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verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

brauchte. Fehlt dieser Stempel oder ist er falsch, so erkennt man sofort den Betrug.

Sind die Briefe gestempelt und gezählt, so gelangen sie zu den Sekretären, die nachzusehen haben, ob sie genug Marken zum Frankiren haben. Es geschieht dies mit bewundernswürdiger Geschwindigkeit, und auf jeden Brief, der nicht richtig frankirt ist, wird das Strafgeld notirt. Die richtig befundenen wandern zu Andern, welche einen Stempel auf die Freimarken drücken.

Das Nächste ist das Sortiren. Die Briefe kommen auf große Tafeln, welche Abtheilungen haben mit Aufschriften, meist von Eisenbahnen, z. B. Great Western, Southeastern etc., und in jede dieser Abtheilungen legt man die Briefe, welche auf der bezeichneten Eisenbahn befördert werden sollen. Eine andere Abtheilung heißt „Schottland,“ eine andere „Irland“ eine andere „Ausland,“ in welche die für Schottland, oder Irland oder das Ausland bestimmten Briefe kommen.

Es giebt aber auch blinde Briefe, d. s. Briefe, auf denen die Adresse nicht sofort gelesen werden kann. Diese wandern zu dem blinden Mann, der die Kunst versteht, die unlesbaren Adressen zu entziffern und dann den richtigen Namen darauf schreibt. Die „blinden Männer“ gehören zu den wichtigsten Personen in der Postanstalt, und es giebt wenige Adressen, die auch von ihnen nicht entziffert werden können. Sie leisten in der That Unglaubliches. Es kommt z. B. ein Brief mit der Adresse „Sromfredevi,“ und nach einigem Nachdenken schreibt „der Blinde“ die richtige Adresse: „Sir Humphrey Davy.“ Auf einem andern steht: „Jonsmeet ne Weasal pin Tin.“ Was soll das heißen? Nichts anderes als John Smith, Newcastle upon Tyne. Kommen Briefe an Geistliche, Aerzte, Adelige, adressirt: „Auf dem Lande,“ „in der Stadt,“ ohne Angabe des Namens des Dorfes oder der Stadt, so werden die Verzeichnisse der Geistlichen, Aerzte etc. im Lande nachgeschlagen, die „der Blinde“ immer neben sich hat, der Name des Adressaten aufgesucht und der Name des Wohnorts zugeschrieben.

Uebrigens ist mir bekannt, daß auch in dem Postamte zu Leipzig ein ähnlicher Wundermann beschäftigt ist, der es durch seine außerordentlichen Local-, Namen- und Personalkenntnisse möglich macht, in den Messen die eingehenden Briefe an die Unzahl der Levi, Simon, Itzig und Meier aus dem Volke Israel in den verborgensten Winkeln des Brühls an den rechten Mann zu bringen.

Nach den Abtheilungen nach Eisenbahnen, Ländern etc., werden die Briefe weiter sortirt; erstens z. B. nach den Zweigbahnen, die von der Haupteisenbahn abgehen; zweitens nach Bezirken, und endlich nach den einzelnen Städten. Die nicht weiter zu sortirenden werden dann in besondere Beutel oder Säcke gepackt. Dadurch daß man die nicht frankirten und die großen amtlichen Schreiben von den andern Briefen sonderte, kann man die letzteren viel schneller und sicherer handhaben.

Es rückt nun die achte Stunde heran, und die Arbeiter alle eilen mehr und mehr, um fertig zu werden, denn um acht Uhr gehen die Wagen nach den Bahnhöfen ab. Das Letzte ist das Verpacken in Beutel oder Säcke. Die recommandirten Briefe begleitet ein Verzeichniß, und an jeden Postmeister geht die Angabe der Summe mit, welche das Briefgeld für die unfrankirten Briefe beträgt, die er erhält. Für diese Summe wird er von dem londoner Postamte belastet.

Mit dem Schlage acht Uhr klopft der die Aufsicht führende Director mit seinem Hammer, und der letzte Briefbeutel muß fertig sein, denn die Zeit ist abgelaufen. Bisweilen werden bis siebzehn Wagen, mit Briefen und Zeitungen beladen, nach den Bahnhöfen gesandt. Es sind diese sogenannten „Eilwagen“ große Omnibusse, die früh zugleich die Briefträger mit auf ihre Stationen nehmen.

An dem Abende, an welchem wir eben zusahen, wurden, wie uns der Director mittheilte, 216,457 Briefe abgesandt.

Im Durchschnitt beträgt eine solche Abendpostsendung in London dem Gewicht nach:

 220 Centner Zeitungen,
  27 Cen„      Briefe,
  6 Cen„      Bücher,
  27 Cen„      die Säcke oder Beutel.

Die Frühpost ist meist nur ein Viertel so stark wie die Abendpost. Im Durchschnitt aber werden täglich von London 267,521 Briefe abgesandt, während täglich 283,225 ankommen.

