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verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

Wände lehnen sich Halbsäulen von geringerm Umfang, an der Rückwand erhebt sich ein erhöhter Platz mit sechs Säulen, die einst das ihn schirmende Dach trugen. Kurz, wir sind in dem Raume, wo öffentlich und vor allem Volk Gericht gehalten wurde im Alterthume, in der sogenannten Basilika. Auf dem erhöhten Sitze saß der Richter, vor ihm standen Kläger und Verklagter, in den geräumigen drei Schiffen, geschützt vor der Sonnenglut des Sommers, wie vor den Regengüssen des Winters, die Menge des Volkes, vor deren Augen und Ohren die Rechtspflege geübt ward, öffentlich und mündlich. Aber jetzt ist das Dach eingestürzt, das Marmorpflaster des Fußbodens zerbrochen, von den Säulen stehen nur noch Stümpfe gleich den Knorren gefällter Eichen; tiefe Stille liegt über dem öden Raume, und nur Inschriften flüchtig eingeritzt in die mit farbigem Stuck überzogenen Wände sprechen in todter Sprache verständlich zu dem kundigen Beschauer.

Treten wir durch die offene Vorderseite heraus, so bietet sich unsern Blicken ein prächtiges Schauspiel dar: denn vor uns liegt ein weiter, regelmäßiger Platz in Gestalt eines länglichen Vierecks, rings umgeben mit Trümmern von Säulen, die einst bedeckte Säulengänge bildeten, hinter welchen sich großartige öffentliche Gebäude und Tempel erhoben, die auch in ihren Ruinen noch unsere Bewunderung erregen. Hier und da erblicken wir zahlreiche Fußgestelle, auf welchen einst Statuen der Götter oder von der Nachwelt geehrter Menschen standen, die jetzt entweder zertrümmert oder nach Neapel fortgeschafft sind, um dort in den Räumen des reichen bourbonischen Museums dem Kunstfreunde Genuß und Belehrung zu gewähren. Dieser Platz ist das Forum, d. h. der Marktplatz, der Mittelpunkt alles bürgerlichen und geschäftlichen Lebens und Treibens der alten Stadt. In den ihn umgebenden Säulengängen brachten die Bürger den größten Theil des Tages geschäftig oder lustwandelnd zu. Vor Allem zieht ein Gebäude unsere Aufmerksamkeit auf sich, das sich an der Nordseite des Platzes auf hohem Unterbau, zu dem eine breite, durch eine Plattform in der Mitte unterbrochene Treppe emporführt, erhebt. Es ist ein Tempel, geweiht dem höchsten Gotte des Alterthums, dem Jupiter. Steigen wir die Treppe hinauf, so fesseln uns weniger die Ruinen des Tempels, von dem nur noch Säulenreste und die mit bunten Farben geschmackvoll bemalten Wände des innern Gemachs, in dem einst die Bildsäule des Gottes sich den Blicken der gläubigen Menge zeigte, erhalten sind, als der Ueberblick, den wir von diesem hohen Standpunkte aus, wie über die Ruinen der Stadt überhaupt, so namentlich über die bedeutenden, den Marktplatz umgebenden Gebäude haben.

Was ist das zu unserer Rechten für ein weiter, von Mauern, hinter denen sich Säulen, zum Theil noch in ihrer ganzen Höhe und mit dem Schmucke des Kapitäls (Säulenknaufes) prangend, erheben, umschlossener Raum, in dessen Mitte ein hoher Unterbau mit Freitreppe, vor der ein Altar sieht, noch Reste eines von Säulen gestützten Baues zeigt? Auch dies war ein Tempel, geweiht, wie es scheint, der Göttin der Liebe und Anmuth, der Venus. Daß auch das Haus der Göttin anmuthig war, davon zeugen noch die zierlichen Malereien, die seine Wände schmücken.

Nachdem wir die den Marktplatz umgebenden Gebäude überschaut, lassen wir unsern Blick etwas weiter über die Ruinen schweifen. Da fesseln ihn zwei Bauwerke in Hufeisenform, die zu unserer Linken ziemlich am Ende des aufgegrabenen Theiles der Stadt liegen, und unsere Neugierde treibt uns eilig, herabzusteigen, und nachdem wir den Marktplatz überschritten in örtlicher Richtung auf jene Gebäude, in denen wir schon Theater ahnen, zuzugehen. Wir schreiten rasch durch mehrere Straßen zwischen Privathäusern, meist mit Kaufläden im Erdgeschoß, hindurch und über einen dreieckigen, von Mauern umschlossenen Platz, in dessen Mitte auf einer in fünf langen Stufen gegliederten Terrasse zwei kolossale Säulenstümpfe uns entgegenstarren, hinweg, und treten von dem Hügel, an den sich die halbkreisförmigen, über einander sich erhebenden Sitzreihen für die Zuschauer anlehnen, ein in den obersten Rang, das Paradies des Theaters von Pompeji, den ein gewölbter Gang von dem mittleren für die Bürgerschaft bestimmten Range, der bei Weitem die meiste Anzahl von Sitzreihen enthält, sondert. Ein anderer Gang scheidet wieder von diesen den untersten, aber vornehmsten Rang, der die Ehrenplätze für die Beamten und vornehmsten Bürger enthielt. Ein großer Theil der steinernen Sitzstufen, namentlich aus den obern Reihen fehlt jetzt; doch läßt sich aus den erhaltenen noch mit Sicherheit berechnen, daß die drei Ränge zusammen Sitze für etwa 5000 Zuschauer enthielten. Vor den Enden des durch die Sitzreihen gebildeten Hufeisens zieht sich ein langer, schmaler Streifen hin, die Bühne, auf welcher die Schauspieler, deren das Alterthum nie eine so große Anzahl verwendete, wie unsere neuern Theaterstücke, auftraten. Dahinter erblicken wir noch Reste von Steinbauten, die den Hintergrund der Bühne und bei den meisten Stücken zugleich die Hauptdecoration bildeten. Dazu kamen dann noch einige einfache auf drehbare Hölzer gemalte Seitendecorationen. Die Decoration der Decke aber bildete der herrliche Himmel Unteritaliens selbst mit seinem reinen Blau; denn die Schauspiele des Alterthums wurden nicht in bedeckten, erstickenden Räumen und beim trügerischen Lichte der Lampen, sondern im Glanze der Sonne und unter dem freien Himmel aufgeführt; die Sitze der Zuschauer, die man bei den Römern mit Segeltüchern zum Schutze vor der Sonnenglut zu überspannen pflegte, waren, wie wir es hier in Pompeji sehen, wenn es irgend möglich war, so angelegt, daß sie den Sitzenden die freie Aussicht auf das Meer, diese ewig wandelbare und ewig neue Schaubühne der Natur, und den Genuß des im Süden unendlich wohlthätigen kühlenden Seewinde gestatteten.

