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verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

verschlingen wilde Schweine, ohne sie erst zu tranchiren. Die Ular-Serva auf den Sundainseln tödtet gern Menschen durch Umarmungen, ohne sie zu fressen. In Whidah, Königreich Dahomey mit dem scheußlichen König, der mit seiner Weiberarmee sein Volk dadurch besteuert, daß er es als Sklaven verkauft, giebt es mehr als 60 Fuß lange Pythons, die Schafe und Ziegen ganz verschlingen. An der Goldküste Afrika´s hat man schon ganze erwachsene Männer (natürlich in allen Knochen zermalmt und zerdrückt) aus Schlangen herausgeschnitten. Bei Calcutta wurde einmal ein Matrose aus den Umarmungen einer Schlange befreit, die 62 Fuß maß. Dergleichen Abenteuer mit Schlangen ließen sich aus Reiseberichten über heiße, wilde, menschenarme Gegenden in’s Unendliche vermehren. Die Schlangen sind gewissermaßen die geschwungenen Ruthen, womit die Natur den Menschen und seine Civilisation von Gegenden zurückschreckt, die ihm schädlich und tödtlich sind. Wenigstens verschwinden allmälig die gefährlichen und giftigen Arten derselben da, wo Menschen sich anbauen und bilden, hauptsächlich freilich, weil der Mensch zunächst alles Mögliche thut, sie zu vertilgen. Früher beherrschten sie, à 100 bis 150 Fuß lang, ganze Landestheile und vergifteten (durch ihre bloße Ausdünstung schon, wodurch jede Schlange zunächst vor sich warnt) und fraßen Alles Leben umher. Plinius erzählt von einer solchen Schlange, welche einen großen Theil der Armee des Regulus beim Uebergange über den Fluß Bragada in Afrika um- und verschlungen habe, endlich erlegt und nach Rom gebracht worden sei. – Ihre Haut, die er selbst gesehen, habe eine Länge von 120 Fuß gehabt.

Um noch ein Wort über diese grausame Schöpfungslaune der Natur zu sagen, zeichnen sich die Schlangen durch innere und äußere Construktion vor allen andern Naturgebilden aus. Der ungeheure weite Rachen mit dem kleinen Kopfe und Halse ist die größte Merkwürdigkeit. Sie sind das Nadelöhr, durch welches ein Kameel gefädelt wird. Die Kinnladen öffnen und schließen sich nicht, wie bei andern Thieren, durch aneinander gebundene Knochen, sondern durch ungemein elastische Muskeln, die sich wie Gummi ausdehnen. Aehnlich sind die Hals- und Körpermuskeln, durch welche Körper gezwängt werden, die bis sechsmal dicker, als die Schlange selbst. Einige Schlangen haben krumme, hohle Zähne, andere blos Fänge. Zähne und Fänge sind beweglich und können gelegt und aufgerichtet werden. Die Augen sind ungemein klein und durchweg boshaft und giftig im Ausdruck. Löcher zum Hören sind vorhanden, aber kein Organ des Riechens bemerkbar. Die langen, gegabelten Zungen, bei Vipern oft ein Drittel so lang, als der ganze Körper, mit ihrem ewigen scheußlichen Spiel, sind auch eigenthümlich genug. Sie sind Aale, aber haben keine Schwimmhäute, Eidechsen mit ihrem Panzer, aber ohne Füße, Würmer mit ihrem Gekrieche und Gewinde, haben aber Lungen; und ohne Füße, Schwimmhäute, ohne alle Seitenwaffen doch in ihrem bloßen Körper die mächtigste Waffe, denen selbst der König der Wüste, der Löwe, unter dem donnerndsten Gebrüll erliegen muß.




Blätter und Blüthen.

