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verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

Unterschrift „Königl. Thalamt“ entgegen. Ueber den schwarzen, schmutzigen Boden der Halle führen nur schmale gepflasterte Wege; ohne Ordnung ist hier und da ein Häuschen hingestellt, und schwerer Kohlenrauch wälzt sich, je nach der Richtung des Windes, wie graue Nebelwolken über die schwarzen Dächer, an den rothen Backsteinwänden und dem kohlschwarzen Boden hin. Steigt man die Treppe hinab, welche von der Brüstung ins „Thal“ führt, so betritt man einen Stadttheil, der in die Zeiten der Entstehung der Städte zurückversetzt. Denn ringsum liegen eine Menge schmutzig gelb oder grün angestrichener Häuschen mit zwei bis drei niedrigen Stockwerken, niedrigen Hausthüren, dunklen ungedielten Hausfluren und engen Höfen. Die Häuser liegen in allen Richtungen durcheinander, bilden eine Menge Gassen, „Schlupfen“ und „Säcke,“ daß an einzelnen Stellen eine beleibte Person nicht hindurch kann und selbst der Eingeborne Mühe hat, sich durch dieses Labyrinth der Gassen hindurch zu finden. Dies ist das uralte Halle und war lange Zeit hindurch ausschließlich von Halloren bewohnt.

Abseits von diesen hölzernen Häusern ziehen sich die Halle entlang von Osten nach Westen zwei lange Gebäude, von denen das südliche zwei hohe Schornsteine trägt, aus denen Tag und Nacht schwarze Rauchwolken emporwirbeln, während aus zwei niedrigen Schornsteinen der Dampf entweicht, denn in ihnen befinden sich „die Kothen.“ (Dieselbe Bestimmung hat das gegenüberliegende Gebäude, neben dessen Ostende das Thalamt liegt.) Unter dem vorspringenden Schieferdache der Kothen stehen oder sitzen auf hölzernen Bänken Männer mit eigenthümlicher Kleidung. Den runden Kopf mit den kurz geschorenen schwarzen Haaren bedeckt eine napfartige Kappe aus geflochtenem Stroh, die etwa 1½ Zoll hoch ist und sich nach oben ein wenig verengt. Die Jacke von buntem Kattun, seltner ein kurzer Rock, legt sich bequem um den Oberleib, die Weste, welche von oben bis unten dicht mit kugelartigen, zinnernen oder silbernen Knöpfen besetzt ist, reicht bis hinein in die Beinkleider von schwarzer Leinwand, die dicht unterm Knie festgebunden sind, so daß die wollenen Strümpfe zugleich festgehalten werden, und leichte Lederpantoffeln endlich bedecken die Füße.

Jene Männer mit der hohen breiten Stirn über den dunkelbraunen Augen, mit der an das griechische Profil erinnernden starken Nase, der stark entwickelten Unterkinnlade und dem brünetten Teint sind Halloren und gehören einem Volksstamme an, über dessen Einreihung in die europäischen Racen die Meinungen noch verschieden sind. Gewöhnlich hält man die Halloren für Nachkömmlinge der vor Karl dem Großen hier ansässigen Wenden; wenn man indessen die technischen Ausdrücke der Salzbereitung und den Namen „Hallore“ sprachlich zu erklären sucht, so giebt die keltische Sprache die genügendste Auskunft, da in jener Sprache z. B. Hallur so viel als Salzbereiter heißt, und die Ausdrücke „Halle, Saale, Thal“ u. s. w. auf einen keltischen Stamm zurückführen, welcher Salz bedeutet. Demgemäß müßte man die Halloren für eine uralte keltisihe Kolonie halten, die sich Jahrtausende inselartig in der germanischen Bevölkerung erhalten hat.

Dies ist um so wahrscheinlicher, als sich die Halloren zu einer bis in’s Kleinste geordneten Korporation abgeschlossen haben, nur unter sich zu heirathen pflegen und noch gegenwärtig viele Reste mittelalterlicher Lehnsverfassung besitzen, obschon gerade in neuester Zeit die Eigenthümlichkeiten zu verschwinden anfangen. Die Frauen haben bereits die uralten Trachten, den faltenreichen Rock, die pelzgefütterten, knopfreichen Spenzer und das kurze Faltenmäntelchen abgelegt, und die Männer haben auch nur die lange geblümte Weste ohne Kragen und mit silbernen Kugelknöpfen, das schmale weiße Halstuch ohne Knoten, die kurzen Manchesterhosen und bis an’s Knie reichenden blank gewichsten Stiefeln behalten, an denen man sie erkennt. Nur bei gewissen Gelegenheiten erscheinen sie in ihrer alterthümlichen Tracht. Denn die Halloren haben außer den Vorrechten des Schwimmunterrichts, des Angelns, des Lerchenstreichens und Vogelfangs, der Sauerkrautbereitung und der Sooleier, auch das, die Leichen nach dem Kirchhofe zu tragen. Wer die Seinigen anständig will begraben lassen, miethet dazu Halloren. Dann erscheinen sie in schwarzem pelzgefütterten Rock ohne Kragen und mit Faltenschößen, mit dem dreieckigen Hute, kurzen Sammethosen, schwarzen Strümpfen, Schnallenschuhen und schwarzem Faltenmantel, der oben eng und unten weit ist und einen niedrigen Kragen hat. Diese Kleider und das Leichentuch sind Eigenthum „der Brüderschaft“, wie sie ihre Korporation nennen, und auch der Ertrag ihrer monatlichen Beiträge fließt in die „Lade“, wie ihre Kasse heißt. Mit großer Gewandtheit wissen sie die Bahre mit dem Sarge zu handhaben und in dem wiegenden Trippelschritt, der nur langsam weiter kommt, wie es bei uns die Sitte verlangt, die vorgeschriebenen Straßen entlang zu tragen, indem die beiden Führer des Zuges, mit einer Citrone in der Hand, bedächtig voranschreiten, die übrigen Halloren neben oder hinter den Trägern gehen, um sie von Zeit zu Zeit abzulösen.

