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verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

reformirten sich mehrere durch Redaktionswechsel, „der Philadelphia-Demokrat“ durch Dr. Kellner, die „Illinois-Staatszeitung“ durch Dr. Hillgärtner, „die freien Blätter“ in Albany durch Otto, genannt Reventlow, „die freie Presse“ durch den Redakteur des „Corsar“, H. L. Wittig, „die deutschen Monatshefte“ von Kolatschek bekamen im Verlage von P. Bernhards in New-York neues Leben. P. Bernhard setzt auch die 33 Bände von Meyer’s „Universum“ und Meyer’s „Volksbibliothek“ (60 Bände) fort. Deutsche Klassiker und Bücher erscheinen fuderweise in prächtigen, spottwohlfeilen Nachdrucken, z. B. Heine’s sämmtliche Schriften, die bei Campe etwa 50 Thaler kosten, vollständiger als bei Campe für 7 Thaler. Schäfer und Konradi in Philadelphia bringen eine „Illustrirte Jugend- und Hausbibliothek“ in 12 Bänden mit 1700 Abbildungen.

Von Buch- und Kunsthandlungen, musikalischen und Tanzinstituten, gymnastischen Turn- und Fechtschulen, deutschen Apotheken, Gasthöfen und Kneipen ließe sich manches Interessante und Ueberraschende sagen, sogar blos statistisch. Denn New-York mit seinen 1500 deutschen Bier- und Frühstücksstuben, worin man bis Nachts ein Uhr fortwährend frühstückt, steht durchaus nicht allein so deutsch illustrirt da. Um Philadelphia herum sieht’s noch viel deutscher aus. Und Cincinnati ist bis auf 10—20 Meilen in’s Land hinein fast ausschließlich deutscher Ackerbau, deutsche Schweinezucht, deutsche Weinkultur mit Oelgemälden und Fortepiano’s in deutschen Bauerstuben.

Ich erwähne nur noch, daß es in den vereinigten Staaten von Nordamerika 215 deutsche Gasthöfe erster Klasse giebt, in Boston 8, in Buffalo 5, in Chicago 6, Detroit 4, in Freeport 6, in Galena 8, Louisville 13, Memphis 5, in New-York 12, in Sacramento (Kalifornien) 8, in St. Franzisko 12. Von den industriellen und Bildungsinstitutionen, in welchen die Deutschen theils schon herrschen, theils überwiegenden Einfluß haben, giebt es noch keine genau statistisch gesammelten Thatsachen, da sich die deutsche Wirksamkeit gerade hier am weitesten verbreitet und bis in unerforschte Urwälder verliert.

In Amerika wird das Germanenthum seine Mission am ersten erfüllen, weil es hier die meisten Vertreter und Streiter findet. Diese Mission erfüllt sich ohne Aufsehen, sicher, ununterbrochen durch bloßes deutsches Leben, Arbeiten, Produciren, Essen und Trinken, Wirthschafte, Turnen und Tanzen, durch gedrucktes, gesungenes und gesprochenes Wort. Diese Art der Wirksamkeit ist unscheinbar, unmerklich, unbesiegbar, nicht durch einzelne Anstrengungen und Siege, auf welche eine Niederlage folgen könnte, nein, sie bildet allmälig die wahre Kultursubstanz, welche immer nur dann substantiell war und siegend, erlösend über die Welt ging, insofern sie von Deutschland ausging, wie einst das Christenthum, der Feudalismus, die Buchdruckerkunst, das Schießpulver, das Spinnrad, die Dampfmaschine (eine ursprünglich nürnberger Erfindung), die Philosophie, die Naturwissenschaft, der Kosmos. Das Schaffen, Erfinden, Reformiren war der großen Menge immer unbequem. Früher verbrannte und mordete man deshalb nicht selten Heilande, um ihnen ein Jahrhundert später Denkmäler zu setzen. Im Ganzen ist aber die Welt jetzt so aufgeklärt, daß man deutsche Erfinder und Verbesserer im schlimmsten Falle durchprügelt, im Ganzen aber doch größtentheils blos schief ansieht und ihnen ihre Ideen abkauft, welche dann doch die Welt bewegen.




Blätter und Blüthen.

