut Gesellschaft zu leisten. Er erlag der Diluvialkatastrophe.

Endlich haben wir noch des Tapirs zu gedenken, der durch seine geringe Größe, seinen kurzen Rüssel, die vier- und dreizehigen Füße, die sechs Schneidezähne, Eckzähne und sechs bis sieben Backzähne mit dachförmigen Querjochen merkwürdig von seinen riesigen Verwandten sich auszeichnet. Jetzt nach Indien und Südamerika verbannt, mischte er sich einst unter die Riesenthiere Deutschlands, denn wir kennen seine Ueberreste aus tertiären Gebilden und spärlicher aus der sundwicher Höhle. Damals scheint er die heutige Größe noch nicht erreicht zu haben.

Mit den eben aufgezählten Gestalten ist die ganze Mannigfaltigkeit der heutigen Dickhäuter erschöpft, aber nicht der antediluvianischen. Unter dieser treffen wir noch ganz fremdartige Gestalten, ausgezeichnete Typen der Urwelt, aber als Vorgänger der erwähnten, nicht als Zeitgenossen der Mammute, Mastodonten und Rhinoceroten. In der ältern Tertiärzeit lebten im südlichen Deutschland, zahlreicher und mannigfaltiger jedoch weiter nach Westen in Frankreich und England, die gerüsselten Paläotherien und langgeschwänzten Anoplotherien. Beide waren leicht gebauete, hochbeinige, schlanke Dickhäuter mit drei Hufen an jedem Fuße. Die Paläotherien schwankten in der Größe je nach den Arten von der des Kaninchens bis zur Pferdegröße, in der Organisation aber schließen sie sich den Tapiren zunächst an und vermischen dessen Eigenthümlichkeiten mit den Charakteren des Pferdes und zum Theil auch des Nashornes. In ähnlicher Weise verbinden die Anoplotherien die Charaktere der heutigen Wiederkäuer, Rhinoceroten und Tapire.

Die Anoplotherien führen uns zu der großen Familie der Wiederkäuer, unter denen wir die nützlichsten Hausthiere finden. Bei uns sind bekanntlich der Stier, das Schaf und die Ziege, die gezähmten Mitglieder dieser Gruppe, im freien Naturzustande bewohnen die deutschen Wälder und Gebirge das Reh, der Edelhirsch, das Elenn, der noch weiter zurückgedrängte Auerochs und die Gemse. Auch den Steinbock der Alpen können wir noch erwähnen, aber der Damhirsch ist von der Südseite der Alpen her erst bei uns eingeführt, und gedeihet nur in Gehegen. Die frühern Schöpfungsperioden enthalten auch hier in den engen Gränzen Deutschlands einen reicheren Formenkreis. Neben den während der Diluvialepoche in großen Heerden weidenden Vertretern des Hausstieres und Auerochsen treffen wir den nordamerikanischen Bisamstier. Dort im felsigen Lande der Eskimo’s die spärliche Weide suchend, treibt er sich freilich in Schaaren bis zu hundert und zweihundert Tausenden umher, während wir in unserm Diluvialboden nur sehr vereinzelte Schädel und Gebeine finden. Er dehnte sein Vaterland über das ganze nördliche Europa und Asien aus. Schafe, Ziegen und Antilopen scheinen nach den sparsamen Resten, die sie hinterlassen haben, keine bedeutende Rolle in Deutschland gespielt zu haben, wohl möglich, daß sie vor den gefräßigen und blutdürstigen Raubthieren nicht aufkommen konnten, da ihnen Waffen und Schutz, gegen deren Angriffe fehlten. Auch Rehe, Hirsche und das Elenn waren diesen Verfolgungen damals viel mehr als gegenwärtig ausgesetzt, dennoch finden wir ihre Ueberreste häufig. Mit ihnen, wie bei den Stieren wieder einen hochnordischen Bewohner, das Rennthier, welches heut zu Tage keinen Sommer mehr bei uns ausdauert, sondern bei aller Schonung und Pflege dem gemäßigten Klima erliegt. Einen schönern Schmuck als alle diese schön geweihten zierlichsten Zweihufer bilden, verlieh der Riesenhirsch den deutschen Wäldern der Vorzeit. Fast von der Größe des Elenn, also nicht von riesenhaftem Körperbau, war dieser Hirsch mit zwei langen und starken Geweihstangen geziert, deren äußerste Zacken an den breiten Schaufeln, bis auf vierzehn Fuß von einander sich entfernten. Es ist sehr wahrscheinlich, daß dieser schönste aller Hirsche die Diluvialkatastrophe überdauerte und in die gegenwärtige Schöpfung einging; der grimme Schalch der Nibelungen wird auf ihn gedeutet, und in Irland hat Hibbert seine Existenz bis in’s zwölfte Jahrhundert herauf nachgewiesen. Die Ueberreste unterstützen eine solche Deutung, indem sie noch ziemlich frisch erhalten am Häufigsten in Torfmooren lagern, deren Bildung bekanntlich noch fortschreitet. Die ältern Hirsche, deren Ueberreste in tertiären Gebirgsschichten sich finden, weichen weder in der Größe noch in der Organisation erheblich von unseren heutigen ab, aber in ihrer Gesellschaft treffen wir ebenfalls einen fremden Gast, einen Vertreter des an der Schneegränze des asiatischen Hochgebirges lebenden Moschusthieres. Ob auch er schon Moschus lieferte, läßt sich aus dem einzigen, in der rheinischen Braunkohle entdeckten Skelet nicht ersehen.

So lebten einst in Deutschland Vertreter all’ jener großen und stattlichen Landbewohner, die gegenwärtig über die ganze Erdoberfläche nach Ost und West, in die eisigen Regionen des höchsten Nordens und unter die brennenden Strahlen der tropischen Sonne zerstreut und fest gebannt sind: der Bisamochs und das Rennthier, die unserem gemäßigten Klima unrettbar erliegen, neben Elephanten, Flußpferden, Rhinoceroten und Tapiren, welche nur unter sorgsamer Pflege und auch dann nur kümmerlich unsere Winter überdauern.

Doch dürfen wir des edlen und stolzen Pferdes nicht vergessen, welches gegenwärtig, wenn auch erst eingeführt, bei uns völlig einheimisch ist. Es war während der Diluvialepoche über den größten Theil Europa’s in großer Anzahl verbreitet, ganz von demselben Bau wie heute. Auch in Amerika wo es erst seit der Entdeckung durch die Europäer wieder eingeführt worden, lebte während der Diluvialzeit ein Pferd, unterschieden von dem europäischen besonders durch kürzere und dickere Beine.



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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 654. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_654.jpg&oldid=- (Version vom 5.8.2023)