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verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

No. 9. 1856.
Die Gartenlaube.
Illustrirtes Familienblatt. – Verantwortl. Redakteur Ferdinand Stolle.
Wöchentlich 1½ bis 2 Bogen. Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.


Napoleon´s Hüte.

Während meines Aufenthaltes in Paris lernte ich den jungen Maler Anatol St. kennen, dessen Kreidezeichnungen auch bei uns Deutschen sehr geschätzt werden. Anatol stand, wie ich, im fünfundzwanzigsten Lebensjahre, er war ein Mann von Geist und Gemüth und dabei die Offenheit und der Frohsinn selbst. Ehe ich recht wußte, wie es gekommen, waren wir Freunde geworden, und wir trafen uns täglich zu gemeinschaftlichen Spaziergängen.

„Begleiten Sie mich!“ sagte er eines Tages, nachdem wir in einem Café Billard gespielt hatten.

„Wohin?“

„Zu einem Hutmacher. Meine Kopfbedeckung ist so schlecht, daß ich einer neuen bedarf, zumal da ich in vierzehn Tagen eine Reise zu machen gezwungen bin. Wie wäre es,“ fügte er lebhaft hinzu, „wenn Sie mich auch auf der Reise begleiteten? Sie werden meinen Onkel kennen lernen, einen alten vortrefflichen Mann, dem ich jährlich einen Besuch in seinem einsamen Dorfe abstatte.“

„Ich werde den freundlichen Vorschlag in Erwägung ziehen.“

„Erwägen?“ fragte Anatol mit einem vielsagenden Lächeln. „Sie sind mein Gast, nur so lange als wir uns auf der Reise befinden, ersparen Sie sich die Ausgaben in Paris. Eine Ausflucht lasse ich nicht gelten – reisen Sie mit mir!“

Es war nicht möglich auszuweichen, und ich gab gern meine Zustimmung, da ich während meines Aufenthaltes in Paris, der sich nur noch bis zum Herbste ausdehnen sollte, den Umgang mit dem liebgewordenen Freunde so wenig als möglich entbehren wollte.

Wir standen vor dem glänzenden Laden eines Hutmachers.

„Der Munificenz des genannten Onkels verdanke ich, daß ich für dieses Jahr meinen Calabreser aus dem besten Magazine von Paris kaufen kann,“ sagte Anatol, indem er die hinter den großen Spiegelscheiben aufgestellten Hüte musterte. „Ah, dort ist meine Façon, folgen Sie mir!“

Mein Freund öffnete die Thür, und wir traten in ein prachtvolles Magazin. Einige Tausend Hüte von allen Farben und Formen standen und hingen in musterhafter Ordnung rings umher. Drei Diener waren bereits mit Käufern in Unterhandlungen begriffen. Ein alter Mann, der an einem Pulte mit Schreiben beschäftigt war, sah uns eintreten; er zog an einer Klingelschnur, und gleich darauf erschien ein junges Mädchen, um uns zu bedienen. Anatol vergaß fast, sein Verlangen auszusprechen. Wie erstarrt sah er die Verkäuferin an, die, ich muß es bekennen, von so seltener Schönheit war, daß sie einen jungen Mann wohl außer Fassung bringen konnte, und vorzüglich wenn er ein französischer Maler ist. Ihre einfache und geschmackvolle Toilette zeichnete die elegantesten Körperformen ab. Das zarte Gesicht hatte etwas madonnenartiges in Schnitt und Ausdruck. Das blonde Haar bildete einen wellenförmigen Scheitel und spielte in kurzen, schweren Locken in den schneeweißen Nacken herab. Sie schien die Wirkung ihres Anblicks nicht zu bemerken, in einer freundlich bescheidenen Weise, die mit der der gewöhnlichen pariser Verkäuferinnen nichts gemein hatte, fragte sie nach dem Wunsche des Käufers. Anatol faßte sich, und bat, ihm Calabreserhüte vorzulegen. Bald lagen die Geforderten in allen Farben auf dem glänzenden Ladentische. Die Wahl unter den geschmackvollen Fabrikaten war in der That schwer.

„Mademoiselle wird die Güte haben und entscheiden,“ sagte Anatol, indem er einen braunen Hut auf seinen schwarzen Lockenkopf setzte.

„Ich würde zu einer hellern Farbe rathen,“ antwortete sie mit einem entzückenden Lächeln.

Sie überreichte einige weiße und graue Hüte mit dem Bemerken, daß ein frisches Gesicht und dunkeles Haar solche Farben erfordere. Anatol prüfte einen weißen Hut und trat vor einen großen Spiegel. Der Maler sah wirklich verführerisch aus. Ich warf einen Blick auf das Mädchen – erröthend trat es von dem Spiegel zurück, aus dem Anatol ihm entgegenlächelte. Der Käufer zahlte ohne zu dingen den geforderten Preis, der kaum die Hälfte von dem betrug, den wir erwartet hatten. Das Geschäft war zu Ende; aber um einen Vorwand zur Wiederkehr zu haben, ließ Anatol seinen alten Hut zurück. Das junge Mädchen überreichte ihm eine Marke mit einer Nummer.

„Es bedarf nur des Vorzeigens derselben,“ fügte sie mit einer Verbeugung hinzu, „und Sie erhalten Ihr Eigenthum zurück.“

Wir grüßten und verließen das Magazin.

„Bei meiner Ehre,“ rief Anatol begeistert, „jenes Mädchen erinnert mich an die christlichen Engel des Chiotto! Wer hätte eine so seltene Schönheit in einem Hutmagazine erwartet!“

Ich erinnerte ihn an den billigen Preis.

„Ach,“ rief er aus, „mir scheint, der Hut kommt mir dennoch sehr theuer zu stehen, denn die liebenswürdige Verkäuferin wird alle meine Gedanken in Anspruch nehmen. Ich wiederhole es, sie ist ein Engel!“

Während des nun folgenden Spazierganges war das Mädchen fast ausschließlich der Gegenstand unsers Gesprächs, und mir blieb kein Zweifel darüber, daß der arme Anatol sich bis über die Ohren verliebt hatte. Als ich ihn am folgenden Tage gegen Mittag in seiner Wohnung besuchte, hatte er eine Skizze in Kreide vollendet – er zeigte mir einen Engelskopf, der dem schönen Mädchen von gestern täuschend ähnlich sah.

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1856). Ernst Keil, Leipzig 1856, Seite 113. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1856)_113.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)