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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855)

„Und wenn das wäre?“ fragte er nach einer Pause.

„Dann würde ich Dir, mein alter, treuer Lajos, als einem Freunde die Hand reichen. Kennst Du meine Stimme nicht mehr?“

„Mein Gott,“ stammelte der Fischer, „bei dem Namen der Gräfin steigt eine Erinnerung in mir empor – doch nein, ich kann es nicht glauben, es ist nicht möglich! Ein Graf Esthi – –“

„Steckt in der Uniform eines österreichischen Korporals; es ist die volle Wahrheit. Du weißt, ich diente als Oberst im Görgey’schen Corps – –“

„Ich weiß – ich weiß,“ sagte der Fischer.

„Wir mußten die Waffen strecken. Dann wurden wir als gemeine Soldaten den österreichischen Regimentern einverleibt. Seit drei Tagen hat man mich zum Korporal avancirt, weil mein Eifer im Dienste Belohnung erhalten sollte. Doch, wir verplaudern die Zeit, und denken nicht an das Wichtigste. Folge mir in das Gartenhaus, man könnte uns hier belauschen.“

Nach einigen Minuten befanden sich die Männer in dem Zimmer. Der Korporal zündete das Licht wieder an.

„Ja, bei Gott,“ rief Lajos, als er das Gesicht des Soldaten sehen konnte, „Sie sind es, Herr Graf! Ach, ich muß weinen, daß wir uns unter so traurigen Umständen wiedersehen!“

Der Greis trocknete sich die nassen Augen. Der junge Graf schloß ihn gerührt an seine Brust.

„Lajos, ich weiß bereits Alles – ich habe sie erkannt! O, meine Thekla – sie dient als Köchin bei dem Apotheker! Eine Gräfin Andrasy ist Magd! Das ist ein furchtbares Schicksal!“

„Und doch blieb ihr weiter nichts übrig,“ sagte der Fischer. „Unter welcher Maske sollte sie sich anders hier aufhalten? So lange die Russen die Grenze besetzt halten, war an eine Ueberschreitung derselben nicht zu denken. Was sollten wir nun beginnen?“

„Welchen Plan verfolgt Thekla?“ fragte eifrig der Graf. „Kann ich mitwirken?“

„Hören Sie mich an, Herr Graf, und entscheiden Sie, ob ich recht gehandelt habe.“

Lajos lauschte durch die Thür, und als er sich überzeugt, daß der Garten still war, setzte er sich dem Grafen gegenüber an den Tisch.

„Sie wissen, daß ich vor drei Jahren den Dienst der Gräfin verließ,“ begann er, „um das kleine Erbe hier anzutreten, das mir mein Bruder, der ohne Weib und Kind gestorben war, hinterlassen hatte. Mein Sohn ward mein Nachfolger, und blieb bei der Gräfin. Die unglückliche Revolution brach aus, aber ich betheiligte mich nicht daran, weil ich sonst ein krankes Weib hülflos hätte zurücklassen müssen. Nach der Wendung der Dinge sitze ich eines Abends – es mögen nun drei Wochen sein - vor der Thür meines Häuschens und bessere Netze aus. Da sehe ich plötzlich durch die Dämmerung zwei Gestalten heranschleichen. Es war ein Bauer und eine Bäuerin. Vater, ruft der Bauer, Ignaz, rufe ich - mein Sohn lag in meinen Armen, den ich in irgend einem Gefechte gefallen wähnte. und nun denken Sie sich meinen Schrecken, als ich in der Bäuerin unsere junge Gräfin erkenne. Mit Lebensgefahr hatte sie sich mit ihrem Diener durch die russischen Truppen nach Semlin geflüchtet, um die Grenze zu erreichen. Daß sie mein Häuschen aufsuchten und meine Hülfe in Anspruch nahmen, war wohl sehr natürlich. Ich wußte, wie streng die Grenze bewacht wird und deshalb rieth ich der Gräfin, sie möge sich so lange bei mir verborgen halten, bis ich die Flucht über die Grenze vorbereitet haben würde. Ich forschte nun, und fand keinen andern Weg, als den zu Wasser. Die Save fließt eine Viertelstunde unterhalb Semlin in die Donau, und das jenseitige Ufer der Donau gehört zu dem türkischen Gebiete. Wie gesagt, dies war der einzige sichere Weg; aber mein Fischerkahn war zu klein, ich kann wohl mit ihm die Save, aber nicht die Donau befahren, die gerade an jener Stelle sehr reißend ist.“

„Bewacht man denn die Landwege so streng?“ fragte der Graf.

