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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855)

Netti trat zu dem Vater und ergriff seine Hand, als ob sie seinen aufkeimenden Unwillen rasch besänftigen wollte.

„Gewiß, lieber Vater,“ sagte sie bittend, „Kathi ist noch unerfahren und an unsere Küche noch nicht gewöhnt – haben Sie ein wenig Nachsicht mit ihr – bitte, mein guter Vater! Es ist nicht ihre Schuld, sie ist nicht einen Augenblick aus der Küche gekommen.“

„Wie,“ rief aufbrausend der Apotheker, „ist etwas mit dem Braten vorgefallen?“

„Wenn ich nicht darauf geachtet hätte – er wollte anbrennen.“

„O, mein Gott, wie ist doch ein armer Wittwer zu beklagen! Den Braten läßt man anbrennen, bei dem ich meine Ernennung zum Commandanten der Schutzwache feiern wollte! Nein, das ist unverzeihlich! Ich werde auf der Stelle – –“

„Vater,“ sagte Netti schluchzend, indem sie ihn bei der Hand zurückhielt. „Vater, wollen Sie mir etwas versprechen?“

Obgleich Czabo ein grimmiges Gesicht machte, so war es nun doch nicht so um’s Herz, wie es den Anschein hatte, er erkünstelte den Zorn, um eine schickliche Gelegenheit zu finden, der schmucken Köchin einen Besuch in der Küche abzustatten.

„Was soll ich versprechen?“ fragte er heftig.

„Daß Sie der armen Kathi nicht zürnen.“

„Nicht zürnen? Soll ich denn Alles so ruhig hingehen lassen?“

„Sie ist so ängstlich, daß sie kaum noch weiß, was sie thut.“

„Aengstlich, weshalb?“

„Vor Ihrem Unwillen.“

Der Apotheker sah seine Tochter einen Augenblick an. Er schien sich zu beruhigen.

„Gut,“ sagte er, „ich will sie diesmal mit der Strafpredigt verschonen, aber damit sie achtsamer und diensteifriger werde, muß ich ihr einen gelinden Verweis zukommen lassen.“

„Es wird nicht wieder geschehen.“

„Das hoffe ich! Du scheinst die Kathi gern zu haben?“ fragte er lächelnd.

„Sie ist wirklich ein gutes Mädchen, die unserer Wirthschaft noch eine tüchtige Stütze werden kann. Einem solchen Gemüthe muß man mit Milde begegnen.“

„Nun gut, ich werde Deinem Rath folgen; Kathi soll sehen, daß sie einen milden Herrn hat. Und Du sagtst, daß sie meinen Zorn fürchtet?“

„Ja.“

„So will ich sie beruhigen, damit sie nicht noch größeres Unheil in der Küche anrichtet. Decke den Tisch, Netti, und unterhalte unsern Ferenz, bis ich zurückkomme. Ihr habt doch wohl längst darauf gewartet, einige Augenblicke allein zu sein.“

Herr Czabo schob die Brille von der Stirn auf die Nase herab, und verließ lächelnd das Zimmer. Er schlug den Weg nach seiner Küche ein.

Als Netti sich nach ihrem Bräutigam umsah, saß er nachdenkend in einer Ecke des Sopha’s; er schien von der Unterhaltung zwischen Vater und Tochter nichts gehört zu haben.

Sie trat zu ihm, und legte sanft ihre kleine Alabasterhand auf seine Stirn.

„Woran denken Sie, Ferenz?“

Der Advokat erwachte aus seinem Sinnen.

„Verzeihung, Netti, ich dachte an Sie, an unser Glück!“

„Oder vielmehr an das, was Sie so oft beschäftigt, an Ihre Verse – habe ich Recht?“ fragte sie mit einem reizenden Lächeln.

„Netti!“ rief Ferenz, indem er ihre Hand küßte.

„Es soll kein Vorwurf sein, lieber Ferenz,“ fuhr sie mit einer reizenden Anmuth fort, „ich denke nicht daran, mich zu beklagen. Sie besitzen Geist und Talent, und Ihre schönen Verse haben mich oft erfreut – vernachlässigen Sie die edle Dichtkunst nicht, doch denken Sie dabei auch an Ihre Netti.“

Ferenz zog das reizende Mädchen sanft zu sich hernieder.

„Immer, immer, meine geliebte Braut!“ rief er aus, indem er seinen Arm um ihre biegsame Taille schlang und einen Kuß auf ihre reine weiße Stirn drückte.