Eine Erinnerung an Schiller. Die Karlsschule in Stuttgart war zu ihrer Zeit bekanntlich eine der bedeutendsten wissenschaftlichen Anstalten Deutschlands; ihr Ruhm wurde noch durch den Umstand vermehrt, daß einer der ersten Dichter der deutschen Nation in ihr seine Bildung erhielt. Freilich hat wohl nicht diese berühmte Lehranstalt Friedrich Schiller zu dem gemacht, was er geworden ist, wie denn überhaupt die Bildung dem Menschen das nicht geben kann, was er nicht schon der Anlage nach besitzt; allein die Bildung hat ihren Zweck vollständig erreicht, wenn sie die Anlagen und Fähigkeiten der Schüler richtig erkennt und dieselben vernünftig zu entwickeln sucht. Dieses Verdienst müssen wir ohne Zweifel der Karlsschule in Beziehung auf unsern Schiller zugestehen und dasselbe ist um so höher anzuschlagen, als im vorigen Jahrhundert noch die wunderlichsten Begriffe der Aufgabe und Zweck der Bildung herrschend waren.

Darum mögen auch die nachkommenden Geschlechter mit Dank und Verehrung des hohen Stifters der Karlsschule eingedenk sein; wäre aus ihr auch nur der einzige Schiller hervorgegangen, so hätte sie für mehrere Menschenalter, ja für mehrere Nationen das Verdienst, das Saatkorn zu einer segensreichen Frucht gepflegt zu haben, die nun die ganze Menschheit erntet. Aber die Karlsschule hat auch noch andere Geister zur Reife gebracht — die zwar nicht die universelle und geniale Bedeutung haben wie Schiller, allein immerhin in ihrer Lebensstellung eine hervorragende Stufe eingenommen haben: wir erinnern nur an den Professor und Hofmaler Viktor Heideloff, den berühmten Bildhauer Dannecker, den Obermedicinalrath von Hofen, Professor in Würzburg, Kapf, Minister des Innern in Stuttgart, den Dichter und Hofkupferstecher Schlotterbeck u. a. m. Das war eben das nicht genug zu würdigende Verdienst unserer Anstalt, daß sie zuerst den Menschen bildete und von diesem sichern und festen Kern aus den Keim der besondern Anlage und Berufsneigung mit Naturnothwendigkeit kräftig herausstrahlen ließ. Die Karlsschule hat der Kirche, der Schule, der Kunst, der Wissenschaft, der Politik, der Architektur, dem Militär u. s. w. ihre Jünger zugeführt: welchem Lebensberuf sie auch angehörten, er ruhte auf der breiten Unterlage eines tüchtigen Charakters, aus der erst die wahre humane Gesinnung erblühen kann. Es ist dies eine Methode der Erziehung, die in neuerer Zeit gewöhnlich nicht genug berücksichtigt wird. Man will heutzutage lieber mit dem Vielerlei des Wissens glänzen, als daß man sich in Dasjenige vertiefte, was allein noth thut.

