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verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

Mais de quelle nation ou de quel pays donc ceux-ci?“ fragte in dem Augenblick eine junge Dame ihren Begleiter und deutete dabei auf einige männliche und weibliche Figuren, die ersteren in langen, schwarzen, grün gefütterten Röcken, kurzen, bis an die Knie reichenden, bauschigen, schwarzen Hosen, weißen Strümpfen und Schuhen, und die letzteren in bunter, seltsamer Tracht mit einer Art Küraß vor dem Busen.

Ce sont probablement des turcs ou quelque autre race d’hommes du Levante“ antwortete der Herr und wischte sein Augenglas ab, um die vermeintlichen Türken näher zu betrachten. Ich weiß nicht, was für ein Gesicht der Brüsseler gemacht haben würde, wenn ich ihn plötzlich unterbrochen und gesagt hätte: „Entschuldigen Sie, mein Herr, diese Leute da sind keine Türken, sondern eine Art Landsleute Ihres guten Königs Leopold,“ jedenfalls aber würde er ein sehr ungläubiges Lächeln zu unterdrücken versucht haben.

Wie? Leute mit dieser wunderlichen, seltsamen Tracht, die man wohl hie und da beim Karneval und auf Maskeraden erblickt, Männer mit diesen langen schwarzen und langen weißen Röcken, mit diesen bauschigen, kurzen, ledernen Hosen, mit diesen engen, dicht anliegenden hohen Stiefeln und diesem kleinen, runden Hütchen auf dem kurzgeschnittenen Haupthaar, und Frauen und Mädchen mit diesen bunten, um die Stirn und das Haar gewundenen Tüchern, mit diesem steifen, vielfarbigen Brustlatz, der die Brust wie ein Panzer verhüllt, mit diesen kurzen, faltigen, bis an die Knie reichenden Röcken, mit diesen langen, weißen, feindurchbrochenen Strümpfen und glänzend schwarzen Schuhe von sämischem Leder – noch einmal– Leute in dieser ungewöhnlichen Tracht sollten inmitten Deutschlands leben? – Ungläubig schüttelt der Ausländer, wenn er dies hört, den Kopf und glaubt am Ende gar, man wolle ihn narren und doch hat die Sache ihre Richtigkeit und doch giebt’s im Innern Deutschlands, an den Ufern der Pleiße, zwischen den Grenzen der Königreiche Sachsen, Preußen, des Großherzogthums Weimar und des Fürstenthums Reuß einen Volksstamm von vielleicht einigen sechzigtausend Köpfen, welche nicht nur diese originelle Tracht tragen, sondern auch eben so wunderliche, originelle Sitten und Gebräuche haben, die sie, von den Vorfahren ihnen überliefert, in Mitten einer, alle Ursprünglichkeit verwischenden und alle Eigenthümlichkeiten aufhebenden Civilisation zum großen Theil treu bewahrt haben und sie noch heutigen Tags pflegen und üben. –

Die deutschen Touristen und Reisenden sind sonderbare Leute. Um originelle, nationale Sitten und Trachten zu sehen, flüchten sie sich aus dem Gewühl der großen Städte des platten Landes hinunter nach Italien, in die apulischen Gebirge oder zu den Basken, in die Thäler der Pyrenäen oder gar zu den Beduinen in der Sahara, während in dem Herzen Deutschlands, zwischen dem 50. und 52. Grad nördlicher Breite ein Volksstamm hauset, dessen Sitten und Trachten zum Wenigsten eben so ursprünglicher Natur, als die irgend eines, den wir in weiter Entfernung aufsuchen, wir meinen die altenburgische Bauernschaft, diesen letzten, unvermischten Rest der alten Sorben-Wenden.

Ich war noch ein junger Student, als ich einst eine kurze Zeit unter diesem Völkchen weilte, aber die Bilder, die ich da gesehen, haben sich meiner Erinnerung so tief eingeprägt, daß sie noch heute in bunten, frischen Farben vor dem inneren Auge stehen.

Der rauhe, scharfe Nordwind strich schon über die gelben Stoppelfelder der fruchtbaren, wellenförmigen Ebene, als wir in das Dorf, wo uns der Gastfreund wohnte, hineinfuhren. Der erste Anblick schon zeigte von der Behäbigkeit und Wohlhabenheit dieser Bauern, die in ihren weißen, weiten, gefältelten Hemdärmeln, ihren kurzen, schwarzen, ledernen Pumphosen, das runde, schwarze Filzhütchen auf dem Kopf und die Thonpfeife zwischen den Zähnen, vor ihren Gehöften standen, und sich in ihrer eigenthümlichen Mundart von ihren bäuerlichen Arbeiten unterhielten. – Da sah man keine alten, zerfallenen, mit Stroh oder Schindeln gedeckten Hütten, keine verwilderten, mit Unkraut überwucherten, von zerbrochenen Stacketen oder verfaulten Zäunen umschlossenen Gärtchen, kein mageres, dürftiges Vieh in wüstem Durcheinander auf unreinlichem Hof, keine unsauberen, verkommenen Menschengestalten, wie sie wohl hie und da in manchen ländlichen Bezirken dem Auge entgegentreten. Alle die Bauernhöfe an den beiden Seiten der Dorfgasse waren gar stattliche, steinerne, mit rothen Ziegeln gedeckte Gebäude, mit zierlichen, reinlich gehaltenen Gärtchen daneben, in denen noch bunte Herbstblumen, Astern und Georginen blühten. Frische, muntere Mädchengesichter mit glänzenden Wangen, um die Stirn ein farbiges kattunenes oder seidenes Tuch, mit auf den Nacken herabfallenden Zipfeln, geschlungen, sahen aus den Fenstern oder standen an den Zäunen der Gärtchen und unten, von der Dorfgasse herauf, trieben die Kühjungen braune, glänzende, fette Rinder, die von der Weide auf den Wiesen kamen, in die einzelnen, von dem eigentlichen Bauernhof abgesonderten Viehhöfe.

