Seite:Die Gartenlaube (1856) 083.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

colossale Innere sah ich nicht; doch soll es mehr wie alles Andere die Größe und den Verfall der Republik predigen.

Staunenswerth sind die Murazzi, ungeheuere Dämme, welche zum Schutz gegen die Meereswellen aus großen Steinblöcken treppenartig in einer Breite von 52 Fuß und in einer Länge von zwei deutsche Meilen erbaut wurden. Sie tragen die stolze Inschrift: „Ausu romano, Aere veneto“ (mit römischer Kühnheit und venetianischem Gelde).

Außer der Markuskirche besitzt Venedig noch eine Menge anderer Tempel, wo man neben den Werken der Bildhauerkunst und Malerei auch die Geschichte der Republik an den Denkmälern ihrer großen Kriegs- und Friedenshelden studiren kann. Leider neigte sich der Tag schon zum Ende, nur flüchtig hatte ich die Prachtkirche SS. Giovanni e Paolo betrachten, nur aus der Ferne die Kirche del Redentore auf der Insel Giudecca, die Franziskanerkirche, die Confraternita S. Rocco sehen, und den großen Reichthum der Kunstwelt Venedigs ahnen können, den der würdige Winkelmann noch über Roms Kunstschätze stellt. Mit Wehmuth sah ich die Sonne sich neigen und die zugemessenen Stunden fliehen.

Schon läuteten alle Glocken mit feierlichen Klängen das Ave Maria ein, als ich, das Bild der Wunderstadt noch einmal ganz zu genießen und die südliche Sonne, von der ich nun Abschied nahm, noch einmal scheiden zu sehen, meine Gondel weit hinaus in die Lagune rudern ließ.

Meine Seele war in wirren Träumen schon nach der fernen Heimath vorausgeschwebt, als der Gondolier das Schiffchen wandte. Welch´ ein zauberisches Bild sich da dem Auge darbot!

Die Sonne war hinter den vizentinischen Bergen hinabgestigen, große veilchenblaue Wolken durchzogen den Himmel über Venedig. Der Thurm des St. Markus, die Kuppeln von Santa Maria und die Pflanzschule von Thurmspitzen und Minarets, welche von allen Punkten der Stadt sich erheben, zeichneten sich als schwarze Stacheln gegen den glänzenden Ton des Horizonts ab. Der Himmel ging durch eine wunderbare Abstufung der Schattirung vom Kirschroth bis zum Blau des Schmelzes über; und das Wasser, ruhig und eben, strahlte den Wiederschein dieses unendlichen Regenbogenschimmers aus seiner klaren Tiefe zurück. Unter Venedig erschien es gleich einem kupferrothen Spiegel. Niemals hatte ich etwas Schöneres gesehen. Diese schwarze Silhouette, zwischen dem glühenden Himmel und dem flammenden Wasser wie in ein Feuermeer geworfen, nahm jene erhabene Abweichung von der Architektur an, welche der Dichter der Offenbarung wohl auf den sandigen Ufern von Patmos schimmern sah, als er sein neues Jerusalem träumte, das er einer schönen Gemahlin nach der Nachtwache verglich. Nach und nach verdunkelten sich die Farben, die Umrisse wurden bestimmter, die Farben geheimnißvoller. Venedig nahm den Anblick einer unendlichen Flotte an, dann den eines hohen Cypressengehölzes, worin die Kanäle sich wie große silberne Sandwege vertieften.

Von dem Entzücken des Anblicks ermattet senkte sich mein Augenlid, eine wonnige Melancholie ergoß sich über meine Seele, die, in Vergessenheit aller Trübsal der Gegenwart, von Bildern einer großartigen Vergangenheit umgaukelt ward und noch einmal den hingeschwundenen bunten Traum träumte von Venedigs alter Herrlichkeit.

Das waren köstliche vierundzwanzig Stunden, der schönste Punkt einer mehrmonatlichen Reise. Venedig hat noch keinen Besucher unbefriedigt entlassen. Kann es auch mit seinem früheren Pomp, den glänzenden Volksfesten, dem Carneval, dem prächtigen Bucentoro (jener goldschimmernden Barke, auf welcher der Doge nach seiner Erwählung hinausfuhr auf die Lagunen, um dem Meere vermählt zu werden, damit es ihm unterthan sei, wie ein Weib), den alten Regatten (großen Schiffswettrennen) nicht mehr aufwarten, und sah ich auch von seinen verborgenen Reizen, jenen hervorragenden und reichhaltigen Kunstschätzen, nicht den hundertsten Theil: allein und einzig der Anblick jenes zuletzt geschilderten Einbruchs der Nacht war nicht nur ein unvergeßlicher Genuß für mich, sondern noch in der Erinnerung wirkt diese himmlische Natur erwärmend und gewissermaßen poetisch belebend in mir nach, wie kaum ein zweites Erlebniß meiner Reisen.



Zwei Stunden mit der Boa Constrictor.

