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verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

„Helas, mon Capitaine, das knallt Ihnen wohl zu sehr — ja, man muß das Ding schon gewöhnt werden, sonst springt das Blut leicht heraus,“ schmunzelte der alte Kanonier.

Doch in demselben Augenblick zeigte ein Flammenblitz und ein Knall aus den russischen Werken, daß der Schuß des Alten große Verwüstungen in denselben angerichtet haben müsse.

Ein lautes vive la France, vive l’empereur aller Kanoniere der ganzen Batterie erscholl über diesen glücklichen Schuß, und der geschickte Artillerist, der ihn gethan, war nicht wenig erfreut darüber, rieb sich seine schwarzen Fäuste und meinte wohlgefällig: „Ja, ja, mein Kapitain, der alte Mathieu versteht’s schon, und nicht umsonst hat vor zwanzig Jahren der Sergeant mir in der Citadelle von Straßburg das richtige Zielen beigebracht.“

Dieser glückliche Schuß, der den Russen vielen Schaden zugefügt haben mußte, denn aus der Stelle, wohin derselbe gerichtet gewesen, ward ihr Feuer jetzt merklich schwächer und unsicherer wie vorhin, hatte die Artilleristen der Batterie in eine besonders gute Laune versetzt. Mitten in dem Kanonengebrüll und dem Getobe und all’ dem Gelärme um sie herum, versuchten dieselben die Marseillaise anzustimmen, und wenn auch die Hälfte der Strophen unverständlich blieb, und von dem Donner der Geschütze übertönt wurde, so klangen doch einzelne Worte dieses Schlachtgesanges desto lauter hindurch.

„Die Marseillaise ist jetzt eigentlich nicht mehr gestattet bei uns, mein Kapitain, und wenn man in gewissen Kreisen in Paris diesen Gesang hörte, würde man gewiß ziemlich schiefe Gesichter dazu schneiden,“ meinte einer der Lieutenants scherzend zu dem Kapitain Z., wie so eben in einer augenblicklichen Pause des Geschützdonners der Chor recht deutlich und hörbar wurde.

„Was kümmert’s mich?“ antwortete der. „Laßt diese vornehmen Herren aus Paris hierher kommen, und diese Batterie selbst bedienen. So lange meine Kanoniere nur noch im russischen Geschützfeuer des Malakoffthurmes singen mögen, ist es mir gleich, was für einen Gesang sie sich wählen, und mit diesen die Marseillaise singenden Kanonieren schießen wir doch Sebastopol zusammen, mögen die Russen sich auch noch so sehr vertheidigen. Es hilft ihnen nichts, unsere Fahne muß auf dem Malakoff wehen.“

In demselben Augenblick, als der Kapitain Z. diese Worte so zuversichtlich sprach, kam eine russische Vollkugel angesaust und riß dem neben ihm stehenden Kanonier, der sich etwas über die Brüstung gelehnt hatte, den Kopf ganz glatt vom Rumpfe fort, so daß das Blut dem Kapitain im dicken Strahl förmlich in das Gesicht spritzte.

„Ach, das ist kein angenehmer Geschmack,“ rief dieser aus, denn er mußte von dem warmen Blut viel in den Mund und in die Nase bekommen haben, und wischte sich mit dem Taschentuch sein Gesicht ab, welches ganz roth gefärbt aussah. Gleich darauf befahl er aber in so ruhigem Tone, als wenn nicht das Mindeste vorgefallen sei, den Körper des Getödteten, der bei der Haubitze lag, in einen Winkel zu tragen, und rief dann die nächste Nummer der Reservemannschaft, die etwas geschützt neben der Brustwehr sich zusammengekauert hatte, um etwas von der gehabten Anstrengung auszuruhen, herbei, die Stelle des Erschossenen einzunehmen.

Durch diesen so plötzlichen Tod des Kanoniers, der mit einer der Vorsänger gewesen war, erschüttert, hatten die übrigen Artilleristen für den Augenblick ihren Gesang eingestellt.

„Donnerwetter, warum singt Ihr denn nicht weiter. Ihr werdet Euch doch nicht durch diese Russen in Eurem Vergnügen stören lassen? Das wäre denselben doch zu viel Ehre erwiesen!“ rief Kapitain Z. „Es lebe die Parisienne!“ und damit fing er mit seiner krächzenden Stimme an:

Par la voix du canon d’alarme,
La France appelle ses enfants.

und jubelnd fielen die Artilleristen in den Gesang ein, und mochten nun die russischen Kanonen des Malakoff auch noch so viel gegen diese vorgeschobene Batterie donnern, und es in der Luft von Bomben und Raketen zischen und pfeifen, als hätte die Hölle ihre Janitschaarenmusik angestimmt, der Gesang der Kanoniere ward dadurch nicht weiter unterbrochen. Ja, unsere französische Artillerie ist ein stolzes, prächtiges Korps, und hat sich den hohen Rang, den sie im Heere einnimmt, stets mit ihrem Blute erkauft, das habe ich während dieser Nacht in der Batterie wieder so recht erprobt. Wahrlich, wäre ich nicht Kapitain bei unsern Chasseurs d’Afrique, ich möchte wohl bei der Artillerie dienen.

