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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855)

„Was wollen Sie?“ fragte er, seine Fassung zusammennehmend.

Janos hatte bald einen Vorwand gefunden.

„Verzeihung,“ antwortete er im Tone des Soldaten, „wenn ich störe. Ich suche überall die Köchin und kann sie nirgends finden.“

„Was wollen Sie von unserer Köchin?“ fragte rasch der Advokat, und sein Gesicht verrieth den Eindruck, den die Worte des Soldaten hervorgebracht.

Dem Korporal entging die Bewegung des Fragenden nicht, er sah ihn einen Augenblick prüfend an. Indem er seine Befürchtung unterdrückte, sagte er mit einem erzwungenen Lächeln:

„An wen soll sich anders ein Soldat, der bei einem Bürger im Quartier liegt, wenden, als an die Köchin, wenn er Hunger hat?“

„Ah, Sie liegen hier im Quartier - das wußte ich nicht!“ rief Ferenz, aufathmend.

„Schon vor einiger Zeit,“ sagte Netti, „habe ich ihr Auftrag ertheilt, unserm Gaste das Abendessen zu bereiten, ich begreife nicht, warum es nicht schon geschehen ist?“

„Verzeihung, Netti, ich habe vergessen, daß ich die Magd zu einem meiner Collegen geschickt, um mir ein Actenstück holen zu lassen, das ich diesen Abend zu meiner Arbeit gebrauche.“

„In diesem Falle werde ich selbst die Vorbereitung treffen!“ sagte das junge Mädchen, und verließ das Zimmer.

„Sie sind Korporal in kaiserlichen Diensten?“ fragte Ferenz, der durch ein gleichgültiges Gespräch den Soldaten auszuforschen suchen wollte.

„Wie Sie sehen!“ antwortete der Graf, der wie auf Kohlen stand.

„Ein schöner, aber ein gefährlicher Beruf!“

„Ich leugne es nicht, aber die Gefahr macht ihn zu dem, was er ist. Nur im Kriege lebt der Soldat, im Frieden ist er eine todte Puppe. Jetzt habe ich Ihnen gesagt, was ich bat, darf ich nun auch wissen –?“

„Wer ich bin? Ich bin Advokat und heiße Ferenz.“

Der Soldat schien von dieser Antwort überrascht zu sein, er sah mit großen Augen den Advokaten an.

„Ferenz ist Ihr Name?“ fragte er endlich.

„Ja! Wundert Sie das?“

„Stehen Sie mit Pesth in Correspondenz?“

„Ja.“

„Und, wer ist Ihr Correspondent, wenn ich fragen darf?“

„Der Graf Janos Esthi, dessen Gut, das ich verwaltet habe, eine Stunde von Semlin entfernt liegt.“

„Und Sie verwalten es aus dem Grunde nicht mehr,“ fuhr sardonisch lächelnd der Korporal fort, „weil man es confiscirt hat, um den jungen Grafen für die Dienste zu strafen, die er der Revolution geleistet hat?“

„Ganz recht.“

„Ihr letzter Brief, den Sie ihm nach Komorn sandten, enthielt eine Beileidsbezeigung für den Grafen und die Anforderung, sich nach Semlin zu wenden, im Falle er gezwungen wäre, flüchtig zu werden; den Brief brachte ein Expresser.“

„Mein Gott,“ fragte der erstaunte Advokat, „woher wissen Sie das Alles?“

„Weil der Graf mein Freund war.“

„So können Sie mir auch wohl sagen, warum der Graf meiner Aufforderung nicht nachkam, da er doch meinem Eifer, ihm zu dienen, kannte?“

„Er lernte aus Ihrem Briefe zwar nicht Ihre Person kennen, mein Herr, aber Ihren ehrenwerthen Charakter – und wenn er sich nicht an Sie wendete, als der Kampf zu Ende war, so geschah es deshalb, weil man ihn zwang, die Uniform eines Korporals vom zwanzigsten Infanterieregimente zu tragen.“

„Diese Sprache, dieser Anstand –!“

„Gehört dem Korporal Janos Grafen Esthi!“

„Welch’ ein fürchterliches Geschick führt Sie in unsere Stadt! Herr Graf, die Uebertragung der Verwaltung Ihres bedeutenden Gutes gab meiner Subsistenz den ersten Stützpunkt –“

„Sie wurden mir durch den jetzt verstorbenen Dr. S. als einen zuverlässigen, tüchtigen Sachwalter empfohlen.“

„Ich mußte mich dankbar bezeigen – erinnern Sie sich des Schlußsatzes meines Briefes?“

Der Soldat zog ein Taschenbuch aus der Brusttasche seiner Uniform, und holte einen erbrochenen Brief daraus hervor, den er entfaltete.

„Ja, das ist mein Brief!“ rief freudig der Advokat.

