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verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

Bewegt ließ sich der Greis auf ein Knie nieder. In den Augen der Freifrau erschienen Thränen.

„Adalbert! Adalbert!“ stammelte sie, indem sie sich hinabneigte.

Doch plötzlich fuhr sie wieder empor und trat von dem Knienden zurück. In ihren Zügen drückte sich wieder eine herbe Bitterkeit aus.

„Hinweg, hinweg!“ flüsterte sie zitternd. „Ich darf diese Stirn nicht küssen! Soll ich mich zum zweiten Male berücken lassen? Die Liebe hat mich betrogen, die Freundschaft, wenn sie möglich ist, wird mich betrügen!“

„Emilie, ist das Herz des Weibes härter als das des Mannes?“

„Mann, Du hast mich zu dem gemacht, was ich bin!“ rief sie mit tonloser Stimme. „Jetzt näherst Du Dich mir, weil es Dein Vortheil erfordert – warum erinnertest Du Dich meiner nicht, als Deine Gattin gestorben war, als mich der Tod des Freiherrn zur Wittwe gemacht hatte? Ah, ich lese es in Deinen Zügen,“ flüsterte sie ganz leise: „Du glaubst dem Gerüchte, daß ich ein Verbrechen begangen habe. Adalbert, fandest Du keine Entschuldigung für mich, keine, keine?“

„Emilie!“ rief zusammenbebend der Oberst.

„O, ich habe Dir Nichts verrathen,“ fügte sie hinzu, indem ihre glühenden Blicke den immer noch Knienden durchbohren zu wollen schienen; „aber ich schleudere den Vorwurf auf Dein Gewissen zurück, den Du nicht auszusprechen wagst. Martere Dich ab in Vermuthungen, Treuloser, und wenn Du den Muth hast, an die Wirkungen Deines Verrathes zu glauben, wie sie Dir das Gewissen vorspiegelt, so klage mich an!“

Sie zog eine Glocke. Der Diener erschien.

„Der Wagen des Herrn Obersten soll vorfahren!“ befahl die Schloßherrin mit fester Stimme.

Dann grüßte sie kurz und kalt, und verließ den Saal.

Nach einigen Minuten erschien der greise Oberst in dem Hofe; schwankend wie ein Kranker bestieg er seinen Wagen.


IX.

Gegen Abend kam der Oberst auf Nienstedt an. Kaum hatte er sein Zimmer betreten als Heiligenstein erschien; er brachte die Nachricht, daß Ludwig’s Zustand sich verschlimmert habe.

„Auch seine übrigen Angelegenheiten stehen sehr schlimm!“ sagte der Oberst. „Wir haben es mit einer unversöhnlichen Feindin zu thun, die alle zu unserm Verderben erforderlichen Mittel besitzt.“

Wie wir wissen, war Heiligenstein Zeuge gewesen; als Ludwig dem Obersten den Ehrenschein übergeben hatte. Der Greis nahm keinen Anstand, die Mittheilungen der Freifrau in Betreff dieses verhängnißvollen Papiers dem Freunde zu eröffnen. Er verschwieg auch nicht, daß er zu einem Zeugnisse gegen den Baron gezwungen werden könne. Beide Männer glaubten an das Verbrechen, aber keiner wagte es auszusprechen. Um den Greis zu trösten, zog Heiligenstein die Handlung des verstorbenen Barons von Nienstedt in Zweifel und hielt die Angaben der Freifrau nur für Drohungen. Da Ludwig’s Zustand eine Gemüthserregung nicht erlaubte, beschloß man, einige Tage zu warten, ehe man ihm die neue Wendung der Dinge mittheilte und die nothwendigen Aufklärungen von ihm forderte. Henriette, die um den Zustand ihres Gatten in der peinlichsten Besorgniß war, sollte vor der Hand noch Nichts erfahren. Am folgenden Tage ritt Heiligenstein zu dem Gute der Freifrau; man sagte ihm, daß sie verreis’t sei, er kam unverrichteter Sache zurück. Nun zog man einen geschickten Advokaten in das Geheimniß. Der Rechtsgelehrte erklärte Nichts thun zu können, wenn ihm sein Client keine Anhaltepunkte zur Vertheidigung lieferte, das heißt, wenn er keine Auskunft darüber lieferte, wie er in den Bestz der Papiere gekommen sei, und vorzüglich des Ehrenscheins, dessen Empfang der Oberst nicht abschwören könne. Eine Klage wegen Erbrechung des Secretärs dürfe man nicht erheben, da dies ein Zugeständniß sein würde. Um diese Zeit kam eine Ladung des Gerichts. Der Advokat reichte ein Krankheitsattest ein. Nun drang man in Bob, man versuchte List und Gewalt – Alles blieb vergebens. Der Mulatte setzte heimlich seinen Herrn von Allem in Kenntniß, was vorging.