Unmittelbar neben dem eben betrachteten Theater liegt ein zweites, ringsum von hohen Mauern im Viereck umschlossenes Theater, das, obgleich weit kleiner, doch unsern Augen einen gefälligern Anblick gewährt als das vorige; denn die in zwei Ränge getrennten Marmorsitze der Zuschauer, 1500 an der Zahl, liegen noch alle in unverrückbarer Festigkeit an ihrer Stelle und scheinen jeden Augenblick zu erwarten, daß die Zuschauer eintreffen und auf ihnen Platz nehmen werden. In der That ein prächtiger Anblick, diese wie Marmorgürtel hinter einander aufsteigenden Sitzreihen, die beinahe zwei Jahrtausende überdauert haben und mindestens eine noch ebenso lange Dauer versprechen, und die, wenn auch nicht so bequem wie die sammetgepolsterten Sperrsitze unserer Theater, doch noch der späten Nachwelt Zeugniß geben von der Kraft und Tüchtigkeit des Volkes, das von ihnen herab den Worten und Gesängen seiner Dichter – denn Dichter und Componist waren im Alterthum, wie auch noch im Mittelalter, immer eine Person – lauschte.

Hinter der Bühne des großen Theaters sehen wir einen sehr geräumigen, von theilweise noch wohl erhaltenen Säulen, die einst bedeckte Gänge bildeten, umgebenen Hof; hinter diesen Gängen laufen ringsumher zweistöckige Gebäude, deren obere durch die Verschüttung zerstörte Stockwerke in der neuesten Zeit wieder hergestellt und wohnlich gemacht worden sind. Diese Gebäude sind in eine Menge kleiner zellenartiger Gemächer getheilt, die im Alterthume die Gladiatoren beherbergten, d. h. Menschen, die öffentlich zur Belustigung des Volkes unter einander mit allerhand Waffen kämpfen mußten, bis einer todt oder doch kampfunfähig auf dem Platze blieb. Oft stellte man auch wilde Thiere ihnen als Gegner zum Kampfe gegenüber. Begeben wir uns nach flüchtiger Durchmusterung der Gemächer dieser „verthierten Söldlinge" nach dem Schauplatze jener grauenvollen Kampfspiele, deren Nachklänge wir noch in den Stiergefechten Spaniens und des südlichen Frankreichs zu erkennen haben. Es ist dies das im südöstlichsten Winkel der alten Stadt gelegene Amphitheater, bis zu welchem wir eine gute Viertelstunde weit über die noch unter der Erd- und Aschendecke schlummernden Theile der Stadt hinwegschreiten müssen. Dieses Gebäude ist unter allen Denkmälern Pompeji’s am Besten erhalten und macht, besonders wenn man im Innern unten auf dem Kampfplatze stehend an den Reihen der rings umher noch in ungestörter Fügung über einander hinlaufenden Sitzstufen emporschaut, einen großartigen Eindruck. Die Form des Ganzen, so wie auch des von den Sitzreihen der Zuschauer umgürteten und tiefer als diese liegenden Kampfplatzes ist die eines länglichen Kreises, die man mit dem mathematischen Ausdrucke eine Ellipse nennt; an den beiden Enden der großen Axe derselben befindet sich je ein breiter Zugang zum Kampfplatze. Betrachtet man das Gebäude von außen, so sieht man rings umher zwei Reihen übereinander sich erhebender Bogen, innerhalb deren gewölbte Gänge hinter den Sitzreihen umherlaufen. Auf diesen Wölbungen ruhen die steinernen Sitzstufen, die recht wohl Raum für 15,000 Zuschauer darbieten. Offenbar strömten, wenn solche Kampfspiele Statt fanden, nicht blos die Bewohner der Stadt, sondern auch der Umgegend von weit und breit zusammen, um sich an dem blutigen, aber als Modesache mit unglaublicher Leidenschaft begehrten Schauspiele

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verschiedene: Die Gartenlaube (1856). Ernst Keil, Leipzig 1856, Seite 14. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1856)_014.jpg&oldid=- (Version vom 14.2.2021)