„Sie sprechen darin von einer Eröffnung, die Sie nur mündlich mir zu machen vermöchten,“ sagte der Graf, die Augen auf das Papier geheftet, „ich bin bereit, sie zu hören, doch fassen Sie sich kurz, meine Zeit ist gemessen.“

„Ich habe Ihnen ein Kapital von hunderttausend Gulden gerettet, das zur Empfangnahme bereit liegt.“

„Herr Ferenz,“ rief Janos, „was sagen Sie?“

„Die Wahrheit. Ich ahnte nach der unglücklichen Schlacht den Verlauf der Dinge, und da sich mir eine günstige Gelegenheit bot, veräußerte ich vor der Confiscation des Gutes die Aecker und Wiesen jenseits der Save, so wie alles Mobiliar, was zu demselben gehörte. Der gerichtlich bestätigte Kauf, den ich als unbeschränkter Bevollmächtigter vollzogen, gestattet keinen Widerruf – Herr Graf, nehmen Sie Ihr gerettetes Vermögen in Empfang.“

Schweigend umarmten sich die beiden Männer.

„Freund,“ rief bewegt der Graf, „Sie haben mir einen Dienst erwiesen, der mich unendlich glücklich macht, einen Dienst, den ich Ihnen nie vergelten kann! Als ersten Dank, zolle ich Ihnen mein unbedingtes Vertrauen. Man verfolgt die Gräfin Andrasy, meine Braut.“

„Thekla, Ihre Braut? Herr Graf, noch ist sie geborgen.“

„Wie, Sie kennen ihren Aufenthalt?“

„Noch mehr, in diesem Augenblicke trifft sie die erste Vorbereitung zu ihrer Rettung, darum ist sie abwesend.“

„Ich suchte sie in der Küche.“

„Sie ist auf meinem Zimmer, um meine Kleider anzulegen.“

„Sie unterstützen meinen Plan – am Ufer der Save im Garten liegt ein Kahn –“

Die taktmäßigen Schritte einer Patrouille ließen sich in der Straße vernehmen.

„Großer Gott!“ rief Ferenz. „Gehen Sie an das Ufer, ich folge im Augenblicke mit der Gräfin!“

„Edler Mann, der Himmel lohne Ihnen!“

Der Soldat verließ eilig das Zimmer und stürzte in den Garten hinaus. Als Ferenz auf die Hausflur trat, hörte er, daß die Patrouille im Nachbarhause Nachsuchung hielt. Wie ein Pfeil flog er die Treppe hinan und klopfte leise an die Thür seines Zimmers.

„Ich bist es, Ferenz!“ flüsterte er dabei.

Die Thür ward von Innen geöffnet, und die Gräfin, als Mann gekleidet, erschien an der Schwelle. Das schöne Haar hatte sie unter einer Mütze verborgen, welche Ferenz auf seinen Reisen zu tragen pflegte. Vorsichtig schloß er die Thür wieder. Thekla stand in der Mitte des Zimmers.

„Nehmen Sie meinen Mantel,“ flüsterte er, „er hängt im Nebenzimmer dort, Sie werden seiner bedürfen.“

Die Gräfin eilte in das bezeichnete Zimmer, die Hast des Abvokaten ließ sie die größte Gefahr ahnen, Ferenz erschloß rasch einen Secretär, und holte einen großen, schweren Geldbeutel daraus hervor.

„Wo ist der Korporal, der das Gartenhaus bewohnt?“ fragte die zurückkehrende Gräfin.

„Er erwartet Sie am Ufer der Save.“

„Sie haben ihn gesprochen, und wissen, wer er ist?“

„Er ist der Besitzer dieser Summe, die ich ihm gerettet habe. Fort, fort, man sucht schon im Nachbarhause!“

Der Advokat löschte das Licht aus, dann ergriff er den Arm der Gräfin und zog sie mit sich fort. Vorsichtig verschloß er das Zimmer wieder, da er die Kleider der Köchin darin wußte. Auf der Hausflur trat ihnen Netti entgegen. Erschreckt blickte sie den jungen Mann im Mantel an.

„Netti,“ flüsterte Ferenz flüchtig, „in zehn Minuten bin ich bei Ihnen, um Ihnen Alles zu erklären, gehen Sie in das Wohnzimmer, es ist möglich, daß Sie Besuch erhalten.“

Das junge Mädchen starrte den beiden Personen nach, die hastig aus dem Hause in den Garten eilten. Am Ufer trafen sie den Soldaten und den Fischer.

„Herr Graf“ sagte leise der Advokat, „hier ist Ihre Braut, und hier der Rest Ihres Vermögens, so viel ich davon in Golde vorräthig habe. Die Hälfte davon besitze ich in Papieren, die in der Türkei ohne Werth sind; ich werde sie jedoch in klingende

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 693. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_693.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)