London versendet im Jahre etwa 54 Millionen Zeitungsblätter. Für jedes muß ein Penny (1 Ngr.) Porto bezahlt werden. Häufig versucht man, solche Zeitungsblätter unter Kreuzband zu legen, um dem Empfänger ein paar Worte mit zu schreiben. Das ist aber verboten und kostet Strafe - 4 Pence (4 Ngr.) für je zwei Loth Gewicht der Zeitung. Da nun die englischen Zeitungen bekanntlich groß und auf starkem Papier gedruckt sind, so wiegt eine Nummer gewöhnlich 4-6 Loth, und das Strafporto kommt also ziemlich hoch.


Blätter und Blüthen.

Die Hutfabrikation in London. Der Gebrauch des Hutes ist bekanntlich unter den Engländern aller Klassen und Lebensalter ein ganz allgemeiner; ein Engländer ohne Hut ist auf seiner Insel eine Unmöglichkeit, und wenn er als Tourist auf dem Festlande diesem Gebrauche bisweilen untreu wird und eine steife Zeugmütze aufsetzt, vielleicht sich dazu gar noch einen Schnurrbart wachsen läßt, so ist mit Sicherheit vorherzusagen, daß das Eine wie das Andere dem Opfertode verfallen ist, so wie er sein heimathliches Gestade wieder betreten will.

Die Fabrikation der Hüte bildet daher in England einen der wichtigsten Geschäftszweige. Man rechnet, daß gegen 60,000 Menschen dabei Beschäftigung finden, und der Werth der alljährlich erzeugten Fabrikate sich auf drei Millionen Pfund Sterl. beläuft, Die Filz- und Castorhüte werden namentlich in Derbyshire und Glocestershire gearbeitet und roh nach London versandt, wo sie geformt und staffirt werden; Seidenhüte liefern namentlich London, Manchester, Liverpool, Birmingham und Glasgow jährlich etwa drei Millionen Stück.

Die Hüte werden dort wie bei uns theils im Ganzen gefilzt, theils mittelst Unterlage und Plüschüberzug hergestellt. Zur Anwendung kommen die Haare der angorischen Ziege, des peruanischen Schafes, Lama’s, Bibers etc., vor allem aber Kaninchenhaare in großer Masse und außerordentlicher Feinheit. Dort trifft man häufig Kaninchenzuchtanstalten, deren Gehöfte aus Gärten, mit Mauern umschlossen, und in einer solchen Ausdehnung zum Vortheil des Gutsherrn ausgebeutet werden, daß der Pächter einer solchen Anstalt zuweilen 1500 bis 2000 Pfund Sterling jährlichen Pacht zahlt.

Die Engländer legen großen Werth darauf, daß der Hut möglichst leicht sei. Man sieht darum an den Schaufenstern der londoner Hutläden Waagen angebracht, auf deren einer Schale der Hut, auf der andern das Gewicht liegt. Hierin besteht nun ein großer Wettkampf. Liefert der Eine Hüte zu 12, 11 oder 10 Loth, so hat sie sein Nachbar zu 9, 8 bis 41/2 Loth Gewicht. Fort und fort sinnen die Hutfabrikanten darauf, wie sie ihre Waare immer leichter, und zugleich dauerhaft und wohlfeil liefern können. Man macht die Hutgestelle, welche mit dem Plüsch überzogen werden, aus Pappe, Kattun, Pferdehaarzeug, dünnen Korkplatten etc. Die Korkblätter sind so dünn wie Schreibpapier geschnitten und erhalten der bessern Haltbarkeit wegen einen Ueberzug von feiner in Kautschuk getränkter Gaze.

Nächst der Leichtigkeit verlangt man von dem Hute auch noch Wasserdichtheit und besonders Luftdurchzug. Der kaltblütige Engländer hält die Ansammluug von erwärmter Luft im Innern des Hutes meist für schädlich und hält daher große Stücke auf seine ventilating hats. Zur Erzeugung der Luftcirculation sind eine Menge Einrichtungen ersonnen worden; der Eine wählte seine Unterlage darnach, wie die Roßhaar- oder spitzenzgrundartigen gesteiften Zeuge, ein Anderer brachte eine Drehscheibe oder Klappe im Hutboden an, ein Dritter versteckte feine Röhrchen in die Wandung des Hutes, deren Außenmündungen durch die überliegenden Haare verdeckt wurden u. s. w. Als eine weitere Verbesserung soll es gelten, daß der Kranz des Hutes, der am Kopf anschließt, aus einem Kautschukstreifen besteht; ein solcher Hut soll sich dicht an den Kopf anschließen, ohne zu drücken.

„Aus der Fremde“ Nr. 7 enthält:

Leiden und Abenteuer einer jungen Frau. - Ein amerikanischer Philosoph. (Mit Abbildung.) - Die New-Yorker „beste Gesellschaft" (Schluß). - Aus allen Reichen: Bowring über den Kindermord in China. - Gesetzumgehung.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1856). Ernst Keil, Leipzig 1856, Seite 100. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1856)_100.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)