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verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

“Der nun folgende Hut ist der des Anfangs des Kaiserreichs. Napoleon trug ihn bei Austerlitz. Er ist von zwei Kugeln durchlöchert. Wie Sie sehen, ruht er auf Lorbeeren, und die Sonne, die sich erhebt, um eine Welt zu erleuchten, umstrahlt ihn mit einer glühenden Glorie.

“Hier, meine Herren, ist der höchste Glanzpunkt des Kaiserreichs: betrachten Sie den Hut von Ehlau, von Eßlingen, von Wagram und der Moskwa! Ich wage keck die Behauptung, daß seine Form vollkommen geworden ist. Bemerken Sie, wie fest er steht, wie kräftig der Vordertheil sich abrundet und wie kühn der Hintertheil sich erhebt! Die Rundung ist einfach, schön und energisch. Das ist ein wahrhaftes Symbol der Kraft und Allmacht! Kein anderes Haupt als das Napoleon’s konnte einen solchen Schmuck tragen!

“Der Hut erlitt nun keine Veränderung mehr, wohl aber sein Glück. Hier ist der Hut von Moskau. Die heilige Stadt brennt, und der Hut, zum Schutze gegen die Kälte eingerichtet, hat weiter keine bedeutungsvolle Form. Mein Neffe, Lieutenant in der jungen Garde, hat ihn aus dem Schnee aufgerafft und treulich meinen Händen überliefert. Moskau ist die erste Stufe, die zum Verfalle führt.

„Diesen Hut, meine Herren, habe ich mir aus dem Elysèe- Bourbon selbst genommen, nach der Rückkehr von Waterloo. Zerrissen und zerdrückt, wie er ist, bietet er ein wahres, rührendes Bild. Ich ziehe ihn dem Hute von Wagram, selbst dem von Austerlitz vor. Ich habe ihn auf eine öde Fläche gelegt. Der kaiserliche Adler ist durch den Blitz niedergeschmettert, und ein leuchtender Stern durchbricht einen düstern Himmel.

„Endlich, meine Herren, betrachten Sie den Hut von St. Helena. Marchand hat ihn einige Zeit vor dem 4. Mai auf einem Felsen gefunden, wohin ihn der Zufall geworfen hatte. So treu als möglich habe ich die Gegend wiedergeben lassen. In der Ferne sieht man das Meer, das den großen Napoleon gefangen hält. Eine schwarze Fahne flattert auf dem starren Felsen von St. Helena, um den beiden Welten anzukündigen, daß der größte Mann des Jahrhunderts aufgehört hat zu leben.“

Papa Henri schwieg, und trocknete sich die feuchten Augen.

Hatte ich Anfangs bei diesem emphatischen Berichte eine leise Lachlust nicht unterdrücken können, so gewann ich doch nach und nach dafür einiges Interesse, und als der greise Redner geendet hatte, waren wir Alle bewegt. Gerührt reichte ich dem würdigen Alten die Hand. Der Kapitain erklärte, daß er es für eine Sünde hielte, dieser historisch wichtigen Sammlung auch nur einen Gegenstand zu nehmen.

„Noch heute gehe ich an die Arbeit!“ rief Anatol begeistert. „Man soll erfahren, daß der würdige Sammler sich ein eben so großes Verdienst um die Welt erworben hat, als die Geschichtsschreiber!“

Der Greis umarmte den jungen Mann.

„Und nun, meine Freunde, folgen Sie mir zu einem kleinen Frühstück. Wir wollen das Andenken an die Heldenzeit bei einem Glase Wein feiern.“

Wir betraten einen geschmackvoll eingerichteten Saal des Erdgeschosses. In der Mitte desselben stand ein reich besetzter Tisch.

„Meine Enkelin!“ sagte Vater Bourdaloue, indem er uns eine junge Dame vorstellte. „Sie ist vor einigen Tagen von Paris angekommen, um meine kleine Wirthschaft zu führen. Georgette versteht es, ein dèjeuner à la fourchette einzurichten. Sie hat heute ihre erste Probe abgelegt.“

Eine neue, größere Ueberraschung stand uns bevor. Georgette war keine Andere, als die reizende Verkäuferin aus dem pariser Hutmagazine. Ich unternehme es nicht, die freudige Bestürzung des wackern Anatol zu schildern, der sich so plötzlich in die Nähe der Geliebten gebracht sah. Aber auch Georgette erröthete, und in sichtlicher Befangenheit versah sie die Obliegenheiten der Hausfrau. Wir saßen zwei Stunden bei Tische. Beim Scheiden wiederholte Anatol sein Versprechen, das Werk noch heute zu beginnen. Daß er Wort gehalten, bedarf wohl keiner Erwähnung. Am folgenden Morgen, während Anatol in dem Museum des Herrn Bourdaloue arbeitete, machte ich mit dem Abbé Loustalot einen Spaziergang. Er wollte mich über seinen Neffen ausforschen, dessen Befangenheit Georgette gegenüber er bemerkt hatte. Ich glaubte dem Freunde einen Dienst zu leisten, und erzählte das Abenteuer in dem Hutladen, wie überhaupt Alles, was auf Anatol’s Liebe Bezug hatte. Der alte Mann lächelte und drückte mir mit einer Miene die Hand, als ob er sagen wollte: das ist mir lieb. Vier Tage blieb ich in Saint Malo. Ich nahm es dem Freunde nicht übel, daß er den größten Theil der Zeit in dem Museum zubrachte. Am Morgen meiner Abreise gab er mir eine Kopie der Hüte Napoleon’s.

„Wie steht es?“ fragte ich. „Werden Sie Ihren Hut als eine Reliquie einer entschwundenen schönen Zeit aufbewahren müssen ?“

„Aufbewahren – ja; aber vielleicht als einen Heirathsprocurator.“

Er schloß mich in seine Arme und küßte mich. Erfreut über sein Glück reis’te ich nach Paris zurück. Sechs Wochen später sandte er mir eine von seiner Hand gezeichnete Verlobungskarte und eine Lithographie der Napoleonshüte, dieselbe, nach der vorstehende Zeichnungen gefertigt sind. Im September reiste ich nach St. Malo, um Anatol’s und Georgette’s Hochzeitsgast zu sein. Der Calabreser lag unter einer Glasglocke in dem Museum. Er war dem glücklichen Maler der kostbarste in der ganzen Sammlung.



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verschiedene: Die Gartenlaube (1856). Ernst Keil, Leipzig 1856, Seite 116. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1856)_116.jpg&oldid=- (Version vom 21.8.2021)