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verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

theures Geld erkauft, war total verbrannt, der Reis steinhart gekocht, und die Fleischklöße in der Suppe glichen eher Kartätschenkugeln wie menschlichen Nahrungsmitteln, und es hätte in der That ein Straußenmagen dazu gehört, um dieselben zu verdauen. Brot und trefflicher Madeira, an dem die ungeschickten Bedienten glücklicher Weise nichts verderben konnten, mußten den Hauptbestandtheil des ganzen Mahles bilden.

Da die Engländer am anderen Tage noch auf der Feldwache blieben, so machte ich mir den Spaß, und schickte drei oder vier gewandte Chasseurs meiner Escadron zu ihnen hinaus, damit diese bei der Bereitung der Speisen helfen sollten, Nun nahm die Sache denn gleich eine ganz andere Wendung, und mit denselben Rationen bekamen die Engländer eine Mahlzeit, wie sie solche ihrer Versicherung nach noch nicht wieder gehabt hatten, seitdem sie Portsmouth verlassen. Meine Chasseurs hatten zuerst das gesalzene Fleisch, wie es sich gehört, recht tüchtig ausgewässert und dann eine Bouillon daraus gekocht, die zusammen mit dem Reis eine so kräftige Suppe, wie man sie nur wünschen konnte, abgab, das Fleisch dann in kleine Quarree’s geschnitten und mit Brot, Gewürz und Rum zusammen recht geschmort, so daß es eine ganz wohlschmeckende Speise abgab. Den beiden englischen Offizieren hatten sie eine Wildente am Spieße gebraten, und dann aus Reis, Zucker und Madeira eine sehr wohlschmeckende Mehlspeise bereitet. Die ganz davon entzückten englischen Offiziere hatten meinen Chasseurs einen Napoleonsd’or als Trinkgeld geben wollen, diese hatten aber – was mich ungemein freute – zu viel militärischen Stolz besessen und gesagt, man möge das Geld nur in das Lazareth für die Verwundeten senden, sie seien französische Soldaten und bedürften desselben nicht. –

Eine sehr blutige Schlacht war die bei Inkerman, und die unerschütterliche Tapferkeit der englischen Soldaten hat sich dabei so recht im glänzendsten Lichte gezeigt. Die Russen hatten anfänglich mit einer mehr wie dreifachen Uebermacht die englischen Bataillone angegriffen, und doch wichen und wankten dieselben nicht und hielten wie die Mauern die so heftigen feindlichen Angriffe aus. Die große Körperkraft, welche viele englische Soldaten besitzen, ist ihnen hier bei Inkerman vortrefflich zu Statten gekommen, denn es ist großentheils ein Kämpfen Mann gegen Mann gewesen. Von dieser Körperkraft einzelner englischer Grenadiere wurden uns aus glaubwürdigem Munde manche ganz erstaunliche Beispiele erzählt. So hat z. B. ein englischer Korporal, der sein Gewehr schon verloren hatte, einen wüthenden Sprung auf einen russischen Offizier gemacht, und bevor dieser mit seinem Säbel einen Hieb führen konnte, denselben wie ein Wickelkind auf beiden Armen hoch in der Luft gehalten und ihn dann auf die Bayonnette seiner eigenen vorwärts stürmenden Soldaten geschleudert. Diese sind vor einem solchen eigenthümlichen Wurfgeschoß zurückgeschreckt und in’s Stutzen gekommen, so daß die übrigen englischen Grenadiere dadurch Zeit gewannen, sich zu sammeln und eine kräftige Bayonnettattaque auf die Russen zu machen. Ein anderer Engländer, den ich später selbst sah, wirklich auch ein Mann von wahrhaft riesenhaftem Körperbau, hat mit den Händen mehrere Kanonenkugeln, die auf dem Boden lagen, ergriffen und auf die gegen ihn anstürmenden Feinde geworfen, bis es ihm gelungen, sich wieder eines anderen Bayonnetts zu bemächtigen. Seine Kameraden sagen aus, daß sie Augenzeugen gewesen, wie dieser eine Grenadier allein über zehn Russen getödtet oder schwer verwundet habe. Ueberhaupt war an mehreren Stellen des Schlachtfeldes ein förmliches Morden gewesen, und die Leichen, und zwar durchschnittlich in dem Verhältniß von einer englischen zu drei russischen, lagen in ganzen Haufen über einander. Kolben und Bayonnette hatten hier am Mörderischsten gehaust, und die meisten Leichen ihre Todeswunden von diesen Waffen erhalten. Viele russische Leichen fand ich, denen der Schädel durch einen Kolbenschlag zerschmettert oder die Brust mit dem Bayonnette durchbohrt war, während die der Engländer großentheils mehrere Wunden zeigten. Vorzüglich wirksam hatten sich übrigens bei diesem Handgemenge die Revolvers, welche fast alle englischen Offiziere bei sich führten, gezeigt.