Der Oberst konnte den peinlichen Zustand der Ungewißheit nicht mehr ertragen; er kannte die Liebe Ludwig’s zu Henrietten, und in der Voraussetzung, daß er ihren Bitten nachgeben würde, weihete er sie in das schreckliche Geheimniß ein. Die junge Frau schauderte zurück, aber sie zweifelte nicht an der Unschuld ihres Mannes.

„Es muß sein, um unsere Ehre zu retten,“ sagte sie; „ich werde mich des traurigen Auftrags unterziehen.“

Denslben Abend trat sie in das Krankenzimmer. Bob saß am Bette seines Herrn. Bei dem Erscheinen seiner Gattin, obgleich es täglich um diese Zeit erfolgte; zuckte der Kranke leicht zusammen.

Henriette ertheilte dem Kammerdiener einen Auftrag, um ihn zu entfernen. Zögernd verließ der Mulatte das Zimmer.

„Ludwig,“ begann die junge Frau mit gepreßter Stimme, „Du hast viel gelitten, und leidest noch – Du willst mich nur trösten und stellst Dich stärker, als Du bist.“

„Hege keine Besorgniß, meine Geliebte!“ antwortete unruhig der Kranke, „Ich bin ja noch jung, mein starker Körper widersteht der Krankheit.“

Sie ergriff zärtlich seine Hand.

„Und dennoch hegt meine Liebe große Besorgnisse!“

„Frage den Arzt, Henriette, er wird sie verscheuchen.“

„Ludwig, Dein Leiden ist ein moralisches – o, glaube mir, es konnte Deiner liebenden Gattin nicht entgehen! Habe ich nicht die Pflicht, selbst das Recht, Deine Leiden mitzutragen? Und Du schließest mich aus, duldest allein – fast möchte ich Dir Vorwürfe machen!“

„Was ist das? Was ist das?“ flüsterte bestürzt der Baron.

„O, Verzeihung, mein lieber Freund, ich kann nicht länger schweigen, ich muß Dich an Deine Pflicht erinnern!“

„An meine Pflicht?“

„Es ist Deine Pflicht, mit Deiner Gattin, die Dein zweites Ich ist, Leiden und Freuden zu theilen. Oder verdiene ich Dein Vertrauen nicht?“

„Henriette,“ rief Ludwig, „man hat mich bei Dir angeklagt! Man will mir auch deine Liebe rauben!“

„Meine Liebe ist Dein Eigenthum, das Dir Niemand in der Welt rauben kann!“ antwortete feierlich die junge Frau. „Sieh’, Ludwig,“ fuhr sie unter Thränen fort, „mein Herz liegt offen vor Dir, es birgt keine Falte, die Dir unbekannt geblieben wäre, und würde es von einem geheimen Kummer bedrückt, es müßte sich Dir unwillkürlich erschließen, denn es weiß, daß es bei Dir Trost findet, daß Du es nicht verkennst. Kannst Du die Mutter Deines Kindes leiden sehen, Ludwig? Kannst Du es dulden, daß sie der Gram über Dein Mißtrauen verzehrt? Du bist der Wohlthäter aller Armen, sie segnen Deine milde Hand – und mir, Deiner Gattin, entziehst Du Dein Vertrauen, Du läßt es mich wie ein Almosen erflehen.“

„Halte ein, Henriette, Deine Worte tödten mich!“ rief der Baron erschüttert.

„Ich habe schon zu viel gesagt,“ flüsterte sie, die herabquellenden Thränen mit ihrem weißen Tuche trocknend; „ein Wort hätte hinreichen müssen.“

„Henriette,“ rief er flehend: „zweifle nicht an meiner Liebe, alle meine Gedanken, alle meine Handlungen werden von der Liebe zu Dir geleitet!“

Sie warf sich über ihn und schloß sein Haupt in beide Arme.

„Ludwig,“ flüsterte sie zitternd, „dann bin ich Deine Mitschuldige; gestatte meiner Liebe zu Dir, daß ich es sei!“

„Mitschuldige?“ rief der Kranke in einem unbeschreiblichen Tone. „Wer spricht von einer Schuld? Henriette, auch Du, Du hältst mich für schuldig? Ich reichte Dir eine reine, unbefleckte Hand am Altare.“

„Vergieb, vergieb meiner grenzenlosen Liebe, Ludwig! Ich wollte Dir nur zeigen, wenn ich von Schuld sprach, daß Deine Gattin Alles mit Dir zu theilen bereit ist!“

Laut schluchzend schloß er die junge Frau in seine Arme.

„Mein Gott,“ rief er aus, „habe Dank, daß du mir diesen Augenblick gesendet hast! Er lös’t die furchtbaren Zweifel, mit denen mein Herz im Kampfe lag. Henriette, wenn ich mir einen Vorwurf zu machen habe, so ist es der, daß mein Vertrauen nicht ohne Grenzen war, wie Deine Liebe! Du hast den Muth, mit mir eine Schuld zu theilen, Du wirft auch über Vorurtheile erhaben sein.“

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verschiedene: Die Gartenlaube (1856). Ernst Keil, Leipzig 1856, Seite 62. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1856)_062.jpg&oldid=- (Version vom 21.8.2021)