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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855)

„Meine Dose!“

Niklas ging mit einem Riesenschritte in die Apotheke.

Die Absicht Herrn Czabo’s war erreicht, er befand sich mit Kathi allein.

„Adieu," sagte er freundlich, und indem er ihr die Wange streichelte; „öffne heute das Fenster nicht wieder, die Abendluft ist sehr kalt. Wenn Vetter Lajos kommt, mag er auf mich warten – ich habe mit ihm zu sprechen. Hörst Du, ich habe mit ihm zu sprechen."

„Ich werde Alles pünktlich besorgen, Herr!“ sagte Kathi. Dann entschlüpfte sie in die Küche, um ihre Bewegung zu verbergen.

„Ein reizendes, liebes Mädchen!“ flüsterte der Apotheker vor sich hin. „Sie muß sich prächtig ausnehmen, wenn sie erst seidene Kleider und einen Hut trägt. Ich will –“

„Hier ist die Dose!“ brüllte Niklas, indem er seinen langen Arm ausstreckte, und dem Prinzipal das Verlangte entgegenhielt.

„Hier sind Ihre Handschuhe, lieber Vater!" sagte Netti, die in diesem Augenblicke erschien.

Der Commandant warf noch einen Blick nach der Küche, dann schritt er majestätisch der Hausthür zu.

„Herr Czabo!“ rief Niklas im tiefsten Basse.

„Was giebt es noch?“

„Warten Sie noch einen Augenblick!“

„Warum?“

„Sie haben ja den Säbel auf der rechten Seite!“

„Verwünscht!“ murmelte Herr Czabo.

Mit Hülfe des langen Niklas ward das Versehen ausgeglichen, und der Commandant schritt stolz durch die belebten Straßen.

Niklas stand in der Thür und sah ihm nach.

„Ich wollte, ich hätte ihn nicht darauf aufmerksam gemacht!“ murmelte er. „Anstatt daß die Leute ihn grüßen, würden sie über ihn lachen!“

Aergerlich ging er in seine Apotheke.



VIII.
Die Flucht.

Die Dämmerung war angebrochen. Thekla war so erschüttert von den Ereignissen dieses verhängnisvollen Tages, daß sie sich einige Augenblicke der Ruhe überlassen mußte; sie setzte sich aus das Bett in ihrer Kammer neben der Küche und ließ das glühende Köpfchen in das weiße Kissen herabsinken.

„Janos, Graf Esthi, dient als Korporal!“ flüsterte sie. „Hätten ihn meine Augen nicht gesehen, ich würde es für ein Spiel meiner aufgeregten Phantasie halten! Welch’ ein Schicksal! Der gräfliche Bräutigam ist ein Korporal, und die gräfliche Braut ist die Köchin eines Apothekers in Semlin. Wahrhaftig, man könnte darüber lachen, wenn die Sache nicht zu ernst wäre, denn es handelt sich um Freiheit, vielleicht auch – um das Leben!“

Thekla hielt beide Hände vor das Gesicht, sie wollte den Thränenstrom ersticken, der aus ihren Augen rann. Ein Knistern, als ob Jemand leise durch die Küche schlich, ließ sich vernehme. Thekla fuhr empor, rasch ihre Thränen trocknend. Dann ergriff sie das Licht und trat unter lautem Herzklopfen in die Küche hinaus. Der Schein des Lichtes fiel auf die weiße Uniform des Korporals.

„Thekla!“ rief mit unterdrückter Stimme der junge Mann.

„Janos!“ schluchzte das Mädchen.

Beide stürzten sich einander in die Arme und feierten durch einen innigen Kuß, in den sich das Salz der Thränen mischte, das schmerzliche, verhängnißvolle Wiedersehen.

Der Graf gewann seine Fassung zuerst wieder, er wußte ja, welche Gefahr seiner geliebten Thekla drohete.

„Still!“ flüsterte er. „Nimm dies Papier, es wird Dir Alles sagen.“

Er drückte dem zitternden Mädchen ein Briefchen in die Hand, dann verließ er eben so leise und vorsichtig das Haus, wie er es betreten hatte.

Die junge Gräfin zog sich in die Kammer zurück. Nachdem sie sich noch einmal überzeugt, daß der Laden des Fensters verschlossen sei, öffnete sie das Papier und las:

„Jede Stunde mehrt die Gefahr. Man weiß, daß Du und mehrere unserer Leidensgefährten sich in der Stadt verborgen halten. Ich habe mit Lajos den Plan zur Flucht berathen, die diesen Abend noch ausgeführt werden muß. Am Ufer der Save, dort, wo im Garten des Apothekers die kleine Baumgruppe steht, liegt ein Kahn zu unserer Aufnahme bereit. Wir fahren in der Finsterniß die Save hinab, um die Donau und das jenseitige Ufer zu gewinnen. Empfängt uns das rettende Ufer nicht, so mag der Strom unser Brautbett werden. Sei vorsichtig und meines Winks gewärtig.“

Noch einmal durchflog sie die Zeilen, welche die Hand des geliebten Mannes geschrieben, dann drückte sie das Blatt an ihre Lippen und flüsterte, den Blick gen Himmel gerichtet:

„Entweder die Freiheit mit Dir, Janos, oder an Deiner Seite den Tod in den Wellen“.