So hat ein englischer Kapitain durch drei hinter einander folgende Schüsse mit seinem Revolver drei russische Soldaten niedergestreckt. Zwei andere Kameraden derselben, die gar nicht haben begreifen können, daß man mit der kleinen Pistole hinter einander mehrere so sicher treffende Schüsse thun könne, ohne sie vorher wieder zu laden, haben darauf ganz bestürzt ihre Gewehre fortgeworfen und sich dem Engländer als Gefangene ergeben. Trotz dieses ungemein heldenmüthigen Widerstandes hätten die Engländer am Ende dennoch der russischen Uebermacht unterliegen müssen, wenn unsere französischen Truppen denselben nicht mit so großer Schnelligkeit zur Hülfe gekommen wären. Noch niemals habe ich gesehen, daß Truppen so schnell unter den Waffen standen, wie in dem Augenblick, als unser Lager durch die Nachricht alarmirt wurde, daß die Russen mit großer Uebermacht unsern englischen Bundesgenossen angegriffen hätten. Es war eine Schnelligkeit, ein Eifer unter den Soldaten, daß die Offiziere wahrlich nicht nöthig hatten, dieselben noch mehr anzuspornen. So wie die Bataillone nur in etwas geordnet waren, und es bedurfte kaum einiger Minuten hierzu, ging es im Laufschritt dem Kampfplatze zu, der uns durch den lauten Kanonendonner und den Schlachtenlärm so deutlich bezeichnet war, daß man ihn nicht verfehlen konnte. Voran, wie immer bei solchen Gelegenheiten, wieder die Zuaven, die mit ihrer großen körperlichen Ausdauer und Gewandtheit nicht marschirten, sondern förmlich liefen. „Vivent les braves Anglais, en avant vite – vite – vite en avant Zouaves!“ ertönte es unablässig aus den Reihen derselben. So wie sie so weit in die Nähe der Russen gekommen waren, daß ihre Salve von Wirkung sein konnte, gaben sie dieselbe, und nun ging es ohne Weiteres, ohne sich Zeit zum Wiederladen der Gewehre zu lassen, mit dem Bayonnette auf die Feinde los. Wenn unsere Zuaven und Chasseurs auch lange nicht die Körperkräfte der Engländer besitzen, so sind sie dafür doch ungleich behender und im Bayonnettiren geübter, und daher nicht minder gefährliche Gegner wie diese. So haben sie denn furchtbar zwischen den Russen aufgeräumt und wesentlich mit zum Gewinnen dieser blutigen Schlacht beigetragen.

Wir Chasseurs d’Afrique waren leider nur in viel zu geringer Anzahl gegenwärtig, um die vielen Tausende der russischen Reiterei, die in zweiter Linie aufmarschirt stand, angreifen zu können, wie denn auch das Terrain theilweise sehr ungünstig für die Kavallerie sich zeigte. Einzelne Dienste geleistet haben wir übrigens dennoch, und manche meiner Reiter fanden Gelegenheit, sich auszuzeichnen. So besonders auch ein alter Korporal, der schon von 1830 her beständig in Algerien diente, und den früher die Reiter des Abd-el-Kader einmal so zusammengehauen hatten, daß sein Gesicht von den vielen Kreuz- und Quernarben ganz wie zerhackt aussah. Auf seinem Rappenhengst, einem wüthenden Thier, mit dem Keiner in der ganzen Escadron fertig werden konnte, stürzte sich dieser Korporal mitten in eine russische Infanterieabtheilung hinein, gleich als wolle er freiwillig den Tod da suchen, obgleich dies gar nicht in seiner Absicht lag. Einige andere Chasseurs kamen ihm zur Hülfe, und ihre Säbel wußten so tüchtig um sich zu schlagen, und die Hengste, die hochauf sich bäumten und mit den Vorder- und Hinterfüßen um sich hieben, leisteten bei diesem Kampfe so treffliche Dienste, daß die ganze russische Infanterieabtheilung theils zersprengt, theils aber auch niedergehauen oder gefangen genommen wurde.

So glückte es unsern vereinten Bemühungen, denn es war auch kein einziges Truppenkorps, was nicht mit der äußersten Kraftanstrengung kämpfte, nach blutiger Gegenwehr die Russen endlich vollständig von dem Schlachtfelde zu vertreiben, obschon ihre Uebermacht eine so ungemein bedeutende war. Leider war nur unsere Kavallerie an Zahl zu schwach, um eine nachdrückliche Verfolgung der geschlagenen Feinde damit unternehmen zu können, sonst hätte sich der geordnete Rückzug derselben entschieden in die wildeste Flucht verwandeln müssen. Einzelne Gefangene machten wir übrigens noch eine ganze Menge und erbeuteten auch viele Munition, Waffen u. s. w. Unbeschreiblich war übrigens die stürmische Freundschaft, mit der am Abend dieses Schlachttages von Inkerman die Engländer und Franzosen bei allen Begegnungen sich begrüßten. Selbst die oft sehr steifen und hölzernen englischen Offiziere hatten ihre sonstige Förmlichkeit ganz verloren, waren so herzlich und entgegenkommend wie nur möglich und übertrafen uns Franzosen hierin. Habe ich doch selbst gesehen, daß ein englischer Stabsoffizier dem Kommandanten eines Zuavenbataillons um den Hals fiel und ihn küßte und herzte als wenn es sein bester Freund wäre, obschon er ihn früher niemals gesehen hatte. Andere englische Offiziere verschenkten ihre Uhren, Ringe, Pfeifen, kurz Alles, was sie nur an derartigen Dingen bei sich führten, an französische Soldaten, die sich besonders ausgezeichnet hatten.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1856). Ernst Keil, Leipzig 1856, Seite 43. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1856)_043.jpg&oldid=- (Version vom 14.2.2021)