Seite:Die Gartenlaube (1856) 063.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

„Ich bin es, seit Du mich Deine Gattin nennst!“

„Wohlan, so sollst Du Alles wissen, ich darf Dir Nichts mehr verschweigen. Doch Du allein nur, Henriette – das Geheimniß muß unter uns bleiben.“

Nachdem sie die Thür verschlossen, setzte sie sich zu ihm auf das Bett. Er umschlang sie mit seinen zitternden Armen und begann leise:

„Der Drang zu erwerben, trieb mich nach Calcutta, wo ich durch einen seltenen Glücksfall in Verhältnisse geworfen wurde, die mir gestatteten, in kurzer Zeit ein großes Vermögen zu erwerben. Während ich vom Glücke überschüttet ward, schlugen einem andern Deutschen, meinem Nachbar, alle Unternehmungen fehl, so daß er bald in das tiefste Elend gerieth. Ich unterstützte ihn, indem ich ihm seine letzten Sklaven zu hohen Preisen abkaufte, unter denen sich auch mein Bob befand. Dieser Deutsche interessirte mich doppelt: er war mein Landsmann und hatte eine so wunderbare Aehnlichkeit mit mir, daß man uns allgemein für Zwillingsbrüder hielt. Aber so ähnlich unser Aeußeres war, so verschieden waren unsere Charaktere, und mehr als einmal wollte man mich, seinen Doppelgänger, für seine leichtsinnigen Streiche verantwortlich machen, Um ihn nicht völlig untergehen zu lassen, nahm ich ihn in mein Haus als Sekretair. Nach wenigen Wochen ergriff ihn ein heftiges Fieber, und er ließ mich an sein Bett kommen. Sie haben die Absicht, nach Europa zurückzukehren, sagte er, nehmen Sie diese Papiere und übergeben Sie sie meinem Vater, der vielleicht noch einigen Nutzen daraus ziehen kann; dann gab er mir noch nähere Nachrichten über seine Familie und verschied. Ein Jahr später verkaufte ich meine Besitzungen und reis’te nach Europa zurück. Ich erinnerte mich des Versprechens, das ich dem sterbenden Freunde gegeben, und um es zu erfüllen, reis’te ich nach Nienstedt. Hier sah ich meine Henriette, ich folgte ihr in das Bad, und der Kaufmann Ludwig benützte die Aehnlichkeit mit seinem verstorbenen Freunde und die Papiere desselben, um den fürstlichen Ball als der Baron von Nienstedt zu besuchen. Henriette, die Leidenschaft beherrschte mich, und ich glaubte kein Verbrechen zu begehen, wenn ich durch List lächerliche Vorurtheile zu beseitigen suchte, Henriette, bin ich strafbar, so hat mich die Liebe zu Dir dazu gemacht. Du bist nicht die Gattin eines Barons – mein Vater ist ein armer Handwerker in Hamburg, den ich heimlich unterstütze. Ich habe einen furchtbaren Kampf gerungen!“ fügte er schmerzlich hinzu. „Henriette, kannst Du mich noch lieben wie zuvor? Ich bin der Sohn eines Bürgersmannes, aber meine Hand ist rein. Die Täuschung, die ich begangen, wird mir Gott und meine Henriette verzeihen.“

„Bist Du nicht derselbe noch?“ rief weinend die junge Frau. „Mein Herz kann Dich nicht verurtheilen – ich bin Deine Mitschuldige! Der Vorsehung sei Dank, daß sie das furchtbare Drama auf diese Weise lös’t.“

„Dank, Dank, mein geliebtes, hochherziges Weib! Henriette, verwende das Geheimniß nach Deiner Ansicht.“

„Jetzt ist es an mir zu handeln – beruhige Dich, Ludwig!“

Sie küßte ihn, und verließ das Krankenzimmer. Eine halbe Stunde später meldete Bob den Obersten. Ludwig, der sich wunderbar gestärkt fühlte, hatte das Bett verlassen.

„Mein Sohn,“ rief der Greis, und schloß den bleichen jungen Mann in seine Arme.

Hinter ihm stand Henriette, sie trug ihr Kind an der Brust. Dann erschien Heiligenstein und reichte gerührt seinem Freunde die Hand. Alle bestürmten ihn mit Vorwürfen über sein hartnäckiges Schweigen.

