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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855)

der Wohlfahrtsausschuß eine Aufforderung an alle Bürger, binnen zwei Decaden mit Hintansetzung jedes Privatvortheils, Mittel und Wege zur Erzeugung von Soda ausfindig zu machen und die Vorschläge an eine dazu niedergesetzte Commission abzugeben. Dieses für die fernere Geschichte der Industrie so einflußreiche Aktenstück begann mit den Worten:

„In Erwägung der Pflichten der Republik, welche ihr gebieten, die Kraft der Freiheit mit ihrem ganzen Nachdrucke auf alle diejenigen Gegenstände hinzulenken, welche die Grundlage der unentbehrlichsten Gewerbszweige sind; Pflichten, die ihr ferner gebieten, die Fesseln der Handelsabhängigkeit abzustreifen und aus ihrem eigenen Schooß Alles, was die Natur darin niedergelegt hat, an’s Licht zu ziehen; eben so um die gehässigen Zwangsmittel der Despotie zu entkräften, als um die Gaben des Boden und der Gewerbthätigkeit in Anspruch zu nehmen; in Erwägung Dieses ist beschlossen und sind alle Bürger gehalten etc.“ –

Die Commission erkannte das Verfahren von Leblanc[WS 1] als das Zweckmäßigste, und in der That ist dasselbe bis heute kaum verbessert worden. Den großen Preis aber, den Napoleon für diese Entdeckung ausgesetzt hatte, erhielt Leblanc nicht; die Bourbonen erkannten bei ihrer Rückkehr die Schuld nicht an, sie ward vergessen und verjährte; statt dessen entstanden allerwärts Sodafabriken nach Leblanc’s Verfahren als Denkmäler seiner uneigennützigen Thätigkeit, und die Nachwelt wird ihn stets als großen Wohlthäter der Menschheit verehren.

Doch kehren wir zurück in unsere Fabrik!

Wir bemerkten bereits, wie aus dem Einsatze des ersten Ofens, bestehend aus Kochsalz und Schwefelsäure, Dämpfe von Salzsäure entwichen. Dieselben finden nun aber nicht so ohne Weiteres einen Ausweg; man zwingt sie vielmehr, eine Reihe mit Wasser gefüllter Gefäße aus Steinzeug zu passiren, wo der größte Theil derselben von diesem Wasser absorbirt wird und dann wenn dasselbe damit gesättigt ist, die rohe Salzsäure darstellt, die im Gewerbewesen so mannigfache Anwendung findet. Dennoch aber ist die Nachfrage selten so groß, um die bei ununterbrochenem Betriebe einer größeren Sodafabrik erzeugte Salzsäure als solche zu verwerthen, und man verwendet daher diesen Ueberschuß zur Darstellung des Chlor- oder Bleichkalkes. Die Salzsäure, eine Verbindung der Elemente Chlor und Wasserstoff, wird zu diesem Zwecke der Einwirkung des Braunsteins ausgesetzt, eines Ueberoxyds des Metalles Mangan, das sich in manchen Gebirgen, wie z. B. im Harz, im Vogelsgebirge in Hessen und an anderen Orten in großer Menge vorfindet. Die hier nun stattfindende Zersetzung ist der Art, daß der Sauerstoff des Braunsteins sich mit dem Wasserstoff der Salzsäure zu Wasser verbindet und das Mangan mit 1/3 des freigewordenen Chlors zu Manganchlorür zusammentritt, während die anderen 2/3 des Chlores frei werden und als Gas entweichen. Man leitet dasselbe nun in große, geschlossene Kammern von 30–40 Fuß Länge, in denen auf Horden trocken gelöschter Kalk in dünnen Schichten ausgebreitet ist, welcher das Chlor begierig aufsaugt und damit den Chlor- oder Bleichkalk darstellt. Dieser Chlorkalk ist das Mittel geworden, durch welches das Bleichen der leinenen und baumwollenen Stoffe in erstaunlich kurzer Zeit ermöglicht wird, ohne dieselben mehr anzugreifen als dies durch die früher allgemeine Rasenbleiche der Fall ist; so bleicht ein einziges Etablissement in der Nähe von Glasgow täglich 1400 Stück Baumwollenzeug Sommer und Winter hindurch.

Mit welcher Zeit- und Kostenersparniß würden unsere Hausfrauen ihrer Wäsche ein blendendes Weiß ertheilen, wollten sie den gleichen Weg einschlagen und der althergebrachten Rasenbleiche entsagen! Sie, meine Damen, wie Ihre Wäsche, könnten nur dabei gewinnen, wobei allerdings zu bemerken ist, daß diese Operation in größeren Etablissements unter Leitung einer kundigen Person geschehen müßte.

Wir kommen nun zu dem letzten Theile unserer Fabrik, zu dem der Scheidewasserbrennerei gewidmeten Räumen. Das Verfahren hierbei ist ein einfaches und leicht verständliches. Wir finden in sogenannten Galeerenöfen eine doppelte Reihe gläserner Retorten, die zur gleichmäßigeren Erhitzung jede in eine mit Sand ausgestreute, gußeiserne Schale (Capelle genannt) eingesetzt sind. In diese Retorten bringt man salpetersaures Natron mit der nöthigen Menge Schwefelsäure, welche Letztere beim Erhitzen die Salpetersäure verdrängt und diese in die gläsernen Vorlagen überdestilliren macht. Die Erfahrung hat hierbei gelehrt, daß diese Zersetzung nur dann vollständig vor sich geht, wenn auf ein Atom Natron zwei Atome Schwefelsäure vorhanden sind, so daß im Rückstande in der Retorte nicht einfach schwefelsaures, sondern doppeltschwefelsaures Natron bleibt, welches Salz leicht in Glaubersalz zu verwandeln und dann bei der Sodafabrikation wieder zu verwenden ist. Die abdestillirte Salpetersäure kommt nun in den Handel, wo man dem wirklichen Gehalt an Säure entsprechend einen Unterschied zwischen einfachem und doppeltem Scheidewasser macht; oder man reinigt sie durch nochmalige Destillation von etwaigen Beimischungen von etwas Schwefel- oder Salzsäure. Es dient die Salpetersäure verschiedenen Gewerbszwecken, wie zur Scheidung des Silbers und Goldes, zum Aetzen der Kupferstiche u. s. w.

Wir sind nun am Ende unserer Wanderung, und indem wir nochmals rückwärts schauen, sagen wir uns, daß diese Werkstätte der Chemie nur ein Bild der allwaltenden Natur ist: hier wie dort Zerstörung zu neuer Wiedergeburt! Nirgends ein Verlust, sondern für jedes Atom eine neue Benutzung.



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Das Schillerfest in Leipzig

am 11. November 1855.

Es war am Abend des gedachten Tages, als ein langer, hagerer Mann, mit einer Physiognomie, die Dannecker’s classischer Schillerbüste bis in’s kleinste Detail abgelauscht schien, durch den Vorhang einer kleinen Bühne hinaus in eine Versammlung sah, die bereits Stunden lang den Augenblick ersehnte, der die „lebenden Bilder“ enthüllen sollte, die den Hauptakt dieses festlichen Abends repräsentirten. Die lange, hagere Erscheinung gehörte einem der Darsteller Schiller’s, und der glänzende Saal, wo eine Zuschauermenge von nahe an vierzehnhundert Köpfen harrte, war der, einer unserer elegantesten Gasthäuser, das Hotel de Pologne.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 681. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_681.jpg&oldid=- (Version vom 6.8.2023)