Es war im Jahre 1828, als mehrere ehemalige Karlsschüler sich verabredeten, den Geburtstag des Stifters der Karlsschule, des Herzog Karl in dankbarer Weise zu begehen. Der Gedanke fand allgemeinen Beifall und der 11. Februar, an welchem Tage der Herzog Karl das Licht der Welt erblickte, wurde im Jahre 1828 von den Karlsschülern und ihren Söhnen zum ersten Mal festlich begangen. Damals waren die Feiernden noch eine zahlreiche muntere Schaar, und auch die folgenden Jahre, wo die Feier nun regelmäßig stattfand, war immer noch ein ansehnliches Häuflein vorhanden, das den bedeutungsvollen Erinnerungstag mit dankbarer Freude beging. Seither ist nun freilich wieder eine schöne Zeit vergangen; wie es in der Natur der Dinge liegt, ist inzwischen die Lebensuhr eines Manchen abgelaufen, der die Karlsschule noch besucht hatte, und bei den noch wenig Ueberlebenden weis’t der Zeiger auf die letzte Stunde. Schon seit mehreren Jahren ist die Zahl der festfeiernden Zöglinge sehr zusammengeschmolzen. Es sind zwar noch manche im In- und Auslande, und namentlich in Stuttgart selbst am Leben, obschon der Jüngste die Siebenzig überschritten hat; doch wird die Zahl derer, welche an der jährlichen Erinnerungsfeier theilnehmen, in steigender Progression eine geringere, weil Alter und Gebrechlichkeit nicht nur die Auswärtigen von der Reise, sondern auch die Hiesigen von der Betheiligung an einem festlichen Essen häufig abhalten. So waren es im verflossenen Jahre nur drei Karlszöglinge, welche den Geburtstag ihres großen Lehrers in der üblichen Weise begingen; den Söhnen, welche seit mehreren Jahren die größere Zahl der Gäste bilden, fehlt die lebendige Erinnerung, um in dem Jubel, mit welchem ihre Väter das Andenken an „Karl Herzog“ feiern, mit der gleichen Begeisterung einzustimmen. Der entschlafene Dichter Schlotterbeck, selbst Lehrer an der hohen Karlsschule, hat eine Flasche damals jungen 34er Weines gestiftet, damit sie der Letzte von ihnen leeren, und dabei aller vor ihm Heimgegangenen gedenken solle; die Flasche, wohl verzinnt, ist getreulich aufbewahrt worden. Da beschlossen bei der letzten Feier die drei alten Herren, das nächste Mal „die Flasche gemeinsam zu leeren, weil es doch für den letzten schmerzlich sein müsse, dies allein zu thun. Einer dieser Drei ist auch in den letzten Wochen geschieden; die beiden anderen aber hatten auch dies Jahr wieder alle noch lebenden Karlsschüler und ihre Söhne zur Feier des 129. Geburtsfestes des verewigten Herzogs Karl auf den 11. d. nach Stuttgart eingeladen.

Die diesjährige Feier war vor vielen andern eine ausgezeichnete. Das schöne Frühlingswetter, dessen wir uns schon seit mehreren Tagen erfreuen, begünstigte die Theilnahme, so daß gegen Erwarten das diesjährige Fest zahlreicher, als das letztiährige besucht war. Es waren fünf Karlszöglinge und dreizehn Söhne von solchen anwesend; das letzte Jahr, wie gesagt, nur drei Zöglinge und eilf Söhne von Zöglingen. Ein kordiales Mahl auf dem obern Museum bildete den Mittelpunkt des Festes, wobei manches Hoch und manches Gedicht auf den Stifter der hohen Karlsschule und deren Angehörige die ernste und heitere Stimmung erhöhte.

Bei dieser Gelegenheit stellte der bekannte Karl Heideloff, Sohn des Karlsschülers, ein kleines, aber ergreifende Wirkung ausübendes Aquarellbild, den berühmtesten Karlsschüler, Friedrich Schiller, darstellend, welcher seinen Kameraden sein dramatisches Erstlingswerk, die Räuber, vorträgt, aus. Da dieses Bild nach einer flüchtigen Skizze ausgeführt ist, welche der Vater Karl Heideloff’s, Augenzeuge einer Vorlesung, entworfen hat, so glauben wir einem größern Leserkreise einen willkommenen Dienst zu erweisen, wenn wir aus der schriftlichen Erklärung, welche Heideloff seinem Gemälde beigefügt hat, einen Auszug mittheilen. Derselbe ist kein unwesentlicher Beitrag zu Schiller’s Lebensgeschichte.

Es hatte in der Anstalt im Jahre 1778 eine epidemische Krankheit sich ausgebreitet, von welcher auch Schiller und seine Freunde und damaligen Studiengenossen Dannecker, Viktor Heideloff, von Hofen, Kapf und Schlotterbeck ergriffen wurden. Sie befanden sich zusammen in einem Krankenzimmer und waren, ungeachtet sie als Patienten und Reconvalescenten behandelt wurden, dennoch oder vielleicht gerade deshalb unter der strengsten disciplinären Aufsicht. Es war ihnen jede Anstrengung untersagt, so daß Schiller, der damals sich mit den „Räubern“ trug, öfters seine Gedanken unter der Bettdecke verstohlen mit Bleistist niederschreiben mußte. Ein Krankenwärter übte jedoch Nachsicht mit den jungen Leuten, so daß

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verschiedene: Die Gartenlaube (1856). Ernst Keil, Leipzig 1856, Seite 111. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1856)_111.jpg&oldid=- (Version vom 9.5.2017)