Wir mußten eine Woche nach der andern bei unserm gastfreundlichen Spanier aushalten, da die Hitze Manilla´s jeden Entschluß und jede Bewegung niedersengte. Ein paar kühle Hauche vom Flusse Passig des Morgens und des Abends war Alles, womit man sich erquicken konnte. An´s Baden war nicht zu denken, da monströse Alligatoren alle Tage Weiber oder Kinder vom Ufer wegschlugen, unter ihre Vorderklauen packten und damit in der Tiefe verschwanden. So blieben wir dabei, Morgens zu frühstücken, dann auf´s Mittagessen zu warrten und Cigarren dazu zu rauchen, Nachmittags mit Rauchen und Schlafen abzuwechseln und dazwischen sich mit dem Warten auf´s Abendbrot zu beschäftigen. Aber eines Morgens nach dem Frühstück stürzte ein Diener hastig herein und rief athemlos: „El serpiente, Senor, el serpiente!“ Eine furchtbare Schlange, ein paar Stunden von hier. Sie hat sich um einen Mangobaum gewickelt und schlägt mit dem Kopfe auf dem Boden umher, daß Steine und Staub drum herum fliegen. Sie will fressen! Die Einwohner des ganzen benachbarten Dorfes haben sich geflüchtet, und eine Deputation draußen bittet um den Schutz des tapfern Don Arturo, dessen Kugel nie fehlt.

Diabolo!“ murmelt Don Arturo, „es muß eine Boa Constrictor sein!“

Wir jubelten in Erwartung einer Zerstreuung, eines Abenteuers auf, und ich besonders hatte mich lange nach dem entsetzlichen Genusse gesehnt, die ungeheure Königin der Reptilien persönlich in ihrer natürlichen Majestät des Häßlichen kennen zu lernen. Don Arturo murmelte, sich eine frische Cigarre anzündend, von Unsinn und Unkenntniß, und erzählte, daß dies kein Spaß sei. Beinahe mit Verlust seines eigenen Lebens habe er einmal einen Reiter mit sammt dem Pferde unter den Umarmungen des Ungeheuers krachend zu einem Klumpen zusammenbrechen hören und sehen. Don Arturo, obgleich stolz als Schütze und jede Ueberlegenheit über seinen Muth in vergangener, gegenwärtiger und zukünftiger Rittergeschichte bestreitend, weigerte sich doch, gegen die Boa Constrictor den Cid oder Don Quixote zu spielen, bis unser und seiner Frau Zureden seinen sehr lockern Muth in der Brust spannte, so daß er sich entschloß, mit uns zu reiten. Don Arturo bestieg also sein Roß mit einem melancholischen Blick auf seine Donna Teresa und beinahe weinerlich ausrufend: „Nun meinetwegen; denn Ihr seid alle entschlossen, meine Tage schnell und grausam zu beenden.“ Donna Teresa lachte ihm mit ihren glänzenden, braunen Augen und schneeweißen Zähnen in´s Gesicht, gab dem Pferde einen derben Patsch und lief kichernd in´s Haus.

Wir erreichten auf unsern frischen Pferden trotz der drückenden Hitze bald die Ebene, wo die Boa Constrictor Logis genommen haben sollte, und eine Menge Volkes aus dem ausgewanderten Dorfe, die unter einander stritten und beriethen, bis sie beim Anblick Don Arturo´s in ein enthusiastisches Lebehoch ausbrachen. Dann erzählten sie schreiend durcheinander furchtbare Geschichten von der Boa Constrictor und andere, die früher Thiere und Menschen schockweise aufgefressen haben sollten. Ich hatte dergleichen wild gefärbte Geschichten der Eingebornen für Uebertreibungen gehalten, und freute mich, nun mit eigenen Augen zu prüfen, was von ihrer Kraft und Grausamkeit, von dem glänzenden Farbenspiel und der schauerlichen Grazie ihrer Windungen wahr sei. So trieb ich vorwärts nach einer mit Mangobäumen bedeckten Tiefe in der Ebene, wo nach Aussage der Menge die Schlange ihr Quartier aufgeschlagen hatte. Wir ritten vorsichtig, Don Arturo jeden Baum vermeidend, da sie die Gewohnheit haben sollte, sich in deren Kronen zu verstecken und mit Blitzesschnelle auf das erste nahende lebende Wesen herabzustürzen und ihm ohne Kündigung das Leben auszupressen. Doch ich lachte und ritt absichtlich unter benachbarte Bäume und versprach den Eingebornen den Leichnam der Schlange, aus welchen sie noch heute das Oel ausbraten könnten, nach ihrer Apothekerweisheit ein untrügliches Mittel gegen Rheumatismus. Einige Eingeborne, die zu Fuße hinter uns her gaps´ten,

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1856). Ernst Keil, Leipzig 1856, Seite 83. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1856)_083.jpg&oldid=- (Version vom 9.4.2017)