„Ich war der Ansicht,“ antwortete er, „daß die Macht des Vorurtheils nicht minder stark sei, als der Verdacht eines Vergehens. Der Verdacht ließ sich durch einen glücklichen Prozeß beseitigen, während das Vorurtheil – –“

„Es ist längst beseitigt,“ unterbrach ihn der Oberst, „und ich bin zu der Ansicht gelangt, daß das wahre Glück im eigenen Herzen und bei guten Menschen, aber nicht in Verhältnissen zu suchen ist, die nur durch äußern Flitter glänzen. Wir alle sind schwache Menschen, wir alle stehen unter dem Einflusse der Leidenschaften – Sie, Ludwig, hat ein guter Engel verblendet, ich verzeihe Ihnen, zumal da sich Henriette als Ihre Mitschuldige bekannt hat. Das Vorurtheil soll das Glück meiner Kinder nicht zerstören; ich folge Euch in den Bürgerstand.“

Am folgenden Morgen fand eine Berathung mit dem Advokaten statt. Gleich darauf ward ein Expresser nach Hamburg abgesendet, um den Vater Ludwig’s zu holen. Er traf schon den dritten Tag ein. Am vierten stand der Advokat mit seinem Clienten und dessen Vater vor dem Criminalgerichte, auch Bob hatte man mitgenommen. Der Rechtsanwalt entkräftete die Anklage durch den Beweis, daß nicht der Baron von Nienstedt, sondern der Kaufmann Ludwig in dem Besitze der Papiere gewesen sei. Der Vater recognoscirte seinen Sohn, Bob trat als Zeuge auf, und Ludwig präsentirte einen Todtenschein des Barons, den der Mulatte zur größern Sicherheit aufbewahrt hatte. Die neue Anklage wegen Mißbrauchs anvertrauter Papiere und Anmaßung des Adels war bald entschieden. Da Ludwig Niemandem geschadet, vielmehr der ausgestorbenen Familie der Nienstedt’s durch seine Großmuth genützt habe, belegte ihn der Fürst, aus besonderer Rücksicht für den Obersten, mit einer Geldbuße von fünftausend Thalern.

Der Advokat forderte nun den Obersten auf, die Freifrau über Erlangung der Papiere zur Rechenschaft zu ziehen; aber er gab seine Zustimmung nicht dazu.

„Ich verzeihe ihr,“ sagte er; „sie leidet mehr, als ich gelitten habe.“

Ueber den Diebstahl der Papiere hat man nie Gewißheit erlangt, doch ruhete der Verdacht auf einem Jägerburschen, der später Kammerdiener des jungen Freiherrn von Erichsheim ward.

Ludwig verkaufte Nienstedt und ging mit seiner Familie nach Hamburg. Der Oberst begleitete ihn, um seine letzten Tage in Ruhe und Gemächlichkeit zu verleben. Der Gatte seiner ältesten Tochter stürzte bald darauf in der Trunkenheit mit dem Pferde und starb an den Folgen des Sturzes. Heiligenstein brachte die Wittwe mit ihren beiden Kindern nach Hamburg, und der Oberst hatte die Freude, seine ganze Familie um sich versammelt zu sehen. Ein Jahr später erhielt er die Kunde von dem Tode der Freifrau, specielle Nachrichten fügten hinzu, daß sie in einer Art Wahnsinn gestorben sei.

„Friede sei ihrer Asche!“ sagte erschüttert der Oberst.

„Auch ich verzeihe ihr ,“ fügte Ludwig hinzu, „denn sie hat mich ganz das Glück kennen gelehrt, das ich in meiner Gattin besitze.“

„Leider bedurfte es dieser Lection!“ sagte Henriette im Tone zärtlichen Vorwurfs.

„Sei gewiß, daß ich sie nie, nie vergesse!“




Unser tägliches Brot.
Von Dr. Hirzel. (Schluß.)

Die bessere technische Einrichtung der Bäckereien bezieht sich hauptsächlich auf den schon seit längerer Zeit angeregten Gedanken, in den Städten und Dörfern große sogenannte Gemeindebäckereien einzurichten. Dieser Gedanke ist sogar schon an mehreren Orten in Deutschland verwirklicht worden und hat sich. wie zu erwarten war, vollkommen bewährt. Die Gemeindebäckereien backen theils eigenes Brot, welches sie zum Verkaufe bringen, theils backen sie gegen eine geringe Entschädigung denen das Brot, die sich den Brotteig lieber eigenhändig kneten und vorbereiten. Hierdurch wird eine große Ersparniß von Brennmaterial erzielt; denn anstatt der vielen kleinen, braucht nur ein großes Backofen geheizt zu werden. Auch lehrt uns die Technik jetzt Backöfen bauen, welche nicht mehr auf die höchst verschwenderische Weise ausgewärmt werden müssen, daß man im Backofen selbst eine gewisse Menge Holz verbrennt, die Asche dann herausnimmt und hierauf die Brote einschiebt. Die Backöfen der neuen Construction haben, wie andere Oefen, die Feuerung für sich, besitzen daher den großen Vorzug, daß sie den ganzen Tag ohne Unterbrechung zum Backen benutzt werden können, während die alten Backöfen, wenn sie sich abgekühlt haben, durch neues Verbrennen

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1856). Ernst Keil, Leipzig 1856, Seite 63. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1856)_063.jpg&oldid=- (Version vom 20.2.2021)