Die Halloren verdienen aber nicht blos ihres eigenthümlichen Aeußern wegen Interesse, sondern auch wegen ihrer uralten korporativen Verfassung, die bisweilen an Kommunismus streift und Elemente enthält, wie sie in den Theorien der Socialisten nicht selten aufgestellt sind. Die Soole oder „das Thalgut“ quillt aus vier Brunnen, die mit einem eichenen Bohlenverschlag ausgefüttert und etwa 30 Fuß tief sind. Die mannigfache Arbeit vom „Schöpfen“ der Soole bis zu deren Verladung auf den Frachtwagen ist bis in’s Kleinste getheilt und zwar so, daß die Arbeiterabtheilungen kleinere Korporationen bilden und staffelförmig vom untersten Dienst bis zum Meister steigen, welche das „Versieden“ zu besorgen haben, und „Salzwirker“ heißen, während die untern Abtheilungen früher nur „Bornknechte“ genannt wurden. Zwar sind auch hier Aenderungen eingetreten, da die Soole jetzt durch eine Dampfmaschine gehoben wird und die 112 alten Kothen, welche einzeln über die Halle zerstreut lagen, zu zwei großen Gebäuden vereinigt sind, aber dennoch ist die „Thalordnung“ aus dem Jahre 1482 noch in Geltung.

Die Soole war ursprünglich nur Eigenthum der Bürger der Stadt, doch mußten seit 841 kraft einer Schenkung Otto’s I. Zehnten an den Erzbischof von Magdeburg gegeben werden. Die Halloren waren nur die Salzwirker, die Kothen selbst gehörten verschiedenen Besitzern, den Pfännern oder Pfannherren oder Salzjunkern, welche, da der Ertrag ein reichlicher war, die Patrizier oder Stadtjunker im mittelalterlichen Halle bildeten. Wie in allen Städten des deutschen Mittelalters, so brachen auch in Halle oft blutige Streitigkeiten zwischen den Pfännern und Innungen aus, so daß sich die Erzbischöfe endlich einmischten, Halle durch List eroberten, die Moritzburg als Zwingburg erbauten, die Kothen an sich nahmen, einen Theil als Eigenthum behielten und das Uebrige als Lehen an die Pfänner zurückgaben. Als Magdeburg an Preußen kam, wurden jene erzbischöflichen Kothen königliches Eigenthum, zugleich aber ward die Belehnung als Form beibehalten, so daß die Halloren bis heute jene Korporationsrechte behalten haben, deren wir hernach ausführlicher gedenken werden.

Die vier Salzquellen oder Brunnen oder Borne geben nicht eine gleiche Quantität Soole, weshalb das Salzsieden nicht eine gleichmäßige Arbeit ist, deren Ordnung um so verwickelter wird, weil die Soolenbesitzer oder Pfänner nur nach einer gewissen Reihenfolge ihr Thalgut in die Kothen zum Versieden bringen dürfen, da Kothenbesitzer die Feuerstellen und Siedeapparate haben, aber keine Soole, die Pfänner dagegen Soole, aber keine Siedehäuser. Die Gemäße der Soolmenge haben eigenthümliche Benennungen; das größte Maaß heißt Stuhl, welcher vier Quart enthält, von denen jedes wieder vierzehn Pfannen hat, die Pfanne wieder fünf Zober und der Zober acht Eimer oder zwölf gewöhnliche Kannen. In den Pfannen, d. h. viereckigen, flachen eisernen Gefäßen, wird die Soole gesotten, indem durch starkes Feuer unter ihnen das Wasser verdunstet und das Salz in Krystallen niederschlägt.

Die Soole aus den Quellen bis in die Pfannen zu schaffen, war die Arbeit der Bornknechte, die wieder verschiedene Abtheilungen bildeten, die sich in „Schichten“ theilten, da sie sich nach gewissen Stunden ablös’ten. Die Haspler drehten die Winde, an denen die Eimer hinab und herauf im Salzbrunnen gingen, und die Radtreter hatten dabei das Rad an dem Ziehbrunnen zu treten, während die Stürzer den heraufgewundenen Schöpfeimer faßten und die Soole in den Trog oder Kahn schütteten, aus welchem die 2½ Centner schweren Zober gefüllt wurden, welche die Träger auf der Schulter behend nach den Kothen trugen, nachdem der Zapfer am Kahn den Zapfen zum Auslaufen der Soole in den Zober aufgestoßen und wieder eingesteckt hatte. Damit der Träger einen sichern Gang hatte, mußte der Stegeschaufler den Bretterweg in gutem Stande erhalten, der Rufer aber in den Kothen die Zahl der eingetragenen Zober anmelden und der Spulzieher die Gossen in Ordnung halten, in denen die Unreinigkeiten aus den Kothen in die nahe Saale flossen. Jetzt wird die Soole durch eine Dampfmaschine mitten in der Halle gehoben und in die Kothen geleitet.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1856). Ernst Keil, Leipzig 1856, Seite 118. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1856)_118.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)