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verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

zu thun. Ein russischer General fragt bei derartigen Scenen nicht so viel nach der Erhaltung des Lebens seiner Leute, ob da einige hundert mehr oder weniger derselben fallen, kann ihn nicht beirren. Gefangene Russen haben uns selbst erzählt, bei ihnen hätten die Pferde viel mehr Werth wie die Menschen, und es sei dem Obersten ungleich lieber, wenn seine Kavalleristen als wenn deren Pferde verwundet oder getödtet würden. Das ist übrigens in Frankreich, England und Deutschland nicht viel anders.

So wie die russischen Kanonen mit Kartätschen zu feuern anfingen, ließ der unsere Truppen befehligende Oberst sogleich das Signal zum Rückzug geben. Unser Zweck, den russischen Ausfall zu hintertreiben, war ja hinreichend erfüllt und ob nun unsere verfolgenden Soldaten einige Dutzend Russen mehr getödtet oder gefangen genommen hätten, war am Ende ziemlich gleichgültig. Ungefähr so ein zwanzig Russen mochten wohl todt oder schwer verwundet, daß sie nicht aufstehen konnten, auf dem Kampfplatz liegen und eben so viele auch in die Gefangenschaft unserer Soldaten gefallen sein. Unser Verlust an Todten und Verwundeten betrug neun Mann, darunter vier Zuaven. Unter letzteren war ein mir von Algerien her persönlich bekannter Korporal, zwar ein Erzwindbeutel durch und durch, der im Frieden eigentlich nur in einer Strafkompagnie zu bändigen war, im Felde aber einer der brauchbarsten und gewandtesten Soldaten, den ich je gesehen habe. Zweimal war derselbe schon in einer Strafkompagnie gewesen, dreimal zum Gemeinen degradirt worden, aber immer hatte er sich wieder durch seine glänzende Tapferkeit und große Geistesgegenwart im Kampfe glücklich heraufgearbeitet. Zuletzt war er wieder bei Inkerman zum Korporal ernannt worden. Hier bei diesem Gefecht hatte derselbe sich einen russischen Stabsoffizier zum Gegenstand seines Angriffes auserwählt, wie er dies stets zu thun pflegte. Gleich einer Tigerkatze soll er auf den russischen Offizier losgesprungen sein, den Degenhieb desselben mit dem linken Arm, um den er seinen Gürtel zum Schutz gewickelt, parirt und nun ein breites türkisches Dolchmesser dem Russen in die Brust gestoßen haben. In demselben Augenblick hat aber ein russischer Soldat, der muthig seinen Obersten vertheidigen wollte, dem Zuaven-Korporal das Bayonnet mit solcher Gewalt gerade in den Mund hineingestoßen, daß die Spitze desselben weit zur andern Seite des Kopfes herausgedrungen ist. Auf der Leiche des getödteten Obersten, gleich wie ein Tiger auf seiner Beute liegend, hat man den Zuaven-Korporal gefunden, das Bayonnet noch im Kopfe steckend, aber trotz dieser furchtbaren Wunde immer noch lebend. Als ein Soldat ihm dasselbe herauszog, was ziemliche Kraftanstrengung gekostet hat, ist der Verwundete, der doch nicht mehr zu retten war, gestorben.

Wir waren bereits auf dem Rückmarsch nach unserer Batterie begriffen, als die Russen, die jetzt bei dem schon völlig angebrochenen Tag bequem auf uns zielen konnten, wieder mit Vollkugeln aus ihren schwereren Geschützen zu feuern anfingen. Vielen Schaden richteten sie zwar damit nicht an, denn unsere Soldaten lösten schnell ihre geschlossenen Glieder auf, und eilten zerstreut hinter ihre Verschanzungen zurück, um so für die feindlichen Kugeln keinen Zielpunkt abzugeben; das Unglück wollte aber doch, daß ich zuletzt noch etwas abbekam, und dadurch für meinen Vorwitz ein Gefecht mitzumachen, zu dem ich nicht befehligt war, eine tüchtige Strafe erhielt. Eine russische Vollkugel traf einen Felsblock, der ihr im Wege lag, mit solcher Gewalt, daß eine große Ecke davon absprang und mich gerade an dem linken Fuß oberhalb des Kniees verletzte. Eine tüchtige Quetschung erhielt ich auf dieser Stelle und die Gewalt des Steines war doch noch so groß, daß ich davon zur Erde geworfen wurde.

Sowie mich mein Alphons, der zuletzt am Ende seiner Zuaven sich befand, fallen sah, sprang er sogleich herbei, und auch die englischen Offiziere waren sofort bei der Hand, um mir mit aufzuhelfen. Mein Fuß schmerzte aber so gewaltig, daß es mir unmöglich war ihn zu gebrauchen, und so mußten mich denn zwei Zuaven aufladen und auf ihren Armen nach einem geschützten Platz hinter unserer Batterie, wo ein Arzt sich befand, hintragen. Bei der näheren Untersuchung der Wunde fand sich denn, daß zwar die Haut ganz weggerissen und das Fleisch arg gequetscht, sonst aber weiter kein Knochen verletzt war, so daß die ganze Geschichte in ungefähr acht Tagen wieder geheilt sein konnte.

