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verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

„Sie sind auf dem Balle des Fürsten, Sie sind der Baron von Nienstedt – ich habe auf Nichts mehr zu hören, als auf die Stimme des Herzens.“

Wie berauscht vor Entzücken neigte sich Ludwig dem Ohre des reizenden Mädchens zu und flüsterte:

„Henriette, was sagt Ihnen die Stimme Ihres Herzens?“

„Daß es mir vergönnt ist, die Schwüre Ludwig’s anzunehmen.“

„Und ich wiederhole diese Schwüre vor dem Angesichte Gottes!“

Ein leiser, aber inniger Händedruck war die Antwort.

Der Walzer ging dem glücklichen Paare viel zu rasch zu Ende; sie mußten sich trennen. Der Baron führte seine Tänzerin zu dem Familienkreise zurück. Ignaz von Erichsheim empfing sie, und führte sie mit stolzer, vertraulicher Miene zu dem Sessel. Ludwig kümmerte sich um den blonden Gecken nicht, er suchte seinen Freund wieder auf, nachdem er den alten Herrn von Eppstein freundlich gegrüßt hatte.

Gleich darauf erschien Henriette am Arme des jungen Freiherrn; Ludwig verfolgte jede ihrer Bewegungen. Es war ersichtlich, daß sie sich freundlich, aber zurückhaltend mit ihrem Tänzer unterhielt. Um Mitternacht verließen der Oberst, die Freifrau und die beiden jungen Leute den Ball. Eine halbe Stunde später folgten Ludwig und Heiligenstein. Arm in Arm machten sie noch einen Spaziergang durch die große Allee. Als sie sich vor dem Hause des Polizeicommissars trennten, sagte der Baron:

„Zweifeln Sie nicht, Freund, der Plan meines Vaters soll auch nach seinem Tode noch verwirklicht werden. Henriette ist ein Engel, ich kann nur mit ihr leben oder ohne sie sterben!“

„Verbannen Sie die Grabesgedanken,“ sagte lächelnd Heiligenstein; „Amor, scheint mir, hat die Absicht, Sie noch lange an das Leben zu fesseln.“

„Tragen auch Sie das Ihrige dazu bei!“

„Wie?“

„Indem Sie mir ein aufrichtiger Freund bleiben.“

„Sind Sie nicht der Bruder meiner Adelheid? Vergessen Sie nicht, daß mich ein heiliges Band an die Familie Nienstedt fesselt.“

Gerührt umarmten sich die beiden Männer, dann trennten sie sich. Ludwig betrat sein Zimmer. Bob folgte ihm und begann seinen Herrn auszukleiden.

„Wie gefällt es Dir in Europa, Bob?“ fragte der Herr, den das Glück redselig machte.

Der braune Diener zögerte mit der Antwort.

„Hast Du Lust, in Dein Vaterland zurückzukehren?“ fuhr der Baron fort. „Wenn Dich das Heimweh plagt, so bekenne es offen – das Leid des Herzens ist das drückendste, es zerstört das Leben. Sprich ein Wort, Bob, und ich rüste Dich mit den Mitteln aus, die erforderlich sind, um Indien zu erreichen.“

Dem guten Bob traten die Thränen in die Augen.

„Herr,“ sagte er, „wollen Sie mich nicht behalten? Wohl denke ich jetzt noch mit Sehnsucht an mein Vaterland, obgleich ich dort ein Sclave war – aber das wird sich geben. Es gefällt mir nicht in Europa, es ist wahr – aber was habe ich davon, wenn ich zurückkehre?“

„Was Du davon hast, Bob? Du bist kein Sclave mehr, ich habe Dich zum freien Manne gemacht –“

„Ach, Herr, das lohne Ihnen Gott!“ unterbrach ihn der Mulatte, indem er ihm dankbar die Hand küßte. „Sie haben mich von einem strengen, furchtbaren Herrn befreit, der den armen farbigen Mann wie eine Sache betrachtete. Verzeihen Sie, lieber Herr, er war Ihr Landsmann, ein Europäer –“

„Genug, Bob!“ sagte der Baron erregt, „Dein Peiniger ruht im Grabe, und von den Todten soll man nur Gutes reden. Mit ihm ist Deine Knechtschaft begraben, Du bist so frei wie ich, wie alle die Leute, die Du hier siehst. Nun denke Dir, wenn Du mit einem kleinen Kapitale in Deine Heimath zurückkommst, wenn Du Dir ein Stück Land kaufen, und es als Eigenthümer bebauen kannst; wenn Du Dich verheirathest und ein glücklicher Familienvater wirst – Bob, ich meine, die Sache verdient, daß Du sie überlegst.“

Bob sah seinen jungen Herrn einen Augenblick gerührt an, dann schüttelte er schmerzlich lächelnd seinen mit krausen Haaren bedeckten Kopf und sagte:

