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verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

läßt! Und wie nichtig sind diese Vorurtheile! Aber kann ich sie durch Gewalt bekämpfen? Nicht der Unterredung wegen, des Vorurtheils wegen darf ich von diesem Balle nicht ausgeschlossen bleiben. Welche Rolle würde ich nach demselben in dieser Gesellschaft spielen, die mich nur zu dulden scheint? Ich würde darüber lachen, wenn ihr Henriette nicht angehörte, würde ihr den Rücken wenden, wenn sie den Magnet nicht in ihrer Mitte hätte, der mich allmächtig anzieht, daß ich fast keinen Willen mehr habe. Man hat mir den Handschuh hingeworfen – wohlan, ich hebe ihn auf! Serenissimus wird morgen gezwungen sein, mir eine Einladung zu seinem Balle zu senden!“

Er warf sich auf den Stuhl vor dem Schreibtische, ergriff das Blatt, das ihm Madame Bühl angedeutet hatte, und wollte schreiben. Er bebte zurück, als ob er es nicht über sich gewinnen könne, seinen Namen in die Spalten zu schreiben. Starr sah er das Blatt Papier einige Augenblicke an, dann raffte er sich zusammen und schrieb mit fester Hand: „Baron Ludwig von Nienstedt, Particulier.“

Als ob er fürchtete, in seinem Entschlusse wieder schwankend zu werden, zog er rasch die Glocke. Einen Augenblick später trat Madame Bühl ein.

„Das Zeichen galt meinem Diener, Madame!“ sagte der Baron, den das Erscheinen der freundlichen Wirthin bestürzt gemacht hatte.

Er suchte und es gelang ihm, seine Bewegung zu verbergen.

„Ihr Bob, mein Herr, ist nicht zu Hause. Ich wußte es, und habe mich beeilt – –“

„Ah, ganz recht, Bob reitet mein Pferd aus – ich hatte es vergessen.“

„Was steht dem Herrn zu Diensten?“ fragte freundlich die Frau des Polizeicommissars.

„Bob sollte Ihnen dieses Blatt überbringen.“

„Die Fremdenliste?“

„Ja!“

„Vortrefflich! Nun sind alle Unannehmlichkeiten beseitigt.“

„Was für Unannehmlichkeiten?“

„Ich halte die Neugierde dafür, mit der man sich nach meinem reichen Kurgaste erkundigt. So eben machte mein Mann die Einleitung dazu. Ihr Klingelziehen überhob mich der Mühe, eine ausweichende Antwort zu ersinnen.“

„Und ich habe einen andern Plan ersonnen, Madame!“ sagte der junge Baron mit einem erzwungenen Lächeln. „Dieser neue Plan erfordert mein Incognito nicht, und ich gebe es um so lieber auf, da ich Ihnen die Unannehmlichkeit erspare, ausweichende Antworten auf die Fragen zu geben, welche die Neugierde an Sie richtet. Tragen Sie Sorge, daß man morgen meinen Namen und Stand in der Brunnenliste lies’t.“

Madame Bühl warf einen Blick auf das Blatt.

„Herr Baron,“ sagte sie dann mit einer tiefen Verneigung und einem bedeutungsvollen Lächeln, „die Einladung zu dem fürstlichen Balle wird noch zu rechter Zeit kommen, dafür stehe ich!“

Die kleine Frau verließ das Zimmer. In demselben Augenblicke ließen sich die Hufschläge eines Pferdes vor dem Hause vernehmen. Der Baron trat zum Fenster und rief einem Mulatten zu, der so eben ein stattliches Pferd in den Hof führen wollte:

„Bob, ich werde einen Spazierritt machen!“

Dann ergriff er Hut, Handschuhe und eine zierliche Reitpeitsche, und eilte die Treppe hinab. Zwei Minuten später sah man den schönen jungen Mann im kurzen Galopp die Chaussee hinabreiten, die sich neben der Hauptallee des Bades hinzieht.

Bob, ein Mann von vielleicht vierzig Jahren, sah seinem Herrn nach. Das braune, glänzende Gesicht des Mulatten verzog sich zu einem wohlgefälligen Lächeln, daß seine schneeweißen, regelmäßigen Zähne durch die dunkeln Lippen schimmerten. Er nahm seinen betreßten Hut ab, trocknete sich die hohe Stirn mit einem Taschentuche von gelber Seide, und trat in das Haus, als sein Herr hinter den Bäumen verschwunden war.

Madame Bühl saß mit ihrem Gatten, dem Polizeicommissar, beim Frühstücke.