So wie mein Herzensfreund hörte, daß weiter keine Gefahr aus dieser Verletzung für mich entstände, fing er, der bisher die eifrigste Sorgfalt und wärmste Theilnahme mir bewiesen hatte, seinen Ton plötzlich zu ändern an und hielt mir eine Strafpredigt so eindringend, wie nur ein alter Korporal einem Rekruten gegenüber sich benehmen kann:

„Da hast Du nun Deine Strafe für Deinen Vorwitz; warum bleibt Ihr nicht bei Eurem Punschkessel sitzen und treibt Euch dafür hier draußen vor den Trancheen herum, wo Ihr nicht hingehört und doch nichts nützen könnt. Bei den Engländern kann man solchen Vorwitz noch entschuldigen, denn denen ist es etwas Neues zu sehen, wie wir Zuaven angreifen, aber bei Dir, der nun schon seit zehn Jahren in Algerien mit uns zusammengefochten und nun auch bereits die ganze Belagerung von Sebastopol mitgemacht hat, kann so etwas nicht mehr der Fall sein, und ein aberwitziger Rekrut, der seine Nase überall mit hineinstecken muß, bist Du wahrlich doch auch nicht mehr, sondern hast schon Pulverdampf genug in Deinem Leben gerochen; aber Ihr Chasseurs d’Afrique seid nun einmal so, überall wollt Ihr mit dabei sein, und denkt, es könne gar kein ordentliches Gefecht ohne Eure Hülfe mehr geschehen und selbst wenn es gegen die Wälle des Malakoff ginge.“

So brummte und schalt Alphons, der überdies in hohem Grade verdrießlich darüber war, daß dies Gefecht am heutigen Morgen gar so kurz sich gestaltet hatte, fort und fort, und ich mußte mir leider dabei selbst sagen, daß er nicht so ganz Unrecht damit habe. Ich hatte nicht den mindesten Vortheil für die ziemlich bedeutenden Schmerzen, die ich in den ersten Tagen nach meiner Verwundung ausstehen mußte, sondern erhielt noch von unserm Colonel, als er die Ursache derselben erfuhr, einen starken Verweis, der damit schloß, daß wenn ich nicht schon meines Fußes wegen Zeltarrest hätte, er mir solchen zur Strafe geben würde. Und dabei liegt unsere Eskadron jetzt auf Vorposten und hat Gelegenheit sich mit den Kosaken und russischen Husaren herumzuschlagen, während ich hier allein mit einem halben Dutzend kranker Leute zurückbleiben muß, und aus Langeweile einen Bogen Papier nach dem andern in meinem Tagebuche vollschreibe. Es ist das wahrhaftig ein trauriges Vergnügen.

Mein einziger Trost ist nur, daß die Anderen auf ihren Vorposten auch sich wahrscheinlich nicht allzuoft mit den Russen messen werden, und also ich in der Hinsicht nicht viel versäume. Seit die Russen bei der Tractir-Brücke so derbe Schläge bekommen haben, wollen sie draußen im freien Felde nicht mehr recht Stich halten und wenn sie auch Sebastopol selbst mit dem hartnäckigsten Muthe vertheidigen und sich, wie es braven Soldaten geziemt, daselbst tapfer schlagen, im freien Felde haben sie gewaltige Scheu vor uns und weichen bei jeder Gelegenheit zurück. Bei der Tractir-Brücke ging es aber tüchtig zu und die Russen mußten wieder viel leiden; Schade nur, daß der General Pelissier, der hier ungleich vorsichtiger sich zeigt, wie dies sonst in Algerien bei ihm der Fall war, uns Kavalleristen nicht erlaubte, die fliehenden Feinde, die sich wirklich in größter Unordnung zurückzogen, weiter zu verfolgen, wir hätten gewiß noch viele Beute machen, und besonders auch russische Geschütze erobern können. Zwei geborene Polen, die einige Tage später aus dem russischen Lager zu uns desertirten, erzählten, daß die Unordnung in demselben nach der verlorenen Schlacht ungemein groß gewesen sei. Alle Korps wären untereinander gemischt gewesen und Niemand hätte gewußt, wer denn eigentlich zu befehlen habe. Das ist wahr, hat man den Russen erst einmal ihre Offiziere, die meist brave und ausgezeichnete Leute sind, und ihren Soldaten kühn voran in das Feuer gehen, wie es die Pflicht jedes tüchtigen Offiziers ist, weggeschossen, so wissen die Leute selbst sich gar nicht zu helfen, und stehen in dichten Massen umher und lassen sich ruhig niederschießen, als wenn dies nur so sein müßte. Ganze Kompagnieen, denen unsere Tirailleurs vorher ihre Offiziere weggeschossen hatten, sind auf diese Weise bei der Traktir-Brücke von unserer Artillerie zusammenkartätscht worden und die Leichen lagen in so dichten Haufen hoch aufgespeichert, daß wir mit unseren Pferden gar nicht darüber hinweg sehen konnten.

Tüchtig haben sich übrigens an diesem Tage auch die sardinischen Truppen geschlagen und sich die Achtung unserer ganzen Armee erworben. Besonders ihre Bersaglieris sind gewandte Leute

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verschiedene: Die Gartenlaube (1856). Ernst Keil, Leipzig 1856, Seite 161. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1856)_161.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)