„Wohin man sieht, wimmelt es von Soldaten, kein Haase kann entschlüpfen, und täglich rücken neue Regimenter an die Grenze. Ach, wäre unsere liebe Gräfin nur acht Tage früher gekommen, ich hätte sie leicht retten können. In meinem Häuschen durfte sie nicht bleiben, denn täglich kommen Grenzpatrouillen vorbei, wir haben oft eine wahre Todesangst ausgestanden. Um keinen Argwohn zu erregen, gab ich die junge Gräfin für meine Nichte aus. Nun galt es, eine größern Kahn anzuschaffen. Das war nicht leicht, und erforderte Zeit. Die Gefahr ward immer dringender, als man auf die Habhaftwerdung der Gräfin einen Preis setzte. Plötzlich höre ich, daß sich in der Stadt das Gerücht verbreitet, Thekla Andrasy habe den Weg nach Semlin eingeschlagen. Es ließ sich denken, daß man nun die schärfsten Nachforschungen anstellen würde, zumal, da sich eine Schutzwehr von Bürgern bildete, welche alle Flüchtlinge in der Stadt und Umgegend ergreifen wollte. Mich kennt man, da ich früher oft unvorsichtige Aeußerungen gemacht habe, in meinem Hause war die Gräfin also eben nicht sicher. Aber wohin sollte ich sie nun so lange bringen, bis ich einen passenden Kahn gefunden hatte. Da fügt es der glückliche Zufall, daß der Apotheker eine Magd brauchte. Halt, dachte ich, Herr Czabo ist ein so bekannter Feind der Revolution, daß man bei ihm gewiß keine verdächtige Person suchen wird, und wenn man jeden Winkel der Stadt durchstöbert. Dazu kam noch, daß man ihn zum Commandanten der Schutzwehr ernannte. Ein sichereres Plätzchen für die arme Flüchtige ließ sich nicht finden. Ich gab sie also dem Apotheker unter dem Namen Kathi ist den Dienst. Diesen Nachmittag habe ich unter der Hand einen Kahn erhandelt, der mir passend erscheint; aber mir fehlt noch etwas Geld, um ihn zu bezahlen.“

„O mein Gott, ich bin in diesem Augenblicke so arm, daß ich nicht über einen Gulden verfügen kann!“ sagte schmerzlich der Graf.

„Beunruhigen Sie sich deshalb nicht, Herr Czabo wird mir die dreißig Gulden, deren ich noch bedarf, geben, wenn Kathi kein Geld besitzt. Sie sehen mich auf dem Wege, dieses Geschäft zu ordnen. Morgen früh wird der Kahn mein Eigenthum, und morgen Abend hole ich die Gräfin ab, um sie über die Donau zu setzen.“

„Und ich begleite meine Braut,“ rief der Graf.

„Mein Kahn bietet Platz genug. Dieses Gartenhaus ist Ihr Quartier?“

„Ja. Glücklicher Weise hat es mir die Eifersucht des alten Apothekers angewiesen.“

„Ich dachte es mir!“ sagte lächelnd der Fischer. Also halten Sie sich morgen Abend bereit - alle Umstände vereinigen sich, um uns zu einem glücklichen Ziele zu führen. Weiß unsere Gräfin, daß Sie hier sind?“

„Ich glaube, daß sie mich erkannt hat.“

„Haben Sie einen Auftrag – ich gehe zu ihr.“

„Tausend Grüße, Lajos. Und dann flüstere ihr zu, daß ich mit ihr entfliehe!“

Beide Männer traten wieder ist den Garten. Während der Korporal seinen Spaziergang wieder antrat, ging Lajos nach dem Hause des Apothekers. Die Thür war verschlossen. Der Fischer klopfte.

„Wer ist da?“ brummte Niklas im Innern.

„Oeffnen Sie, Herr Niklas!“

„Ich kann nicht, Herr Czabo ist ausgegangen und hat den Schlüssel mit sich genommen. Für diesen Abend sind Sie eingesperrt, Herr Korporal!“

„Er hält mich für den Soldaten,“ dachte Lajos lächelnd.

Der alte Fischer überlegte, was nun zu thun sei. Da flüsterte Niklas durch das Schlüsselloch:

„Herr Korporal!“

„Was giebt’s! flüsterte Lajos zurück.

„Oeffnen kann ich nicht, aber ich will Ihnen einen guten Rath geben.“

„Nun?“

„Nebenan ist Kathi’s Kammerfenster, klopfen Sie an, und die hübsche Köchin wird nicht lange auf sich warten lassen.“

„Ich danke, Herr Niklas!“

„Aber verraten Sie mich nicht.“

„Auf mein Ehrenwort!“

„Herr Czabo hat der Kathi diesen Nachmittag vierzig Gulden geschenkt," wisperte er durch das Schlüsselloch.

„Gut, ich werde diese Anweisung benützen.“

„Ein Soldat braucht immer Geld – der reiche Apotheker kann morgen mehr schenken.“

„Sie haben Recht, Herr Niklas.“

„Gute Geschäfte!“

(Schluß folgt.)
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 674. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_674.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)