Als ob mit diesem heroischen Entschlusse das Gemüth der unglücklichen Gräfin völlig beruhigt sei, unterzog sie sich ohne Zögern der Hausarbeit, welche die Zeit des Tages mit sich brachte. Sie ging zunächst auf die Straße und schloß die Laden des Erdgeschosses, die von Außen an den Fenstern angebracht waren. Ein ungewöhnlich reges Treiben herrscht in der sonst um diese Zeit so stillen Gasse. Soldaten und Bürger gingen hin und wieder. Vor den Thüren standen Gruppen von Männern und Frauen, die sich lebhaft, ungeachtet des kühlen Herbstabends, unterhielten. Thekla kümmerte es nicht, die Nähe des Geliebten hatte ihr Herz mit Muth und Vertrauen erfüllt, sie ging ruhig in das Haus zurück. In dem Wohnzimmer traf sie Netti

„Kathi,“ sagte das junge Mädchen, „hast Du für unsern Gast das Abendessen besorgt?“

„Nein.“ antwortete die Magd, „ich dachte, es sei noch zu früh.“

„So besorge es; der Vater sagte mir, es sei möglich, daß das Regiment sich versammeln müsse, da diesen Abend oder diese Nacht eine allgemeine Haussuchung vorgenommen werden solle, man vermuthe die Anwesenheit wichtiger politischer Flüchtlinge.“

„Soll geschehen!“ antwortete Kathi und verließ das Zimmer.

Thekla’s Herz begann wieder zu klopfen, so nahe hatte sie die Gefahr nicht geglaubt. Unschlüssig, ob sie in das Gartenhaus gehen und diese Nachricht dem Grafen mittheilen sollte oder nicht, stand sie einen Augenblick auf der Hausflur. Da trat der Advokat Ferenz eilig von der Straße ein.

„Man scheint Sie verrathen zu haben,“ flüsterte er eifrig; „ich komme vom Marktplatze, wo sich das Gerücht verbreitet hat, daß Sie sich in diesem Stadttheile verborgen halten. Um keinen zu beleidigen, sollen sämmtliche Häuser durchsucht werden. Alle Ausgänge der Stadt sind bereits besetzt. Wechseln Sie schnell die Kleidung, da man auf die Frauen ein besonderes Augenmerk richten wird. Meine Garderobe steht zu Ihrer Verfügung. Eilen Sie auf mein Zimmer, ich werde Netti unterhalten. Verlieren Sie keine Zeit, man theilt schon die Patrouillen ab.“

Der Advokat gab der bestürzten Gräfin den Schlüssel zu seinem Zimmer.

„Und dann?“ fragte sie kaum hörbar.

„Bleiben Sie oben, bis ich zu Ihnen komme.“

Ferenz ging in das Zimmer zu Netti. Mit dem Vorsatze, sobald sie die Kleider gewechselt, in das Gartenhaus zu eilen, flog Thekla die Treppen hinan, und betrat das Zimmer des jungen Advokaten. Da ihr die Einrichtung desselben bekannt war, zündete sie ein Licht an, das auf einem Seitentischchen stand. Nach einer Minute hatte sie auch den Schrank, der die Kleider aufbewahrte, geöffnet. Dann verschloß sie die Thür.

Während dieser Zeit erschien der Korporal auf der Hausflur. Vorsichtig schlich er zur Küche. Ein Lämpchen brannte auf dem Herde – die Köchin war nicht zu erblicken. Der junge Mann sah in die Kammer – auch diese war leer.

„Mein Gott,“ flüsterte er, „was bedeutet das? Wir dürfen nicht länger zögern – wo mag sie sein? Kathi,“ rief er leise, „Kathi!“

Alles blieb still.

Janos trat auf die Hausflur zurück und lauschte – Nichts regte sich. Plötzlich hörte er sprechen in dem Wohnzimmer. Ohne sich zu besinnen, klopfte er an die Thür, öffnete und trat ein. Er traf nur den Advokaten und seine Braut an.

„Auch hier nicht!“ dachte er, und seine Besorgniß vermehrte sich.

Ferenz erschrak, als er den mit einem Säbel bewaffneten Korporal erblickte, denn er hatte die Einquartirung des Herrn Czabo noch nicht gesehen.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 692. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_692.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)