„Und wer hat nun Recht gehabt?“ fragte sie lächelnd, indem sie sein Glas mit Wein füllte, „Unser Gast ist ein Baron von Nienstedt!“ fügte sie stolz hinzu. „Deine Polizeinase wittert stets Dinge, die sich mit dem gesunden Menschenverstande nicht vertragen.“

Herr Bühl war ein guter, schlichter Mann, der wohl in dem Badeorte, aber nicht in einer größern Stadt das Amt eines Polizeicommissars bekleiden konnte. Nachdem er seinen Wein behaglich geschlürft, sagte er lächelnd:

„Glaubst Du, meine liebe Marianne, daß ich von Amts wegen so viel geforscht habe? Ich müßte wenig Erfahrung besitzen, hätte ich nicht auf den ersten Blick gemerkt, daß ich es mit einem Manne von Stande zu thun habe. Seinem Incognito lag ohne Zweifel ein Liebesabenteuer zum Grunde.“

„Nun, und weshalb hast Du denn geforscht? Warum sollte ich unsern Gast erinnern, die Liste auszufüllen?“

„Wirst Du schweigen, Marianne?“ fragte Herr Bühl mit einem gutmüthigen Lächeln.

„Theodor, spiele nicht den Polizeimann gegen Deine Frau!“ sagte Madame verletzt. „Hege Argwohn gegen alle Welt, nur gegen mich nicht!“

Herr Bühl stand auf und drückte seiner schmollenden Gattin einen Kuß auf die Stirn. Er fühlte seine Ehre als kluger Beamter gekränkt, und diese mußte er retten.

„Es ist zwar oft der Fall,“ sagte er, „daß die gefährlichsten Aventuriers am Glänzendsten auftreten, und darum lasse ich mich nicht von der Außenseite verblenden; aber unser Gast hat ein Gesicht und ein Benehmen, das jeden Argwohn verbannt. Wenn ich nach seinem Namen und Stande forschte, so geschah es nur, weil man mich privatim dazu beauftragt hatte.“

Die Neugierde Madame Bühl’s war zwar im hohen Grade angeregt, aber sie fragte dennoch mit erkünstelter Gleichgültigkeit:

„So? Und wer hat Dir denn diesen Privatauftrag gegeben?“

„Ein Herr von Heiligenstein, der dieses Jahr zum vierten Male hier ist.“

„Derselbe Heiligenstein, der vor zwei Jahren sein Vermögen am Spieltische verlor?“

„Ja, mein Kind!“

„So kannst Du es ihm sagen: unser Gast ist der Baron Ludwig von Nienstedt, ein reicher, und dabei generöser junger Mann. Hier nimm den Zettel und trage Sorge, daß der Baron morgen früh in der Brunnenliste steht. Vergiß es nicht, damit die Einladung zum fürstlichen Balle morgen Mittag eintreffen kann.“

Herr Bühl küßte seine Frau, dann ging er nach dem Polizeibureau. Madame Bühl rief Bob in das Wohnzimmer und tractirte ihn mit einem guten Frühstücke.


II.

Am folgenden Morgen stand der Name des Barons Ludwig von Nienstedt in der Brunnenliste. Gegen Mittag kam der junge Mann von einem langen Spazierritte zurück. Kaum hatte er sein Zimmer betreten, als Madame Bühl erschien. Sie überreichte ihrem Gaste unter einer tiefen Verneigung einen Brief. Als Ludwig das Couvert öffnete, fand er eine Einladungskarte zu dem fürstlichen Balle. Der Hofmarschall begleitete sie mit einigen freundlichen Zeilen.

„Habe ich Recht?“ fragte stolz die kleine Frau.

„Sie sind eine Prophetin, Madame!“

„Es gehört dazu keine große Prophetengabe, Herr Baron. Wer den Mechanismus kennt, kann die Wirkung desselben vorhersagen. Ich wünsche, daß Sie sich auf dem Balle gefallen mögen!“

Der Baron traf seine Vorkehrungen. Um sieben Uhr Abends erschien Bob, um seinem Herrn bei der Toilette behülflich zu sein. Der Mulatte war ein gewandter Kammerdiener, er war Friseur, Barbier und Garderobier in einer Person. Ludwig ging wie ein Adonis unter seinen kunstgewandten Händen hervor. Er trug das eleganteste pariser Ballkostüm, an der Brust glänzte eine prachtvolle Diamantnadel, an den aristokratischen Händen geschmackvolle Ringe, und selbst die kleinen Schnallen auf den leichten Tanzschuhen hatten flimmernde Steine.

Es war dämmerig, als der Baron, in einen leichten Mantel gehüllt, das Haus verließ. Bob, in großer Livree, folgte ihm. Madame Bühl sah ihm lächelnd nach.

„Er ist so schön,“ dachte sie, „daß er Aufsehen erregen muß. Der kleine Roman, von dem er sprach, kann nur einen befriedigten Schluß haben, es sei denn, daß die Heldin ein Herz von Stein oder keinen Geschmack besitzt.“

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verschiedene: Die Gartenlaube (1856). Ernst Keil, Leipzig 1856, Seite 3. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1856)_003.jpg&oldid=- (Version vom 20.2.2021)