„Ferenz,“ flüsterte sie erröthend, „ich werde stolz und glücklich sein, Ihre Frau zu heißen!“

„Und ich werde der seligste der Menschen sein, wenn ich mich Ihren Gatten nennen darf!“

Nun begann ein Liebesgeplauder, über dem den glücklichen jungen Leuten eine halbe Stunde verfloß, ohne daß sie es merkten. Der calculirende Herr Czabo hatte darauf gerechnet, er wußte, daß er in der Küche vor Ueberraschung gesichert war. Nachdem er noch einmal flüchtig durch die Glasthür gesehen, um sich zu überzeugen, daß Niklas in der Apotheke war, schlich er zu der Küche, die dem Wohnzimmer gegenüber lag und ein Fenster nach der Straße hinaus hatte.



III.
Aschenbrödel.

Der Apotheker schien etwas mehr zu beabsichtigen, als die neue Köchin wegen des angebrannten Bratens beruhigen zu wollen. Leise öffnete er die Thür, aus der ihm ein Dunst entgegenkam, der das erste Zeugniß von Kathi’s Versehen ablegte. Herr Czabo rümpfte die Nase, aber er schwieg.

Kathi stand am Herde und fachte mit einem Blasebalge das Feuer an, daß es laut knisterte. In den Töpfen, die auf dem Herde standen, rauschte und zischte es, als ob Wasser mit siedendem Oele gemengt sei. Die fleißige Köchin merkte den Eintritt ihres Herrn nicht sogleich. Herr Czabo blieb ruhig in der halbgeöffneten Thür stehen, und beobachtete das junge Mädchen mit einem unverkennbaren Wohlgefallen.

„Kathi,“ sagte er nach einer Minute, „wie steht es mit dem Mittagessen?“

Kathi erschrak; aber als sie Herrn Czabo sah, hing sie ruhig den Blasebalg an einen Nagel in der weißen Wand.

„Es kann angerichtet werden!“ antwortete sie in einem Tone, der umsonst den leichten Schrecken zu verbergen suchte.

Herr Czabo sah durch seine Brille auf die hübsche Köchin, als ob er ein Recept lesen wollte. Dabei holte er eine kleine silberne Dose aus der Tasche, und sog eine Prise ein, um die Augen klarer zu machen. Herr Czabo war kein leidenschaftlicher Schnupfer, aber er hielt den Taback für die Augen gut.

Die Köchin trug heute ein schwarzes Kamisol, das nachlässig den schönen Oberkörper einschloß. Ein rothes baumwollenes Tuch schlang sich um den Hals und bedeckte nur theilweise die Schulter, die wie Schnee aus dem schwarzen Mieder leuchtete. Das feine Gesicht, ein wenig von Ruß geschwärzt, war heute von der Hitze des Herdes geröthet. Das rebellische Rabenhaar hatte die weiße Mütze verschoben, es hing wirr über den Nacken und über die Stirn herab. Die kurzen Aermel des Mieders lagen so fest um den runden Arm, daß sie bei jeder Bewegung zu zerspringen drohten. Weiße Strümpfe und schwarze Schuhe bekleideten zwei Füßchen, die an Zierlichkeit und Elasticität denen einer Tänzerin zu vergleichen waren. Die Köchin bot in dieser Verfassung ein so reizendes Bild, daß man sich über Herrn Czabo nicht wundern konnte, wenn er in dem Beschauen desselben seinen angebrannten Braten vergaß. Kathi war eine zweite Aschenbrödel, die unter dem russigen Küchengewande eine seltene Schönheit verbarg. Der Umstand, daß sie sich ihrer Schönheit nicht einmal bewußt zu sein schien, erhöhte den Reiz derselben.

Herr Czabo war in eine Verfassung gerathen, daß es ihm schwer ward, das angefangene Gespräch fortzusetzen. Er trommelte mit den Fingern auf seiner Dose, als ob er Fassung und Gedanken heraustrommeln wollte. Er war der Herr vom Hause, folglich mußte er zuerst das Wort ergreifen.

„Kathi,“ begann er in einem Tone, der von dem eines Herrn himmelweit verschieden war, „weißt Du auch, daß heute ein wichtiger Tag für mich ist?

Die Köchin schob einen Topf vom Feuer zurück, dessen sprudelnder Inhalt den Rand zu übersteigen drohete. Das dadurch verursachte Geräusch hatte sie verhindert, die freundlichen Worte des Alten zu verstehen. Sie wandte ihr glühendes Gesicht von dem Herde ab, und fragte im Dialekte der Landleute jener Gegend:

„Was befehlen Sie, Herr?“

Herr Czabo trommelte stärker auf seiner Dose. Es war ein Glück, daß er denselben Gedanken noch einmal aussprechen konnte, denn es wäre ihm in diesem Augenblicke unmöglich gewesen, einen neuen zu finden. Fast lallend wiederholte er seine Frage.

„Nein, Herr Czabo!“ antwortete Kathi, indem sie sich mit der weißen Küchenschürze die schweißbedeckte Stirn trocknete.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 660. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_660.jpg&oldid=- (Version vom 2.12.2018)