Mitten in diesem schweren Geschützfeuer, welches die Erde erdröhnen machte, konnte man aber bisweilen auch die einzelnen scharfen Schüsse der Miniébüchsen knattern hören. Eine Tirailleurkette von unseren Chasseurs à pied war vor die Batterieen gegangen, oder richtiger wohl auf dem Bauche gleich den Schlangen fortgekrochen, um sich so weit den russischen Werken zu nähern, daß sie mit ihren wohlgezielten Schüssen in die Schießscharten derselben hineintreffen konnten. Zu solchen sehr gefährlichen Expeditionen, die zwar den Feinden großen Schaden zufügen, denn durch solche wohlgezielte Büchsenkugeln, die in die Schießscharten hineinfliegen, wird die Bedienungsmannschaft der Geschütze ungemein belästigt und am sicheren Schießen behindert, werden nur Freiwillige genommen. Es müssen sehr gewandte, muthige Leute sein, die auch vortrefflich zu schießen verstehen, denn sonst würde ihr Feuer wenig nützen. Die Russen haben ebenfalls derartige Abtheilungen, die aus freiwillig sich dazu meldenden, besonders gewandten Scharfschützen gebildet werden, und die ganz auf gleiche Weise gegen unsere Batterien zu operiren versuchen. So entspinnt sich neben diesem Geschützkampf auch zugleich ein lebhaftes Tirailleurgefecht, das schon manchem tapferen französischen Soldaten das Leben gekostet hat. Alle Augenblicke blitzte es rechts und links und vorwärts von unserer Batterie von derartigen Büchsenschüssen auf, was ganz eigenthümlich aussah. Die Russen ließen mitunter Leuchtraketen steigen, und bei dem Schein derselben konnte man dann auf Augenblicke erkennen, wie unsere Chasseurs, in ihre grauen Kapotmäntel gekleidet, gleich Eidechsen vor uns auf dem Boden herumkrochen.

Wohl eine Stunde mochten wir schon in der Batterie gewesen sein, und da wir blos müssige Zuschauer sein konnten, und es ganz unnütz war, daß wir uns einen so gefährlichen Platz auserwählt hatten, so war das ganze Schauspiel, was sich uns hier darbot, doch viel zu imposant und interessant, als daß wir uns sobald davon hätten losreißen können.

Besonders der eine englische Offizier, der erst vor wenigen Wochen aus Ostindien gekommen und dem ein solches Bombardement noch eine ganz neue Erscheinung war, jubelte laut, und half in seinem Eifer sogar einigen Kanonieren die Bomben aus dem Munitionsbehältniß, welches tief in die Erde gegraben war, herbeischleppen. Unsere Artilleristen, die nie eine Gelegenheit vorübergehen lassen können, ohne ihre Witze und Späße zu machen, hatten ihre Freude an diesem so eifrigen Engländer, nannten ihn „Camerad Mylord“ und tranken ihm sogar aus ihren, mit sehr schwachem kalten Grog gefüllten Feldflaschen zu, was diesem sehr vornehmen Engländer großes Vergnügen gewährte.

Die Morgendämmerung war im Anbrechen und ein schwacher rosiger Schein verkündete bereits die Nähe des erhofften Tages, als die russischen Batterien für den Augenblick ihr bisheriges Feuer wo möglich noch zu verdoppeln suchten. Von allen Seiten krachte und blitzte es, und hätten die Russen ebenso geschickt gezielt wie sie schnell abfeuerten, da hätte es unserer Batterie schlimm ergehen müssen. Glücklicherweise war dies nicht der Fall, und eine große Zahl von Bomben, deren Zünder zu kurz, und die nicht richtig berechnet waren, platzte ziemlich unschädlich in der Luft. Eine Viertelstunde schon mochte dies entsetzliche Bombardement, wo es ganz unmöglich war nur seinen Nebenmann zu verstehen, gedauert haben, als plötzlich dasselbe schwieg, aber eben so plötzlich auch eine starke Kolonne russischer Infanterie in vollem Lauf aus dem feindlichen Werk herausbrach und ohne sich mit anderweitigen Schüssen einzulassen, mit dem gefüllten Bayonnet gegen unsere Batterie anstürmte. In demselben Augenblick brachen aber auch unsere Wachen, die bisher in einigen Vertiefungen hinter unserer Batterie ziemlich geschützt gelegen hatten, mit lautem „en avant, en avant — vive l’empereur,“ gegen die Russen vor.

Voran wie bei allen derartigen Gelegenheiten waren die Zuaven unter dem Befehl unseres Alphons, ihnen eben so schnell folgten einige Kompagnieen der Fremdenlegion und eine eines französischen Linienregiments. Dieser Anblick war zu verführerisch für uns; schnell riefen wir dem Kapitain Z. noch ein eiliges, herzliches Adieu zu, sprangen in möglichst schnellen Sätzen aus der Batterie heraus, um uns den anstürmenden französischen Truppen mit anzuschließen.

(Schluß folgt.)
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verschiedene: Die Gartenlaube (1856). Ernst Keil, Leipzig 1856, Seite 149. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1856)_149.jpg&oldid=- (Version vom 21.8.2021)