„Nein, Herr, ich würde dort nicht glücklicher sein als hier.“

„Warum, Bob?“

„Weil ich mich nach meinem Retter, nach meinem guten Herrn sehnen würde! Haben Sie mir nicht selbst gesagt, als wir zu Schiffe gingen: wo man glücklich ist, hat man seine Heimath? Darum lassen Sie mich in Ihrem Dienste leben und sterben!“

Bob hatte diese Bitte so rührend ausgesprochen, daß der Baron nicht weiter in ihn drang. Es wäre eine Grausamkeit gewesen, den treuen Diener zu einer Trennung zu bewegen,

„Gut, so bleibe, Bob!“ sagte er nach einer Pause.

„O, ich wußte es wohl,“ meinte der Mulatte, „daß Sie mich nur auf die Probe stellen wollten. Ich werde jede bestehen, um Ihnen meine Dankbarkeit zu beweisen!“

Eine Viertelstunde später schlich Bob in seine Kammer. Der Baron betrat sein Schlafzimmer. Mit dem Gedanken an die reizende Henriette schlief er ein, um von ihr zu träumen.


III.

Ungefähr acht Tage nach dem Balle in dem fürstlichen Schlosse trat der Oberst von Eppstein in das Zimmer seiner Tochter. Es war noch früh, und Henriette hatte ihre Toilette nur erst halb vollendet. Bei dem Eintreten des alten Herrn richtete das Kammermädchen einen fragenden Blick auf ihre Gebieterin.

„Sophie, ich werde diesen Morgen nicht spazieren gehen,“ war die Antwort auf diesen Blick. „Ich werde Dich rufen, wenn ich meine Toilette vollenden will.“

Das Kammermädchen verließ das Zimmer; Vater und Tochter waren allein.

„Ich setze nämlich voraus,“ wandte sich das junge Mädchen freundlich lächelnd zu dem Obersten, „daß Sie nicht gekommen sind, um mich abzuholen.“

„Deine Voraussetzung ist richtig, mein Kind,“ antwortete der Oberst, indem er seine Tochter mit einem ruhigen Ernste ansah. „Ich bin im Gegentheil gekommen, um Dich um eine Unterredung zu bitten, die eben so wenig für die Promenade paßt als meine Stimmung. Willst Du mich anhören, Henriette?“

Henriette sah den Vater mit einem fast trübseligen Lächeln an; dann sagte sie im Tone zärtlichen Vorwurfs:

„Vater, warum fragen Sie denn, ob ich Sie anhören will? Ist es nicht meine Pflicht, jedem Ihrer Wünsche zuvorzukommen? Mehr noch, Vater: giebt es eine Pflicht für eine gute Tochter? Ich habe ein falsches Wort gewählt – Sie kennen ja meine Kindesliebe, die der Pflichten nicht bedarf –“

„Henriette,“ unterbrach sie der Oberst, „wohl Dir und mir, wenn ich Dich nicht an Deine Pflicht zu erinnern brauche, wenn Dein Herz Dich antreibt, mir offen und wahr entgegenzukommen. Aber hast Du dies in der letzten Zeit unsers Hierseins auch immer gethan? Hat Dein Herz mir Nichts verborgen, das ich als Vater wissen mußte?“

Die reizende Henriette erröthete; sie legte ihr glühendes Gesichtchen an die Brust des Vaters und schlang ihren Arm um seinen Nacken.

„O, mein Kind,“ rief der Oberst, „das Herz liegt mit der Pflicht im Streite, und ich glaube mir es zum Vorwurfe machen zu müssen, daß ich so lange gezögert, letzterer hülfreich zur Seite zu treten. Jetzt muß es geschehen, und ich bin in dieser Absicht zu Dir gekommen.“

Er führte Henriette zu dem Sopha. Dem Vater entging es nicht, daß sie sich gewaltsam mit Ruhe und Ergebung waffnete, daß in ihrer Brust eine gewaltige Macht mit der Liebe des Kindes kämpfte.

„Sie sehen mich bereit, mein Vater, Ihnen zuzuhören!“ flüsterte sie.

„Du kennst den Plan, Henriette, den ich mit der Freifrau von Erichsheim über Deine Zukunft und über die ihres Sohnes entworfen habe.“

„Ja, mein Vater, Sie haben mich davon in Kenntniß gesetzt, als wir in dieses Bad reis’ten.“

„Ich komme heute auf diesen Plan zurück – – Welchen Eindruck hat Ignaz von Erichsheim auf Dich ausgeübt?“

(Fortsetzung folgt.)
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verschiedene: Die Gartenlaube (1856). Ernst Keil, Leipzig 1856, Seite 20. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1856)_020.jpg&oldid=- (Version vom 20.2.2021)