Madame Neumann. Selten hat wohl eine Künstlerin eines so ungetheilten Beifalls sich zu erfreuen gehabt, als Madame Neumann in Berlin im Jahre 1822. Selbst Herren, aus denen das Alter jeden Funken von Begeisterung längst verwischt zu haben schien, wurden von ihrem Anblick entzündet und schlugen ihr entgegen; ja merkwürdig genug hatte sich gerade aus dieser Klasse der Alten ein engerer Kreis von Verehrern gebildet, der sie überall, im Parkett, beim Ein- und Aussteigen am Schauspielhause, oder wo sich die Künstlerin öffentlich zeigte, umgab, dessen unermüdete Bestrebungen auch recht bald vom Publiko durch den Ehrennamen der „heiligen Schaar“ oder der „alten Garde“ belohnt wurden. Dies hatte aber die natürliche Folge, daß die Jüngeren, die nicht gern vor der Zeit zu der „alten Garde“ gerechnet sein wollten, sich in weiterer Entfernung hielten, als es wohl sonst geschehen wäre, und nur Einer, der zu zu schwach zum Widerstande, den Zauberkreis durchbrechend sich der „alten Garde“ anschloß, wurde, seiner großen Jugend von 40 Jahren wegen, ausnahmsweise der Voltigeur genannt. Alles dies gab Veranlassung zu einem Bilde, welches in Berlin reißenden Abgang fand. Es stellte in der Mitte eine schöne Frau vor, um sie her eine Truppe treffend portraitirter Herren. Unter dem Bilde stand: La vieille Garde meurt; mais Elle ne se rend pas! (Die alte Garde stirbt; aber sie ergiebt sich nicht!)




Natureinwanderung nach England. Riesenbäume. Der Auswanderung in neue ferne, fremde Theile der Erde entspricht eine unsere alte Welt bedeutend verschönernde Einwanderung und Acclimatisirung von tropischen und Urwaldsschönheiten. Die Civilisation und Noth derselben verbreitet sich über die ganze Erde, die Natur der Ferne nimmt deren Stelle in der alten Welt ein. Wir meinen die Einführung und Pflege von Pflanzen und Bäumen in Paris, Gärten, Blumenbeete und Gewächshäuser, die besonders in England zu einem förmlichen Kultus, zu einer Kunst und Wissenschaft geworden ist, zu einer noblen Passion. Unter den botanischen Entdeckern und Sammlern zeichnet sich besonders David Douglas aus, dem man schon in der „pinus Douglasi“ einem wunderschönen, immergrünen Baume aus dem westlichen Nordamerika, der in allen Zierplantagen Englands bekannt ist und wächst, ein lebendiges, unverwelkliches Denkmal setzte. Andere Botaniker brachten die Naturschätze des Himalaya und der südlichen Halbkugel, noch Andere entdeckten neue Schätze in den Urwäldern Amerika’s, und bürgerten sie in den prächtigen Gewächspalästen und Parks der englischen Aristokratie ein. Der Enthusiasmus für Zapfentragende concurrirt bereits glücklich mit der Poultromanie, der Leidenschaft für fremdes Federvieh, und erweist sich schöner und nützlicher, als die historisch-gewordene Tulpenmanie holländischer Kaufmannsfürsten.