„Ihr kommt zu rechter Zeit,“ sagte unser Freund uns die Hand zum Willkommen reichend, „denn morgen zum „Durstig“ (Donnerstag) ist große Hochzeit, meines Nachbars Jüngster, der „Malcher“ (Melchior) freit die „schüne Bille“ in -dorf.“ Die „schüne Bille" sollte schöne Sybille heißen. „Wir gehören zur „Freundscht“ (Freundschaft) und Ihr könnt als Trollgast mitgehen.“

Eine altenburgische Bauernhochzeit! Wahrlich, wir konnten dem Zufall danken, der uns zu so glücklicher Stunde herführte. Kaum warf am andern Morgen die Herbstsonne ihr mildes Licht durch die von Weinranken überzogenen, runden Fensterscheiben auf die großblumigten Kattunvorhänge des hohen Himmelbettes, in dem wir im Gastzimmer schliefen, als rauschende Musik von der Dorfgasse herauf ertönte, Pistolenschüsse die Luft erschütterten und rasselnde Wagen mit muthigen, laut wiehernden Pferden bespannt, zur Dorfgasse heraufrollten. Als wir mit dem Gastfreund aus dem Thor des Gehöftes traten, herrschte schon lautes, buntes Durcheinander vor dem Hause des Nachbars, dessen Sohn der Bräutigam war. Da saßen auf hohen, kräftigen, prächtig aufgeschirrten, braunen und schwarzen Hengsten, von deren Köpfen rothe, gelbe, blaue, orangefarbene Bänder niederflatterten und deren lange Schweife in grüne Laubguirlanden und bunte Blumensträußer eingebunden waren, stattliche Bauern in jener schon beschriebenen Tracht, das heißt in langen, kurztaillen, schwarzen, mit grünem Flanell gefütterten Röcken, weiten, schwarzledernen, bis an das Knie reichenden Hosen, und hohen, enganschließenden Stiefeln, kleine Blumenbouquets auf den runden Filzhütchen. Musikanten in grünen Tuchspenzern und denselben Unterkleidern, wie sie die Reiter hatten, standen vor dem Gehöfte und schmetterten aus ihren Trompeten und Posaunen lustige Tänze und Volksmelodien in die frische, herbstliche Morgenluft hinaus, während buntgekleidete Frauen und Mädchen, deren Tracht wir später ausführlicher beschreiben werden, in der großen Wohnstube an breiten, schneeweiß gescheuerten eichenen Tischen bei Kaffee und Kuchen saßen.

Vor dem Thor des Gehöftes aber stand zwischen zwei großen Körben die kleine „Mäd“ (die kleine Magd) und vertheilte ganze Berge voll breiter- und Sternkuchen an die sie umringende, schreiende und jubelnde Dorfjugend. Unterdessen kamen immer mehr Hochzeitsgäste in bebänderten und mit Guirlanden verzierten Wagen unter lustigem, übermüthigem Gejodel die Dorfgasse heraufgefahren – denn der Bräutigam und die Braut hatten ein große „Freundscht“ – und der Zug setzte sich endlich, nachdem sich auch die zuletzt Gekommenen mit kaltem Braten und Geflügel, Bier, Schnaps, Kaffee und Kuchen gestärkt, in Bewegung. Voran auf einem mit Laubwerk, bunten, seidenen Bändern, Herbstblumen und Flaggen geschmückten Wagen saßen die Musikanten und spielten lustige Weisen auf. Dann hoch zu Roß: der Festordner und Leiter des Ganzen, der Hochzeitbitter. Von der Spitze seines hohen Hutes, an dessen hinterer Krempe zwei große, grüne, mit Blumen durchflochtene Kränze befestigt waren, flatterten seidene weiße, rothe und grüne Bänder, unter welche sich auch ein einziges schwarzes gemischt hatte; ein Zeichen, daß eins von den Aeltern des Brautpaars – es war die Mutter des Bräutigams – gestorben sei. In der Linken hielt er einen kurzen, braunen Stab, während aus der Brusttasche der langen, feintuchenen, schwarzen Kappe der Zipfel eines zierlich zusammengelegten, buntseidenen Taschentuchs stutzerhaft heraushing.

In früheren Zeiten war das Amt eines Hochzeitbitters ein sehr gesuchtes und noch einträglicher als jetzt. Hinter dieser wichtigen Person unseres Festzuges ritt zwischen seinen zwei Brüdern, ein Blumenbouquet im Knopfloch und einen Rautenkranz mit einem Sträußchen auf dem Hütchen, der glückliche, rothwangige Bräutigam, dem die übrigen Bauern gleichfalls zu Pferde folgten.

Den Männern folgten die, welche himmlische Rosen in’s irdische Leben flechten: die Frauen und die Mädchen, oder vielmehr

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verschiedene: Die Gartenlaube (1856). Ernst Keil, Leipzig 1856, Seite 38. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1856)_038.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)