Unter den botanischen Entdeckungen des Herrn Douglas macht besonders der Riese und König aller Bäume in Californien großes Aufsehen. Man hat ihn „Wellington-Baum“ genannt, da man damals in England noch der Meinung war, Wellington sei der größte Mann des Menschengeschlechts gewesen. Ein junges Exemplar dieses Baumes ist von Mr. Lobb nach England gebracht und in dem Parke des Herrn Veitsch, eines deutschen Kaufmanns in Manchester, angepflanzt worden. Mr. Lobb schildert ihn als den wahren Goliath aller Bäume und den Monarchen californischer Wälder. Er wächst auf einsamen Abhängen des Sierra-Nevada-Gebirges in den Gegenden der Quellen des Stanislaus- und San Antonioflusses. 38° nördlicher Breite, 120° 10’ westlicher Länge auf Höhen von 5000 Fuß über dem Meeresspiegel. Auf einer englischen Quadratmeile fand er gegen 100 derselben, von 250 bis 320 Fuß hoch und an 10 bis 20 Fuß im Durchmesser. In Wachsthum und Gestalt erinnern sie an die immergrüne Taxodkum sempervirens. Sie stehen theils einsam, theils in Paaren, theils in Gruppen von 3 bis 4. Mr. Lobb ließ einen dieser Wellington-Bäume fällen. Er zeigte sich 300 Fuß lang, 5 Fuß vom Grunde mit der Rinde 29 Fuß 2 Zoll im Durchmesser, 100 Fuß vom Grunde 14 Fuß im Diameter. Die bräunliche Rinde ist 12 bis 15 Zoll dick. Die Zweige runden sich und hängen wie an der Cypresse, mit hellgrünen, scharf zugespitzten Blättern. Er trägt tannenzapfenartige Früchte 21/2 Zoll lang und im dicksten Theile 2 Zoll im Durchmesser. Der gefällte Baum war durch und durch gesund und, nach den Ringen im Holze geschätzt, mindestens 3000 Jahre alt. Das Holz ist leicht, weich und röthlich wie beim Rothholz (Taxodium). Von der Rinde dieses Ungeheuers wurde in San Franzisco ein Haus von 21 Fuß Höhe erbaut. Der Hauptraum darin enthält ein Fortepiano und Sitze für 40 Personen. Einmal waren 140 Kinder zu gleicher Zeit darin.

Professor Lindley in London hielt einen besondern Vortrag über dieses Riesenwunder Californiens, worin er ausrief: „Welch ein Baum! Von welcher Erscheinung, von welchem Alter! Er war schon da und wuchs, als Simson die Philister schlug; er schüttelte schon seine Krone, als Paris mit der schönen Helena durchging, als Aeneas seinen Vater Anchises aus den Trümmern Troja’s davontrug! “

Bis zu welcher Stärke es Bäume bringen können, davon giebt Dr. Lindley in „Gardeners Chronicle“ einige Beispiele: „Ein solcher Wellington-Baum maß im Stamme mehr als 30 Fuß Durchmesser. Die Zeit hatte ihn endlich ausgehöhlt und umgeworfen, so daß einmal ein Reiter in dessen Inneres hineinritt, und nachdem er eine Strecke zurückgelegt, noch gut umlenken konnte, um aus dem hohlen Baume wieder heraus zu reiten. “

In dem amerikanischen Journale: „Hovey’s Magazine of Horticulture“, meldet ein Correspondent aus San José: „Sie sollten nur den Lebensbaum sehen, der jetzt in San Franzisco für Geld gezeigt wird. Als ich in das Innere des Baumstammes kam, tanzten 20 Paare darin, mit einer Menge Personen, die auf Stühlen darin herum saßen, ohne sich beengt zu fühlen.“

Die Zahl der Pflanzen, Blumen und Bäume als neuer englischer Naturbürger ist schon sehr groß und nimmt mit jedem Jahre zu, Dank sei es der nobeln Passion für Erhöhung der Schönheiten des Gartens und Parkes, für Botanik überhaupt und dann auch praktisch für Bereicherung der Nutz- und Bauhölzer. In dieser Sphäre ist England dem Continente bei Weitem voraus. Die Liebe für Naturschönheit, für grüne Lungen in Städten (Squares) schützt das Dampfschlott überwucherte England kräftig gegen diese Verwüstung der Civilisation. Die Bäume sind in England noch heilig und stehen in reicher Fülle, zum Theil im höchsten, noch grünen Alter unter speciellem Schutze des Parlaments, ohne dessen specielle Genehmigung keiner umgehauen werden darf.


Aus der Fremde“ Nr. 12 enthält:

Die Pelzjäger in Oregon. – Der Mammuthbaumwald in Californien. Mit Abbildung. – Spielwettwuth in Mexico.Aus allen Reichen: Die amerikanischen Nähmaschinen. – Ein amerikanischer Arzt. – Die Chinesen in Californien. – Allerlei Neues aus Amerika.

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1856). Ernst Keil, Leipzig 1856, Seite 164. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1856)_164.jpg&oldid=- (Version vom 22.3.2021)